Kapitel 14

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Vermutlich wusste er ihn, weil er Gedanken lesen konnte. Ich dachte nicht weiter darüber nach und wir machten uns auf den Weg. Seth versicherte mir, dass niemand sein Tier sehen konnte. Dafür sorgte er. Menschen und Engel würden sich gleichermaßen vor ihm fürchten, dabei sei er freundlich und sogar stubenrein.

Er würde Nachts das Haus bewachen. Ich würde ihm gern sagen, dass wir das nicht brauchten. Dass er lieber die Kinder bewachen sollte. Doch das traute ich mich nicht. Ich kannte Seth nicht. Wusste nichts über seine Art. Er war am Ende des Tages ein Totengott. Auch wenn er und Kenna mir versicherten, dass das nicht zwingend böse auszulegen sei, traute ich ihm noch nicht allzu sehr über den Weg.

"Sag deinem Gatten lieber nicht, wer genau ich bin", sagte Seth beim laufen. Verwirrt sah ich zu ihm. "Wieso?", wollte ich wissen. "Wir hatten...unsere Differenzen", antwortete er daraufhin. Natürlich, sie lebten zeitgleich auf dieser Welt. Beide waren älter als die Menschen. Wieso sollten sie sich also nicht kennen?

Dann sah ich zu ihm. Seine menschliche Gestalt hatte hellblondes Haar und blaue Augen. Die Farbe erinnerte mich an Dave. "Warum? War er nicht grausam genug?", fragte ich und hob eine Augenbraue. "Du unterschätzt mich, Citiana", entgegnete er. Es waren Vorurteile, die aus mir sprachen. Denn alles und jeder sagte, die Kreaturen seien gefährlich. 

Doch wenn man jetzt mit ihm lief, wirkte er das nicht. Stattdessen sah er aus wie ein normaler Mensch mit zerlumpter Kleidung. "Ich bin ein Gott. Gerecht, nicht grausam. Das war die Aufgabe der Engel gewesen", erklärte er dann. Dass die Engel früher grausam waren, hatten Raziel und Raphael bereits angedeutet.

"Auch Raphael?", wollte ich deshalb wissen. Die früheren Gerüchte kamen nicht aus dem Nichts. Irgendetwas wahres mussten sie ja haben. "Raphael war jung und impulsiv, als ich ihn kennenlernte. Aber er hat sich verändert", sagte er. "Nun ist er weiser." Fragend runzelte ich die Stirn. Woher wusste er das? Er musste ihn ewig nicht gesehen haben.

"Ich kann es in deinem Kopf sehen", antwortete er auf meine gedachte Frage. Ich nickte. Dann sagte Kenna zum ersten mal seit einer Weile etwas. "Aber er wird dich doch erkennen." Das bezog sich darauf, dass wir seine wahre Identität verschweigen sollten. Doch er schüttelte den Kopf.

"Früher konnten wir in unserer wahren Gestalt rumlaufen. Auch Engel sehen nicht so aus, wie sie sich euch präsentieren. Ihr müsst bei deinen Kindern nur ganz genau hinschauen, dann seht ihr es", sagte er. Das war mir allerdings neu. Ich war mit Engeln aufgewachsen. Habe mit einem Erzengel zwei wunderbare Kinder. Doch davon wusste ich rein gar nichts.

Vielleicht würde ich Raphael darauf ansprechen. Doch andererseits; war das denn wichtig? Das änderte Raphael doch nicht. Sein Charakter blieb der gleiche. Egal wie er aussah. Vielleicht wollte ich auch einfach nicht wissen, wie seine wahre Gestalt aussah. Womöglich wusste er das selber kaum noch.

Irgendwann kamen wir bei uns an. Seth schickte seinen...Hund los. War es denn ein Hund? "Nenn ihn Luc", sagte Seth dann. Luc. Ich nickte. Das würde ich mir merken. Dann gingen wir hinein. Kenna folgte uns beiden und schloss die Tür. Sofort kam Cora zu mir.

"Du solltest aufhören, einfach irgendwo hinzugehen", kam es von ihr. Dann sah sie zu Kenna und Seth. Scheinbar war sie überrascht, erneut ein neues Gesicht zu sehen. "Und du solltest aufhören, Fremde mitzubringen." Das tat ich wirklich häufig. Brooke hatte auch ich damals hergebracht. Kenna habe ich ebenfalls vorgestellt und auch Daves Doppelgänger schleppte ich mit an.

Coras Augen blieben bei Seth hängen. Auch sie würde ich anlügen müssen, denn sie würde es Azzurra erzählen und diese Raphael. Ich hasste es, meine beste Freundin anzulügen. Wirklich. "Wer ist das?", wollte sie dann wissen. Schnell musste ich mir etwas überlegen, denn darüber hatte ich noch nicht nachgedacht.

