Ein ahnungsloser Verbündeter

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Um halb sechs fuhr Katerine auf die Autobahn auf. Im Abendverkehr, so hatte sie überlegt, würden die Grenzkontrollen hoffentlich nicht allzu genau ausfallen. Hinter Katerine reihten sich unter anderem drei andere Wagen ein. Rodrigos roter Volvo, von dem Katerine wusste, Eddies alter blauer Opel, von dem Katerine nichts wusste, und der schwarze Mercedes des FBI-Agenten Thomas Jackson, von dem Katherine ebenfalls nichts wusste. Zu ihrem Glück wusste letzterer auch nichts von ihr.

Rodrigo folgte Katerine, weil sie sich nach der Grenze wieder treffen und gemeinsam zu ihrem Kontaktmann fahren würden, wie sie es auch zuvor bereits getan hatten. Das letzte Stück des Weges würde Rodrigo wie immer alleine zurücklegen, da er die Bananen persönlich – und alleine abliefern wollte.

Eddie folgte Katerine, weil die Baronin ihm den Auftrag dazu gegeben hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte er zwar schon dabei, etwas anderes blieb ihm aber nicht übrig. Er konnte der Baronin ihre Bitte ja nun schlecht ausschlagen, das hatte er einmal jemand gewagt, und auch der nur einmal.

Thomas folgte Katerine überhaupt nicht. Er war aus einem ganz anderen Grund auf dieser Straße, einem persönlichen Grund. Bereits im Morgengrauen war er aufgebrochen und seitdem unterwegs. Das Schicksal allein war dafür verantwortlich, dass er genau in diesem Augenblick, gute neun Stunden und über 300 Kilometer von seinem Zuhause entfernt, auf genau diese Autobahn auffuhr, um die Grenze zu überqueren. Unruhig klopfte er mit den Fingern auf sein Lenkrad, als er sich in die Reihe für die Grenzkontrolle einreihte. Nervös beobachtete er die Kolonne von Autos vor ihm. Leicht gereizt sah er auf seine Armbanduhr. Er würde zu spät kommen.

Und genau vor ihm war dieser Lieferwagen. Thomas hätte wetten können, dass der LKW für eine Kontrolle harausgewunken würde – und genauso war es auch. Er würde also warten müssen. Nein, dachte er sich, nicht heute. Entschlossen stieg Thomas aus seinem Wagen aus und durchsuchte seine Manteltasche nach seiner Dienstmarke. Als er den Blick wieder hob, sah er eine junge Frau aus dem Lieferwagen aussteigen, mit sportlichen Schuhen aber engen Hosen, leicht verschwitzter weißer Bluse, brünetten Haaren, zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgebunden. Schnellen Schrittes marschierte Thomas auf die Grenzbeamten zu, zeigte ihnen seine Dienstmarke. „FBI, lassen Sie die Frau weiterfahren. Ich übernehme die Verantwortung.“ Die Beamten sahen sich unsicher an. Dann sahen sie Thomas an und warteten auf eine Erklärung. Thomas hatte aber keine, denn in Wahrheit hatte er natürlich überhaupt keine Berechtigung dazu, diese Männer an ihrer Dienstausübung zu hindern. Er missbrauchte nur eben mal wieder seine Position zu privaten Zwecken, obwohl er sich – und seinem Vorgesetzten – geschworen hatte, dies nie wieder zu tun. Er hatte also keine Erklärung, einen anderen Weg sah er aber auch nicht. „Worauf warten die Herren“, schnauzte er also die armen Beamten barsch an, „brauchen Sie es schriftlich?“ Nach einem kurzen Zögern winkten die Männer Katerine tatsächlich weiter und verzogen sich zurück in ihr Grenzhäuschen. Katerine sah Thomas erwartungsvoll in die Augen, einen Funken Unsicherheit im Blick, den Thomas sich aber auch eingebildet haben konnte. „Schon gut, fahren Sie einfach weiter“, meinte Thomas nur. Da formte sich ein gar zauberhaftes Lächeln auf das Gesicht der jungen Frau, das Thomas dazu verleitete, hinzuzufügen: „Vielleicht möchten sie sich ja mal revanchieren, indem Sie sich zu einem Kaffee überreden lassen?“ Katerine, die nie eine Gelegenheit vorüberziehen lies, die sich ihr bot, gab Thomas seine Karte und ihr Lächeln wurde noch eine Spur bezaubernder. Thomas lächelte zurück.

Wäre Abend gewesen...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt