Schließfach BY-397

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Schlaftrunken schloss ich die Wohnungstür hinter mir. Ein Blick auf die Uhr. 3:37. Morgens. Was wollte man denn so früh von mir? Vor allem mein Chef? Ich hab das letzte Mal mit ihm geredet, als er mich eingestellt hat. Er war genau so, wie man sich einen waschechten Bänker vorstellt. Grauer Anzug mit blauem Schlips. Dazu ölige Haare und der immer etwas herablassende Blick und Tonfall. Außerdem noch eine teure Aktentasche. Ich mochte ihn nicht. Seufzend trottete ich die Treppen des mehrstöckigen, typischen Innenstadtshaus, das ich mein Zuhause nannte, hinunter.

Warum um alles in der Welt war dieser Termin so dringend? Warum kann "Businessmen" Herr Matthias Kloppenstedt nicht einfach die 2 1/2 Stunden warten, bis meine Schicht sowieso anfangen würde. Was wollte man mit einem Mitarbeiter in der Probezeit besprechen, dass man seinen selbstgefälligigen Arsch zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett bewegte? Ich zuckte mit den Schultern, verließ das nach dreckiger Wäsche riechende Treppenhaus und machte mich zur nächsten U-Bahn Station auf. Auf den Straßen herrschte tote Hose, nur ein paar dämliche Krähen kämpften sich laut kreischend um einen halb aufgegessenen Bagel. Zu allem Überfluss setzte dann noch ein leichter Nieselregen ein und meine Laune sank auf den Nullpunkt. Ich betrat einen Kiosk, in dem der Besitzer gerade die Zeitungen einräumte und orderte einen Kaffee. "Denkste. Ich schmeiß doch jetzt nicht die Maschine an. Um diese Zeit!" Mein Blick fiel auf einen dieser großen, beleuchteten Softdrink-Kühlschränke. "Dann eine Cola, ich brauch Koffein." Grummelnd stellte er mir eine Cola vor die Nase, weshalb ich wortlos 2 Euro auf die Theke knallte und den Laden verließ.

Mit schnellen Schritten erreichte ich die U-Bahn Station und hier war dann doch etwas mehr los. Schichtarbeiter kehrten nach Hause zurück. Postboten, die bei dem ekelhaften Wetter nicht im Regen herumstiefeln wollten, nutzten die öffentlichen Verkehrsmittel. Das hohle Dröhnen des Zuges kündigte dessen Ankunft an. "Zurücktreten bitte!" leierte eine Computerstimme. Mit einem Ruck setzte die Bahn sich in Bewegung. Ich fuhr zwei Stationen und stieg dann in die U6 um. Wieder zwei Stationen. Dann stolperte ich zurück ans Tageslicht.

Zwei Straßen weiter lag die Bank, in der ich arbeitete. Die hell erleuchtete, obere Etage von eben dieser bildete einen bizarren Kontrast zu den noch abgedunkelten, grauen Fassaden des restlichen Gewerbegebiets. Ich schob mich durch die Glastür, betrat die Garderobe der Mitarbeiter und hängte meine Jacke auf. Über eine moderne Eck-Treppe erreichte ich die Chef-Etage. Ein langer Flur, von dem zwei Besprechungszimmer abgingen, führte zum Büro vom Boss. Dieser begrüßte mich ohne aufzublicken: "Holen sie mir bitte den Inhalt des Schließfachs BY-397. Den Schlüssel finden sie im Schlüsseltresor." Irgendwie hatte ich das Gefühl, das hier etwas nicht stimmte. Warum konnte er sich sein doofes Schließfach nicht selber holen? "Ach, wundern sie sich nicht, das Licht im Keller ist ausgefallen." Hatte er Angst vor der Dunkelheit? Ich musste grinsen. Das passt zu ihm. Tags der souveräne, schmierige Bankmitarbeiter, nachts ein ängstliches Weichei. Dunkelheit machte mir nichts aus, ich fühlte mich eher wohl dabei, mal nicht auf einem Präsentierteller zu sitzen. Ich öffnete den Schlüsseltresor mit meiner Keycard und griff nach dem richtigen Schlüssel. Dann ging ich die Treppe nach unten und den langen Gang entlang.

Langsam tastete Ich mich in der Dunkelheit nach vorne. Warum war im Tresortrakt das Licht ausgefallen? Gab es hier nicht ein Notstromaggregat? Ein Rumpeln in der Etage über mir schreckte mich auf. Ach, du dämlicher Schisser. Jetzt doch Angst im Dunkeln? War bestimmt nur Einbildung. Ich zog mein Smartphone aus der Tasche und schaltete die Taschenlampe ein. Der Tresor lag am Ende des Ganges, daher musste ich erst noch zwei schwere Gittertüren passieren. Aua. Dämliche Dunkelheit.

Das Innere des Tresors war zum Leidwesen meiner Augen jedoch ziemlich hell erleuchtet, die Neonröhre unter der Decke schien von dem Stromausfall anscheinend nicht betroffen zu sein. Ich suchte die Schließfächer ab, fand BY-397 und holte die sich darin befindlichen Gegenstände heraus. Ein komisch geformter Metallstab. Mit etwas Fantasie hätte es ein Schlüssel sein können. Und mehrere Zettel, beschrieben mit einer mir unbekannten Schrift. 

Als ich schließlich wieder die Eck-Treppe zum oberen Flur hinaufstieg, vernahm ich leise Stimmen: "Ich...ich wusste das alles gar nicht!" Eindeutig Herr Kloppenstedt. Seine Stimme klang seltsamerweise irgendwie gepresst. "Ach? Du wusstest es nicht? Hast nicht damit gerechnet, dass sie den Schlüssel bei dir verstecken? Dass sie dich loswerden wollen? Weil du zu viel weißt? Wie Naiv!" Jemand lachte. Hoch und mit einem Hauch von Wahnsinn darin.

Mir lief der Schweiß von der Stirn. "Du weißt, was jetzt passiert, oder Matthias? Du weißt es! Doch zuerst sag mir: Wo ist der Schlüssel?" "Mmmmein...mein Angestellter holt ihn gerade." "Dann warten wir eben." Wir? Warten ? Auf mich? Ganz sicher nicht! Ich wollte mich aus dem Staub machen, doch in dem Moment schlug die Glastür im Eingangsbereich zu. "Ezekeel! Bist du so weit? Wir müssen los!" Ich spähte über das Geländer und erblickte einen gewaltigen Hünen im Foyer, der unruhig auf und ab lief.

Ich musste ein Keuchen unterdrücken. Mein Herz pumpte wie verrückt. Der Mann war nicht nur besonders groß, sondern hatte vier starke, pferdeähnliche Beine. Vier! Er erinnerte mich an einen Zentauren aus den Fantasy-Geschichten, die ich als Kind sehr geliebt hatte. Nur hatte er keinen Bogen bei sich, sondern ein vollautomatisches Schnellfeuergewehr. Und war, nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, auch mehr als bereit dazu, dieses zu benutzen. Ich saß in der Falle.


Der Gefallene - WiedergeburtOn viuen les histories. Descobreix ara