Vorstellungsrunde

5 2 0
                                    

"Raben? Was zum Teufel?" "Hol ihn bloß nicht her!" Ruben lachte. "Komm! Ich stelle dich den anderen vor!" Unsicher folgte ich ihn die Treppe hinab in den Saloon. Eine rothaarige Frau schenkte mir ein Lächeln: "Hi! Ich bin Myria! Freut mich, dich kennen zu lernen."  Ich schüttelte ihre Hand. "Hallo. Ich ähhh... bin Aaron." "Aaron. Sehr erfreut. Mein Name ist Mark."  Ein gut 1,90 großer Mann streckte mir seine vernarbte Hand hin. "Wird Zeit, dass sich die kleine Lydia auch mal vorstellt."  Eine schlanke Frau trat hinter Mark hervor und zog eine Jüngere hinter sich her. Diese versuchte verzweifelt, sich aus dem Schraubstockgriff der anderen zu befreien. "Das ist Lydia. Entschuldige, sie ist ein bisschen schüchtern." , meinte sie und gab mir die Hand, während Lydia prompt rot wurde, sich aus ihrem Griff entwand und  dann hinter Merk verschwand, der lächelnd einen Arm auf ihre Schulter legte."Typisch Jane. Nimm dich vor ihr in Acht, sie ist ein bisschen...ähh...sadistisch.", flüsterte Ruben mir zu und lachte erneut, wurde aber durch einen Koloss von Menschen, der plötzlich aus dem Schatten der Galerie trat, unterbrochen.

Dieser kam mit riesigen Schritten auf mich zu und wirkte dank seiner enormen Statur ziemlich einschüchternd auf mich, was wohl daran lag, das ich selbst nicht der kleinste war und es sich dementsprechend komisch anfühlte, von oben herab gemustert zu werden. Doch ich wollte mich nicht gleich als Feigling outen, weshalb ich den gut zwei Meter großen Kerl ansprach und hoffte, dass meine Stimme nicht allzu sehr zitterte: "Ich bin Aaron. Wer bist du?" Der Typ sah mich einfach nur lange an. Also tat ich es ihm gleich, bemerkte, dass er nicht nur groß, sondern auch muskelbepackt war und einen gewaltigen Hammer über dem Rücken trug, und hatte das spontane Bedürfnis, einen Schritt zurückzutreten, doch ich blieb wie festgefrohren auf meinem Platz. Der Typ hatte schon einiges erlebt, soviel stand fest. Seine Arme waren über und über tätoviert, was den Kontrast zu seinen zahlreichen Narben noch vergrößerte. Er trug ein simples Muskelshirt und eine abgewetzte kurze Hose, dazu mit Eisen beschlagene Kampfstiefel. Sein Gesicht passte genau zu seinem Körper: Vernarbt und struppige Haare, aber helle, aufmerksame Augen, die trotzdem irgendwie tot schienen. Ein Lächeln verzog sein Geicht zu einer grausigen Grimasse. "Adrian." sagte er nur mit einer heiseren Stimme. Dann drehte er sich auf der Stelle um und verschwand in einem Gang, welcher unter der Galerie hindurch zu mehreren Zimmern führte. Erst jetzt merkte ich, das es um mich herum still gworden war, lediglich Myria starrte Adrian wütend hinterher.

"Respekt.", murmelte Ruben neben mir.  Schließlich ergriff Myria wieder das Wort, indem sie sich an Ruben wandte: "Bist du dir sicher, dass er der richtige ist? Er wirkt irgendwie... schwächlich." Ich brauchte eine Sekunde, bis ich verstand, das ich mit dieser Äußerung gemeint war, was Myria aber nicht in geringster Weise zu kratzen schien. "Ich bin mir sicher. ", kam es zu meiner Überraschung von Ruben. Der Richtige? Wofür? Hä? "Sicher? Vielleicht sollten wir Ezeke..." "Ich bin mir sicher, Schwesterherz.", meinte Ruben nun etwas aufgebracht. "Das letzte Mal, mit Georg..." "Ich bin mir sicher verdammt!", zischte Ruben und riss mir mein Hemd vom Leib, wodurch alle die feine, weiße Narbe auf meiner Brust betrachten konnten und ich rot anlief. "Was sollte das? Warum hast du...?" Ich verstummte, als Myria mich durchdringend musterte. "Gut. Du kümmerst dich um ihn." Sie bedachte mich und Ruben noch mit einem vorwurfsvollen Blick, drehte sie sich um und verließ den Raum und auch die anderen zerstreuten sich.

