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Während er mich weiter über den Friedhof führte kamen wir an unzähligen Gruften und Gräbern vorbei. Es gab prächtige Grabsteine mit beeindruckenden Marmor Figuren, deren Schönheit ich nur im Lichtschimmer Balors Lampe erahnen konnte, aber auch einige einfache Holzkreuze. Irgendwann, nach dem er die ganze Zeit über geschwiegen hatte, entschuldigte er sich, lies meine Hand los und ging geradewegs auf ein großes Grab zu. Ich wagte nicht ihm hinter her zugehen aber konnte sehen, wie er sich vor den Grabstein kniete. Ein paar Momente verharrte er in dieser Position, bis er aufstand und wieder zu mir kam. "Weiter gehts", war alles was er zu mir sagte. Ich wagte nicht zu fragen, was dort war, aber konnte es mir doch denken. Ohne ein weiteres Wort nahm er wieder meine Hand und irgendwie war es ein abstrakter Moment. Diese fast schon zärtliche Geste von einem Kerl, der Menschen tötet um sie zu essen. Es war merkwürdig aber er wirkte in diesem Moment einfach viel weniger bedrohlich. Er führte mich zu einer kleinen Kapelle die auf einem kleinen Hügel den Friedhof etwas überragte. Es sah so friedlich aus und ich wünschte mir, dass Balor mir diesen Ort noch einmal bei Tageslicht zeigen würde. Von hier konnte man gut das Gebiet der Lunatics überschauen. "Siehst du, da ganz hinten, der Ort mit dem Flutlicht?" ich folgte seinem Blick und es war kaum zu übersehen. "Da ist der Grenzübergang. Wenn du hier weg willst, musst du genau dort hin. Da kontrollieren sie dich, mit deiner ID werden sie dich reinlassen" Er schwieg einen Moment. Dann hob er seinen Finger, entlang einer schwächer leuchtenden Linie, die in beide Richtungen vom Grenzübergang weg führte. "Wenn du versuchst dort über die Grenze zu kommen, dann erschießen sie dich. Egal ob Freund, Feind oder Daddys little girl"

Mir lief ein Schauer über den Rücken. "Einfach so?", murmelte ich und Balor nickte nur knapp "Die haben den Befehl auf alles zu schießen, was jenseits des Übergangs in die Stadt will". Verständnislos schüttelte ich den Kopf. Ich wusste, dass streng kontrolliert wurde wer rein durfte, deswegen wusste ich ja auch, dass ich ohne ID keine Chance hätte. Aber das Menschen dort ihr Leben verlieren würden, das war ein Schock für mich. Ich zögerte einen Moment, ehe ich mich räusperte und leise meiner Verwunderung nachgab. "Und... Und warum erzählst du mir das jetzt?" Er zuckte mit den Schultern. "Ich zeige dir lediglich wo du hin musst. Es sind gut und gerne um die 10 oder 15 Kilometer. Wenn du hier weg willst, dann bist du ein freies Vögelchen. Ich halte dich nicht auf." Er kramte in der Tasche seines schwarzen Hoodies und hielt mir schließlich ein Stück Plastik vor die Nase." Ich zog verwundert eine Augenbraue in die Höhe "Meine ID? Wow wie großzügig.... " Er stand auf und lachte abfällig. "Ich dachte ich mache dir eine Freude. Aber scheinbar macht man bei dir nie etwas richtig." Ich schnaubte wütend auf und stopfte meinen Ausweis in die Hosentasche, ehe ich auch aufstand und an ihm vorbei ging. "Und was gedenkst du soll ich machen? Vor Freude in die Luft springen, weil ich jetzt die Gelegenheit bekomme 15 Kilometer in meine Freiheit zu wandern?"

Er lief vor, mit den Händen in seinen Taschen. "Ich sag nur, dass es dir jederzeit frei steht zu gehen. Und das du achtsam sein musst. Wie du das bewerkstelligst ist mir ziemlich egal." Der Spott war deutlich in seiner Stimme zu hören. "Du bist aber eingeladen hier zu bleiben. Völlig freiwillig", er schien sich selbst mit der Taschenlampe, die er wieder angeknipst hatte, in sein Gesicht. So konnte ich sehen, dass er mir zuzwinkerte. Seufzend marschierte ich zu ihm und sprach kein weiteres Wort. "Ist Prinzessin jetzt eingeschnappt?" Ich schüttelte den Kopf "Fick dich, Balor.."

