Kapitel 4

110 9 0
                                    

Der Wecker klingelt. Genervt schalte ich ihn aus und verkrieche mich wieder in meinem Bett. Doch nach 5 Minuten kommt mein Vater, Frederik Chase, in das Zimmer.

„Aufstehen, Annie, es ist Zeit. Du willst doch bestimmt noch vor der Schule etwas frühstücken, oder?"

Wie jeden Morgen rieche ich bereits das Rührei und die Pancakes.

„Jaja, ich bin gleich da.", grummele ich und schäle mich aus der Bettdecke. Ich gehe ins Bad und ziehe eine Jeans und ein T-Shirt an. Als ich in die Küche komme, steht mein Vater pfeifend am Herd und wendet einen Pancake. Moment. Seit wann pfeift mein Vater wieder?

Seit Wochen habe ich das Gefühl, dass irgendwas ihn bedrückt. Ich weiß, dass es etwas mit seiner Arbeit zu tun hat, denn er ist Journalist. Er hat mir erzählt, dass er an einer großen Story arbeitet, die vielleicht unsere Geldsorgen verschwinden lässt. Aber ich weiß auch, dass es gefährlich sein muss, denn in den letzten Wochen sind seine Sorgenfalten immer tiefer geworden. Er hat ausgesehen, als hatte er die ganze Zeit Angst und hat mir sogar ein Pfefferspray gekauft. Fast schon paranoid. Aber heute scheint er besser gelaunt zu sein.

„Dad, das soll jetzt keine Beleidigung sein oder so. Aber wieso bist du so gut gelaunt?", frage ich ihn.

„Wie kommst du darauf?", gibt er zurück.

„Du pfeifst. Die letzten Wochen warst du immer bedrückt und hast dir Sorgen gemacht. Heute ist das nicht so. Hat es irgendwas mit deinem Artikel zu tun?", tippe ich und schließe aus dem Gesichtsausdruck meines Vaters, dass ich voll ins Schwarze getroffen habe. Er seufzt resigniert.

„Okay, hör mir gut zu, Annabeth. Es ist sehr wichtig.", beginnt er, „Ich habe in den letzten Wochen an einer großen Story gearbeitet, wie du weißt. Es hat etwas mit einem sehr reichen Mann zu tun und wenn ich es veröffentlichen würde, hätte er ein riesiges Problem. Deswegen war ich in den letzten Wochen nervös und habe dir ein Pfefferspray gekauft. Wenn er herausfindet, dass ich ihm auf der Spur bin, könnte es hässlich werden. Aber ich habe heute Morgen einen entscheidenden Hinweis erhalten. Dem werde ich nachgehen und wenn es stimmt, kann ich meinen Artikel herausgeben. Dann sind wir außer Gefahr."

Jetzt bekomme es auch ich mit der Angst zu tun. „Kannst du mir sagen um was es geht?", frage ich ihn, aber mein Vater schüttelt bedauernd den Kopf.

„Das wäre zu gefährlich." Dann blickt er auf die Uhr. „Es ist schon ziemlich spät, du solltest langsam los."

Schnell ziehe ich eine Jeansjacke und Sneakers an. Mein Vater steht neben mir und beobachtet mich, bevor er mich umarmt.

„Annie, du bist das Beste was mir je passiert ist. Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.", flüstert er.

Seine Worte jagen mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Das klingt ja beinahe wie ein Abschied.

„Ich verspreche es. Pass du aber auch auf dich auf. Sei vorsichtig.", wispere ich zurück. Er nickt. Nach einem letzten Blick zur offenen Haustür gehe ich. Es ist das letzte Mal, dass ich meinen Vater sehe.

Die Schule fliegt an mir vorbei. Ich kann mich nicht konzentrieren, denn mir geht die ganze Zeit das Gespräch mit meinem Vater durch den Kopf. Was ist, wenn ihm etwas passiert? Dieser Gedanke beschäftigt mich den Vormittag über. Auch meinen Freunden fällt mein seltsames Verhalten auf, doch sie sprechen mich nicht darauf an.

Ich bin froh, als wir nach einer Doppelstunde Sport am Nachmittag endlich nach Hause dürfen. Ich will sofort aus der Umkleide flüchten, doch Katie hält mich zurück.

„Was ist mit dir los?", fragt sie mich.

„Ich mache mir Sorgen um meinen Vater. Bitte, lass mich gehen, ich muss zu ihm.", antworte ich ihr.

„Um was geht es?", will meine Freundin wissen. Ihre Worte versetzten mir einen Schlag. Genau dasselbe habe ich meinen Vater heute Morgen auch gefragt. Ich schüttele nur hilflos mit dem Kopf und verlasse die Umkleide.

Den Heimweg über schleicht sich ein kaltes Gefühl in mir ein. Als ich endlich im Bus sitze, will ich am liebsten den Fahrer anschreien, schneller zu fahren. Doch das geht natürlich nicht. Nachdem ich ausgestiegen bin, kann ich es nicht verhindern immer schneller zu gehen. Die letzten Meter renne ich und suche nach meinem Schlüssel. Ich schließe die Tür auf und sprinte die Stufen zu unserer Wohnung hoch. Vor der Tür stocke ich, denn sie ist offen. Wie in Zeitlupe krame ich mein Pfefferspray aus dem Rucksack. Danach betrete ich vorsichtig die Wohnung.

„Dad?", rufe ich. „Bist du da?"

Ich bekomme keine Antwort. Ich fange an unkontrolliert zu zittern. Meine schlimmsten Befürchtungen scheinen wahr zu werden. Ich muss mich daran hindern, aus der Wohnung zu rennen. Stattdessen betrete ich die Küche.

Im ersten Augenblick sieht alles normal aus, doch dann fallen mir rote Punkte auf dem Boden ins Auge. Blut. Ich presse meine Hand auf den Bauch, damit mir nicht schlecht wird. Dann sehe ich mir die Tropfen genauer an. Es ist eine Spur. Sie führt ins Wohnzimmer und folge ihr. Was ich dort sehe schnürt mir die Luft ab. In der Mitte des Raumes ist eine riesige Blutlache und mittendrinn...

„NEIN!", der Schrei bricht aus heraus und verhallt in der Stille. Ich wende die Augen ab, in der Hoffnung, dass sie mir nur einen üblen Streich gespielt haben, der aus meinen Ängsten entstanden ist. Doch als ich sie wieder öffne, wird mir bewusst, dass ich die Realität sehe. Mein Vater. Ich bin nicht blöd. Wer so viel Blut verliert, kann nicht überleben.

So viel Blut.

So... viel... Blut...

Das ist der Moment in dem ich auf die Knie falle. Mit Atem geht abgehackt und ich habe das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Mein Vater ist tot.

Die Tränen fangen an still zu fließen...

Schreiend wachte ich auf. 


Dieses Kapitel war im Vergleich zu den Anderen sehr kurz, aber sie werden wieder länger :)

Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefallen hat, auch, wenn es eher düster war von der Stimmung her. Über Votes, oder Kommis würde ich mich natürlich sehr freuen!

lg Scarlet

Tochter der RacheWhere stories live. Discover now