"Komm mit!", meinte Ruben und lief auf den Flur zu, in dem eben der Riese verschwunden war. Dann öffnete er eine Tür, in deren Rahmen merkwürdige Zeichen eingeritzt waren, und wir betraten einen lichtdurchfluteten Gang, der an ein mittelalterliches Schloss erinnerte. Mehrere Bögen aus Sandstein stützten die Ziegeldecke, die Wände der linken Seite waren  mit Fenstern gesäumt, von der rechten Seite zweigten mehrere Zimmer ab. Doch so beeindruckend der Anblick auch war, ich konnte nicht länger an mich halten: "Was sollte das eben? Was sind die Raben, Ravens, wie auch immer? Ein Club? Warum ist euch meine Narbe so wichtig, und die verrückte Geschichte, die ich dir erzählt habe? Wer war dieser  riesige Typ? und vor allem: Was hat dieser Ezekeel mit der ganzen Sache zu tun? Verdammt, ich will Antworten!"  Ruben fuhr herum und packte mich am Kragen meines zerrissenen Hemds: "Jetzt hör mir mal gut zu, mein Freund! Entweder du hälst dich jetzt zurück, oder ich lösche jetzt dein Gedächnis und werfe dich hier achtkantig raus!" Dabei flackerte es in der Iris seiner Augen, zwischen dem sonstigem Grün erschien ein durchdringendes Rot. Ich keuchte entsetzt auf, weswegen er mich wieder auf den Boden stellte und sich abwendete.

Ruben atmete schwer: "Entschuldige. Ich habe die Kontrolle verloren. Es ist nur...momentan nicht so einfach für mich. Ich kann natürlich verstehen, dass du Fragen hast. Machen wir folgenden Deal: Du trainierst jetzt mit mir, und bestehst die Aufnahmeprüfung, und dafür darfst du mich danach nach allem fragen, was dir auf dem Herzen liegt. Es ist einfacher für uns beide. Ich kann dir dann erklären, was du erlebt hast. Und bevor du fragst, die Aufnahmeprüfung ist ein Zweikampf. Ja, ein Zweikampf. Aber keine Sorge, dir passiert nichts. Das garantiere ich dir. Sieh einfach nur zu das du den bestehst. Ezekeel wird dich prüfen. Ihn kennst du ja. Auch, wenn das hier alles komplett Surreal erscheint. Vertrau mir. Bitte!" Er sah mich an, und ich stellte fest, dass seine Augen stark blutunterlaufen hervorstachen, aber wieder die grüne Farbe angenommen hatten.

Ich schluckte. So etwas musste ich erst einmal verdauen. Ein Zweikampf. Wie im Mittelalter. Gegen einen Mörder. Und ich sollte jemandem vertrauen, der mich vor zwei Sekunden noch bedroht hatte. Als ich seinem Blick begegnete, sah ich Trauer darin. Aber auch Entschlossenheit. Was soll's, dachte ich mir, ich werde herausfinden, was diese ganze abstruse Scheiße eigentlich sollte. Immerhin hatte dieser Ezekeel mich schon einmal getötet. Und war gescheitert. Oder war das Absicht?

"Ich brauche eine Pause", meinte ich zu Ruben. "Gern", erwiderte dieser: "Aber wir haben nicht viel Zeit. Die Aufnahmeprüfung ist morgen früh, und du musst ausgeschlafen sein. Am Ende des Ganges ist ein Umkleideraum, da liegt passende Kleidung für dich bereit. Komm einfach in 20 Minuten zurück."

Der Gefallene - WiedergeburtOnde histórias criam vida. Descubra agora