Schweigend führte er mich nun wieder zurück über den Friedhof, den Hügel runter. Ich hatte keine Ahnung wie lange wir dort oben waren, aber es waren nicht mehr so viele von den Lunatics unterwegs. Auf dem großen Platz, wo wir vor ein paar Stunden noch mit den ganzen anderen waren, war nun eine unheimliche, bedrückende Totenstille. Hier blieb Balor auch schließlich stehen. "Du kennst den Weg zu deinem Wohnwagen? Du solltest dich ein paar Stunden aufs Ohr hauen, wir haben morgen einiges auf dem Plan." Ich nickte nur und lief dann den Kieselweg hoch. Die Ärmel meines Pullis zog ich mir über die Knöchel, ein eisiger Wind wehte mittlerweile. Oder war es einfach nur die Müdigkeit? Ich war wirklich erschöpft und sehnte mich nach nach meinem Bett zu Hause. Hier erwartete mich lediglich das durchgelegene Bettgestell in meinem Unterschlupf. Seufzend trat ich die Tür auf und rieb mir müde die Augen. Zum Glück gab es am Kopfende des Bettes eine kleine Wandlampe, diese knipste ich nun an, während ich mich hinlegte. Ich ließ meine Klamotten an, fühlte mich so einfach ein wenig geschützt. Ich spürte das Plastik meines IDs in der Hosentasche und nahm ihn heraus. Das hier war so etwas wie mein Ticket in die Freiheit. Ich betrachtete mein Bild, es war schon ein paar Jahre alt, aber wirklich verändert hatte ich mich seit dem nicht wirklich. Ich strich über das glatte Plastik und musste grinsen, ich dachte, dass das das größere Problem wäre, an den Ausweis zu kommen. Aber jetzt gerade schien der Weg nach Hause noch viel, viel unmöglicher. Aber ich wollte nicht aufgeben, die Tage hatte ich viel Zeit mir die Gegend anzuschauen und einen Plan zu schmieden.

Gerade als ich das Licht ausmachen wollte klopfte es an meiner Tür. "Komm rein, wenn du nicht Balor bist". Angespannt beobachtete, wie sich die Tür langsam öffnete. Von Gangleader hatte ich wirklich für heute genug, aber zum Glück war es Dancer, der seinen Kopf nun durch die Tür streckte. "Ich hab gedacht, dass du vielleicht Hunger hast!?" Und wie recht er hatte. Das letzte mal, als ich etwas gegessen hatte, war an dem Morgen als wir hier her aufbrachen. Beim Essen hier im Lager enthielt ich mich aus guten Gründen. Ich druckste ein wenig herum." Ja schon... Aber keine zehn Pferde bringen mich dazu etwas von euch zu essen..." Dancer nahm wieder auf dem Stuhl Platz und grinste mich an. Er hatte einen Rucksack dabei und öffnete diesen. "Du hast Glück, für morgen hat sich hoher Besuch angekündigt." Ich horchte auf. "Reiche ich euch schon nicht mehr?", spielte ich gekränkt. Er schüttelte lachend den Kopf "Nein. Du bist immer noch unser Highlight. Aber morgen kommt Byron zu Besuch. Und wenn er kommt bringt er immer etwas mit" Er griff in den schwarzen Rucksack und es raschelte verheißungsvoll. "Wer ist Byron und was bringt er mit?" Ich machte große Augen, als ich erkannte, was Dancer da hatte. Chips, Schokolade und getrocknete Früchte. "Balors Bruder. Und genau sowas bringt er mit." Ich hatte mir direkt eine kleine Tüte Chips geschnappt und hatte mir gerade einen genüsslich in den Mund geschoben, als ich mich verschluckte. "Was??? Davon gibt es zwei???" Darauf konnte ich verzichten. Dancer schaute mich nur verständnislos an. "Byron ist nicht so wie Balor." "Oh, das glaube ich erst, wenn ich es sehe", entgegnete ich ungläubig.

Dancer blieb noch eine Weile und wir redeten über alles mögliche. Er wollte unbedingt wissen, wie das Leben in der Stadt war und was er alles verpassen würde. Vielleicht würde ich ihn ja doch irgendwie auf meine Seite ziehen können. Als er schließlich weg war, ließ ich mich wieder ins Bett fallen und es dauerte auch nicht lange, bis ich in einen traumlosen Schlaf fiel.

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