Kapitel 22

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Cora wollte den Mund aufmachen, doch ich befürchtete, dass sie nicht so schnell schalten würde, weshalb ich ihr zuvor kam. "Hat sie nicht. Sie hat für mich spioniert", log ich und versuchte meiner Doppelgängerin in der Bewegung ähnlich zu sein. Nur meine Kleidung passte nicht. Sie trug...andere Dinge. Kürzere Kleider. 

Kurz sah ich zu Cora, die nun nickte. Gemeinsam begannen wir dann, als hätten wir es abgesprochen, rückwärts zu gehen. Wobei sie jedoch jemanden anrempelte und als ich diese Person sah, schloss ich kurz die Augen.

"Will ich wissen, wer es ist?", kam es von Cora. "Heute ist euer Glückstag." Es war Kenna. Unsere Tarnung flog in genau diesem Moment auf. Als die Soldatin es verstand, hielt Dave ihr jedoch ein Schwert an den Hals. "Auf einen solchen Moment habe ich schon ewig gewartet", sagte er mit kalter Stimme. Ein Satz, den der alte Dave vielleicht gesagt hätte. Doch dieser würde ihn anders betonen.

Während sein Doppelgänger kalt war, nahm Dave die meisten Dinge recht locker. Vor allem solche Situationen, auch wenn sie den Tod bedeuten konnten. "Ich nicht", gab Kenna zu, "doch ich kann damit leben." Dann schnitt Dave dem Engel die Kehle durch und ich sah schnell weg. Zwar konnte ich Blut sehen, doch das war zu viel.

Es waren nicht allzu viele und Dave und Kenna kamen gut zurecht. Doch es kamen immer mehr, bis weiter hinten eine weibliche Gestalt auftauchte. "Aufhören", rief sie und es erschreckte mich, dass es sich um meine Stimme handelte. Zwar hatte ich meine Doppelgängerin bereits einmal gesehen, doch verblüffend war die Ähnlichkeit dennoch.

Sofort hörten die Kampfhandlungen auf beiden Seiten auf. Kenna kam mit ihrem Schwert neben mir, Dave stellte sich vor Cora. Warum, war mir ein Rätsel. Neben meiner Doppelgängerin und dem von Raphael tauchte eine weitere Gestalt auf. Erst dachte ich, es sei ein Doppelgänger, doch ich konnte bei ihm keine Dunkelheit spüren.

"Michael?", wollte ich wissen und er schenkte mir ein leicht entschuldigendes Lächeln. "Citiana, es tut mir wirklich leid. Das musst du wissen", erklärte er und diese Entschuldigung klang aufrichtig. Doch er hatte uns hintergangen. Während wir ihr Hauptquartier herausgefunden haben, musste er ihnen unseren Standort genannt haben.

"Verräter", spuckte Cora und ich konnte dem nur zustimmen. Wieso hatte er das getan? Er mochte keine Menschen, das wusste ich. Aber musste er sich deshalb auf die Seite des Feindes schlagen? "Er hat verhandelt", ertönte die Stimme meiner Doppelgängerin. Das war mir egal, er hatte uns verraten.

Doch eine andere Sache machte mich neugierig. "Zu wem gehört diese Armee? Die Uniformen sind nicht deine, Michael." Das war wichtig. Wir mussten wissen, wer sie ebenfalls unterstützte. "Wir sind nicht die einzigen Erzengel, Citiana. Das solltest du doch wissen", erklärte er. Ja, das wusste ich. Doch ich dachte den anderen sei die Erde egal.

In seiner Stimme schwamm auch eine unterschwellige Warnung mit. Ein weiterer Erzengel war auf die Erde gekommen und er schien gefährlich zu sein. Mein Blick glitt von Michael wieder zu meiner Doppelgängerin. Gerade als ich etwas sagen wollte, öffnete sie den Mund.

"Kenna, wir waren einmal Freunde", sagte sie. Sie schien zu versuchen, freundlich zu klingen. Doch es misslang ihr kläglich. Kenna lachte auf. "Du hast keine Freunde", entgegnete sie. "Nein, du bist ein Monster." "Dann müsstest du doch auch eins sein", schlussfolgerte meine Doppelgängerin. 

