4. Kapitel

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Hicks PoV

Er ist einfach so eingeschlafen. Mitten in der Luft, in den Armen eines Fremden, auf dem Rücken eines Drachen. Eigentlich sollte ich das seltsam finden. Aber dafür fühlt es sich viel zu richtig an.
Jack ist abgemagert. Seine Haut ist so dünn, dass ich seine Rippen durch seinen blauen Pullover hindurch spüre. Sein ganzer Körper weißt Blessuren auf, von der geschwollenen Wange über die aufgeschlagene Lippe bis hin zu den blutigen Striemen an den Stellen, wo die Metallringe saßen. Er braucht dringend medizinische Versorgung. Ich überlege, ihn direkt nach Berk zu bringen, aber das wäre zu weit. Er muss raus aus der kalten Luft und braucht seinen Schlaf. Also steuere ich die Insel an, auf der Ohnezahn und ich die Nacht verbracht haben. Sie liegt näher als Berk und ist weit genug weg vom Sklavenschiff, um Sicherheit zu bieten.

Nachdenklich betrachte ich Jack. Seine Haare sind wirklich schlohweiß, dabei sieht er aus, als wäre er gerade mal 16 oder 17 Jahre alt. Wie er wohl in Gefangenschaft geraten ist? Und woher kommen er und die Sklavenhändler? Ihr Boot kam aus der Richtung, wo die Inselkette anfangen oder in Festland übergehen muss. Ich nehme mir vor, Jack danach zu fragen, sobald er sich erholt hat.

Als wir auf der Insel ankommen, ist es früher Abend. Ich kann kaum glauben, dass Ohnezahn und ich erst heute Morgen von hier aufgebrochen sind. Ohnezahn steuert den Strand von gestern an, ich lenke ihn jedoch noch ein Stück weiter nach Osten, um die Insel herum. Von früheren Erkundungsflügen weiß ich, dass es dort einen zweiten Strand gibt. Er ist steinig und die Stelle ist nicht zum Schwimmen geeignet, deshalb waren wir nur ein einziges Mal da. Allerdings gibt es an diesem Strand auch große Felsen und Höhlen, die einen guten Unterschlupf bieten. Im Licht der untergehenden Sonne glänzen die Felsen sanft. Wir landen auf einem großen, flachen Stein in der Mitte. Ich steige zuerst ab und hebe Jack vorsichtig von Ohnezahns Rücken. Er schüttelt sich von Kopf bis Fuß und schnuppert dann zurückhaltend an dem Jungen. Seine Nase stupst gegen Jacks Hand, doch er regt sich nicht. Fragend sieht der Drache erst mich, dann wieder Jack an.
„Er braucht gerade nur etwas Ruhe und Schlaf, Ohnezahn. Morgen wirst du ihn bestimmt kennenlernen können."
Ohnezahn schnaubt und springt über den Strand auf den Felsen zu, in dem sich die Höhle befindet. Ich folge ihm langsamer, um Jack nicht zu wecken. Er ist viel zu leicht für seine Größe. Seine Atemzüge sind langsam und flach, er schläft tief wie ein Stein. Wie lange er wohl nicht ordentlich geschlafen hat?
Die Höhle ist nicht besonders groß. Es ist mehr eine Vertiefung im Stein, die zwei oder drei Meter hineinreicht und so Schutz vor Regen und Wind bietet. Der Boden ist uneben und hart. Ich lehne Jack vorerst an die Wand, hole schnell mein Fell aus der Satteltasche und breite es auf dem Boden aus. Nachdem er nun bequem liegt und mit dem anderen Teil des Fells zugedeckt ist, habe ich endlich Zeit, ihn genauer zu betrachten. Seine Haut ist fast so weiß wie sein Haar, als wäre er nicht oft draußen, oder zumindest nicht tagsüber. Er erinnert mich an den Mond. Ein Vollmond über einem gefrorenen See in einer eisigen Winternacht...
Jack Frost.
Mir fallen weitere Details auf, wie die kleine Stupsnase in seinem fein geschnittenen Gesicht. Aber auch seine Wunden kann ich nun deutlicher sehen, und bei ihrem Anblick verdunkelt sich mein Gesicht. Seine Wange sieht übel aus. Jemand hat ihn mit voller Kraft geschlagen, und das hat einen heftigen Abdruck hinterlassen. Ich schneide mit dem Messer ein Stück Stoff von meinem Hemd und träufele etwas Wasser aus meiner Trinkflasche darauf. Sanft fahre ich ihm mit dem Lappen übers Gesicht, wasche Schmutz und Blut von seiner unglaublich weichen Haut und seinen noch weicheren Lippen. Danach mache ich an seinen Gelenken weiter, vorsichtig, um ihn nicht zu wecken. Ich bin gerade bei der letzten Verletzung angekommen, die an seinem linken Handgelenk, als er anfängt, sich zusammenzukrümmen.
„Bitte nicht", flüstert er. Besorgt schaue ich auf ihn hinab. Seine Hände greifen in die Leere, suchen nach etwas. „Jamie..."
„Es ist nur ein Traum, Jack", flüstere ich ihm beruhigend zu. Seine Hand krallt sich in mein Hemd.
Ich streiche sanft mit meiner darüber, bis er sich beruhigt und entkrampft. Seufzend lehne ich mich an Ohnezahn, der bereits schläft und nur hin und wieder ein zufriedenes Grummeln von sich gibt.
Seine Hand liegt noch immer in meiner. Sie ist kalt wie Eis. Ich nehme meine trotzdem nicht weg.

Winter (Hijack FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt