Ehrlichkeit

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Zwei Wochen waren vergangen...
Zwei verschissene Wochen in diesem Drecks-Kaff.

Ryan ging mir nach dem letzten Ereignis aus dem Weg, sperrte mich in einen Raum ein und ließ mich überwachen. Ich wusste, ich hatte ihn verletzt und an sein Alpha-Ego gekratzt.
Meine Gedanken kreisten wild umher:
Wie würde es wohl meinen Brüdern gehen, war da mit den Ereignissen mit meinem Vater wirklich etwas dran und sogar ob es Lacy gut ging nach meinem Verschwinden.

Doch die Frage, die mich am Meisten quälte:

Was fühlte ich für Ryan ?

Die kurze, aber intensive Zeit, die wir  verbrachten, hatte irgendetwas ausgelöst, dass ich nicht wirklich beschreiben konnte...
Doch eine Sache war glasklar, zwar schon seit meiner ersten Begegnung mit ihm, doch jetzt konnte ich es nicht weiter verdrängen.
Ryan war mein Gefährte, wohl oder übel.

Tief atmete ich ein und widmete mich wieder der Puppe vor mir. Weisse Bandagen schmückten meine Hände und ich spürte die erwartungsvollen Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten.

Dann machte ich meinen ersten Schlag, direkt in die Brust. Ein weiterer folgte, bis es in eine fließende Bewegung überging.
Ich wusste zwar, dass das Ding vor mir nur aus Stoff und Metall bestand, das hielt mich aber nicht davon ab mir diesen verdammten Beta vorzustellen, Jason oder Ryan.

Ellen kam mit einem Grinsen zu mir.

"Du machst dich. Bist ja doch nicht so ne Pussy, wie ich dachte."

Kurz stoppte ich und schaute sie ausser Atem verwirrt an.

"Was ?"

"Wusste nicht, dass du ne Kämpferin bist."

Sie verschränkte die Arme und lehnte sich an die Puppe, welche beängstigend  quietschte.

"Hat dir mein Kampf letztens nicht gereicht ?"

"War nicht schlecht, Süße. Hast das Rudel ziemlich beeindruckt, aber bei mir ist das bisschen schwieriger, Luna."

"Verdammt, nenn mich nicht so."

Es war nicht nur, dass ich dieses Wort hasste, es war viel mehr an was es mich erinnerte. Es erinnerte mich an meine Mutter und so wie sie zu sein, war das Letzte was ich wollte.

"Der Boss wäre darüber nicht glücklich."

"Ich geb ein Scheiss darauf."

"Kendra, du solltest wirklich aufpassen über wen du wie redest. Der Alpha ist ein guter Mann und dazu der beste Anführer."

"Ein guter Mann ?! Ellen, er hat mich entführt und sechs Leute umgebracht."

"Sieben."

Verwirrt schaute ich sie an.

"Denkst du ernsthaft Ryan hat es zugelassen, dass der Typ mit dem du dich geschlagen hast ungeschoren davon kommt ?"

Sie zuckte kurz mit den Schultern.

"W-was ist mit ihm passiert ?"

"Keine Ahnung, ich weiss nur, dass er in die Zellen gebracht wurde und das überlebt niemand."

Schlechtes Gewissen überflutete mich wie eine riesige Welle, so viele Menschen sind wegen mir gestorben...

"Kendra, hör mir zu."

Ihr Gesicht wurde ernst und sie ging einen Schritt auf mich zu.

"Nicht nur dir ist Unrecht widerfahr-"

"Woher weisst du das ?"

"Halt die Klappe und lass mich ausreden:
Kein Mensch kommt ohne Grund hier her, erst recht nicht um es sich häuslich gemütlich zu machen. Den Grund dafür kennst du..."

"Lass mich raten. Ryan."

Kurz nickte sie und fuhr fort.

"Aber er war nicht immer so gewesen. Er war der Sohn eines Werwolfs, der im damaligen Rudel gelebt hatte. Er lebte mit seinen Schwestern und seinem Vater eher ärmlich, aber ihnen ging es gut. Eines Nachts griff ein fremdes Rudel an und brachte alles um, was ihnen in die Nähe kam. Darunter auch seine Schwestern. Der damalige Alpha war schwach und unfähig zu führen gewesen, er bekam die Situation nicht unter die Kontrolle. Geblendet von Wut und Trauer zettelte er einen Aufstand an und wurde zum Gesicht einer Rebellion.
Doch noch bevor er es schaffte den Alpha zu töten, wurde er gefasst und direkt zum Tode verurteilt. Aber sein Vater... er verteidigte ihn und behauptete er selbst war der Schuldige und so... nahmen die Dinge ihren Lauf. Ryan's Schwestern starben, sein Vater starb und schlussendlich ein Teil seiner Seele. Er rächte sich an dem Alpha und beanspruchte dessen Thron. Deswegen ist er so wie er ist, deswegen hat er all das getan, was du vielleicht für psychopathisch und kaltherzig hälst...
Kendra, er wird niemals mehr zulassen, dass ihm etwas weggenommen wird, was ihm gehört."

Geschockt schaute ich sie an. Es erklärte so vieles, dieses seltsame Verhalten und die Wutausbrüche, aber nicht alles.

"Was zur Göttin hat das mit meinem Vater zutun ? Was hat das mit mir zu tun ?"

"Alles, Kendra. Dieses mörderische Rudel war der Stamm der Lykra. Durch deinen Vater starb Alles was er je liebte."

Ich sackte zusammen und fiel auf den Boden. Mein Herz stockte: Lügen, alles Lügen...
Mein ganzes Leben war eine einzige Lüge.

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Ellen leicht ihren Kopf senkte, sowie die Anderen im Raum.

"Ist es wahr ?"

Sein tiefer Bariton ließ den Boden erzittern  und die mächtige Aura eines Alphawolfs nahm den Saal vollkommen ein.

"Ja."

Leicht hob ich meinen Blick, direkt den Seinen entgegen. So viel Trauer und Schmerz lagen darin, sodass ich wusste, diese unverschämt schönen Augen konnten nicht lügen.

Ich spürte die erste Träne heiß meine Wange runter rollen. Immernoch auf den Boden sitzend schaute ich ins Leere.
Eine warme Hand legte sich auf meine Wange und strich diesen verräterischen Tropfen weg.

"Ich hatte keine Ahnung, Ryan..."

"Ich weiß, Baby."

Er hob mich sanft vom Boden und setzte mich auf seinen Schoss. Ich liess es zu, dass diese Wärme mich wieder tröstete, ich genoss es sogar.

Ich bemerkte gar nicht, dass der Saal nun vollkommen leer war und Ryan mit mir alleine. Ich hatte seine Geschichte erfahren und es war nur fair, wenn er meine erfahren würde.

"Ich wurde verstossen."

Ryan spannte sich leicht an.

"Was ?"

"Meine eigenen Eltern haben mich verstossen. I-Ich war nie wirklich beliebt in meinem Rudel gewesen, ich war das schwarze Schaf. Ein immer Streit suchender Nichtsnutz, dessen einzigster Vorteil war die Tochter des Alphas zu sein und das der Beta auf sie stand."

Er verkrampfte sich stark und ich spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.

"Eines Tages kam es zu einem Streit zwischen mir und dem Beta, er behauptete ich wäre seine Mate."

Ein wütendes Knurren unterbrach mich. Kurz erhaschte ich einen Blick auf seine Augen, die sich langsam schwarz färbten.

"Ich hatte es abgestritten und wollte ihm klar machen, das ich das alles nicht will, doch er ließ nicht eine Sekunde locker. Meine Brüder hatten mich gerettet und als ich dann zu meinen Eltern ging, schlug meine Mutter mich und gab mir die Wahl. Ausgestoßene oder eine Heirat mit den Beta...
Damals glaubte ich die Wahl würde mir leicht fallen, doch jetzt wünsche ich mir nichts, als meine Brüder wieder zu sehen."

Leicht beruhigte er sich wieder unter mir und streichelte sanft meine Seite.

"Vielleicht kann ich dir diesen Wunsch sogar erfüllen."

"Was ?"

Auf sein Gesicht bildete sich ein breites Grinsen. Ich wusste nur nicht ob es mir Angst machen oder ich jetzt lachen sollte.

"Wir gehen auf einen Ball, Baby."

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Kapitel 17.

The Big Bad WolfWhere stories live. Discover now