Kenna war kein Monster, dachte ich. Sie mochte kompliziert sein, was ihre Art zu sein scheint. Ohne Gefühle war das wohl auch verständlich. Doch wäre sie ein Monster, hätte sie uns nicht geholfen. Sie konnte richtig von falsch unterscheiden.

"Im Gegensatz zu dir akzeptiere ich das", sagte sie dann. Azzurra hatte gesagt, der Grund, weshalb sie den inneren Kampf gewonnen hat war, weil sie ihre dunkle Seite akzeptiert hatte. Musste ich das auch, um meine Doppelgängerin aufnehmen zu können? Wenn ja, was war meine dunkle Seite?

Darüber musste ich später nachdenken. Erneut fiel mein Blick auf Michael. "Wie lautet der Deal, den du dir scheinbar so sehr wünscht?", wollte ich wissen. Sie hatten verhandelt, also musste ein Deal zustande gekommen sein. Denn schließlich war er noch immer am Leben. 

"Deine Seele gegen Frieden", antwortete er dann. Mehr nicht? Nur das? "Das kannst du nicht ernsthaft glauben", gab Dave von sich. Kenna stimmte zu. "Das ist naiv. Sie möchte keinen Frieden, sondern Chaos." Dem war ich mir bewusst. Doch ich könnte auf den Deal eingehen und versuchen, sie von innen heraus zu besiegen.

Nur war ich noch nicht soweit. Ich musste herausfinden, weshalb sich eine Doppelgängerin von mir entwickelt hat. Was genau meine dunkle Seite war. Nur wenn ich das dann akzeptierte, würde ich gewinnen.

"Vielleicht würde ich darauf eingehen, wenn ich wüsste, dass es nicht gelogen wäre", gab ich also zu. Eine Absage. "Doch leider muss ich passen." Raphaels Doppelgänger machte einen Schritt auf mich zu.

"Dann wird der Erzengel sterben", sagte er. Dachte er wirklich, Michaels Leben würde mich kümmern? Ich kannte ihn kaum. Also hob ich leicht mein Kinn. "Dann ist es so. Ich kümmere mich nur um Freunde, nicht um Verräter." Und genau das war er. Egal wie gut er es gemeint hatte. Vorher hätte er mit uns reden müssen. Doch er entschied sich lieber dazu, uns zu hintergehen.

Ohne zu zögern stieß Raphael ihm dann das Schwert in den Bauch. Michael, der sich den Bauch hielt, sah zu mir. "Nicht alles was glänzt ist auch aus Gold." Nachdem er das sagte, kippte er um. Was meinte er damit? War das eine Warnung? Aber wovor? Und warum sollte er das tun, wenn er uns doch verraten hat?

Gern hätte ich weiter über all das nachgedacht, mehr Zeit gehabt. Doch die hatte ich nicht. Die Doppelgänger standen vor uns. Hinter ihnen Soldaten eines Erzengels, den wir nicht kannten und doch indirekt als einen Feind ansehen mussten. Das ließ mich schlucken. Nicht schon wieder einen verfeindeten Erzengel, dachte ich.

"Nun, wie wird das hier ausgehen? Was denkt ihr?", wollte Raphaels Doppelgänger wissen und spreizte mit einem kühlen Grinsen die Flügel. Sie waren wirklich pechschwarz. So anders als Raphaels weiße, mit Federn bedeckte Flügel, die man bereits aus weiter Entfernung erkennen konnte.

"Wir werden gewinnen", entgegnete ich und versuchte recht selbstsicher rüberzukommen. "Die Guten gewinnen immer." Eine Lüge. Die Menschen haben den Krieg damals verloren. Doch waren sie die Guten? Gab es in dem Krieg überhaupt gut und böse?

Meine Doppelgängerin lachte leicht auf. "Aber zu welchem Preis? Malia, Azzurra und Michael werden nicht die einzigen Toten bleiben." Sie klang sich dabei so sicher. Als hätte sie bereits den nächsten Tod geplant. Als wüsste sie bereits, wen genau es treffen wird. Und genau das machte mir Angst.

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