"Seth Gauthier", stellte er sich vor und reichte ihr höflich die Hand. Verwirrt nahm Cora diese und nickte. "Engel oder Doppelgänger?", fragte sie, als sie ihre Hand wieder wegnahm. "Mensch", antwortete dieser dann. Würde das auch sicher niemand merken? Im Gegensatz zu den Doppelgängern versprühte er keine dunkle Aura. Das war doch ein Vorteil, oder?

Schnell erklärte ich ihr dann, er sei, wie Brooke, in der Armee gewesen und könne kämpfen. Etwas, was wir gebrauchen könnten. Und sie nahm es so hin. Dann sagte sie, es gäbe Essen und ging in Richtung Esszimmer. Kenna und ich sahen uns an. "Er schläft hier. Wenn er bei Dave und mir ist, wird einem von ihnen klar, dass er nicht so unschuldig ist wie er tut." Mit diesen Worten folgte sie Cora

Sie wusste also, dass sie in diesem Haus im Grunde nicht wirklich erwünscht war. Aufgrund dessen was sie war. Dabei musste ich zugeben, dass ich sie nach dem heutigen Tag gar nicht mehr als so gefährlich einstufte. Doch ich kannte meine Doppelgängerin und wusste auch, dass ich mich irren konnte.

Nur weil sie kurzzeitig freundlich sein konnte, hatte das noch lange nichts zu bedeuten. Am Ende war es besser wenn weder sie noch Dave hier im Haus lebten. Kurz sah ich dann zu Seth. Und er? War es für alle sicher hier? Er musste meine Zweifel kennen, schließlich konnte er Gedanken lesen. Doch er sagte nichts dazu und folgte den beiden. Also tat ich es ebenfalls.

Wir setzten uns zu den anderen. Ich nahm neben Raphael platz. Er, Raziel und Azzurra musterten den Neuzugang. Cora sagte, sie habe es ihnen schnell erklärt. Während Raphael dann nur nickte und es zu akzeptieren schien, sahen Raziel und Azzurra etwas länger hin. Ob sie es merkten? Schließlich hatten sie ihre Doppelgänger aufgenommen.

Wenn sie es taten, schwiegen sie jedoch und begannen zu essen. Seth schlug zu. Ihm schien das Mittagessen zu schmecken. Nur Kenna sah stumm ihren Teller an. "Hast du keinen Hunger?", wollte Cora dann wissen. Sie sah auf. Und wirkte nicht sonderlich glücklich über diese Frage. "Ich esse so etwas nicht", antwortete sie kühl. 

Aßen Doppelgänger überhaupt irgendetwas? Weder sie noch Dave hatten wir essen sehen. Azzurra und Raziel konnten es problemlos zu sich nehmen. Seth nahm sich Kennas Teller und aß ihr Essen auf. "Was genau isst du denn?", fragte Cora weiter. Etwas, was mich ebenfalls interessierte. 

"Das möchtest du nicht wissen", kam es dann von ihr. "Blut", sagte Seth. "Sie brauchen Blut. Die Quelle des Lebens." Ich verschluckte mich an meinem Essen. Blut? "Wie Vampire?" Auch das kam von Cora. 

"Sei nicht albern. So etwas wie Vampire gibt es nicht. Aber diese Legenden sind ebenfalls durch uns entstanden", erklärte Kenna dann. Wie die Mythen über Dämonen. Dann fuhr sie fort und sagte, ohne Blut wären sie nicht lebensfähig und würden enden wie die Seelen; tot und ohne jeden Verstand. Dabei spiele die Art des Blutes kaum eine Rolle.

Und allzu oft müssten sie es ebenfalls nicht zu sich nehmen. Einmal die Woche reiche. Sie hatte ihre Mahlzeit wohl schon. Normales Essen schmecke für sie nach nichts. Sie könne auch nicht verstehen, wie man Gefallen daran finden kann. 

Während sie das erklärte, verging mir allmählich der Appetit, sodass ich einen Teil meines Essens auf dem Teller ließ. Für die Zukunft sollten wir solche Gespräche, wie interessant sie auch sein mögen, nach dem essen führen. Definitiv.

Als alle fertig waren, räumten wir den Tisch gemeinsam ab. Jeder stellte seinen Teller in die Spülmaschine, welche Cora dann anschmiss. Ich kochte mir dann noch einen Kaffee. Azzurra blieb in der Küche, während ihre Freundin sich verabschiedete, um in den Garten zu gehen. Sie sah besorgt aus.

"Wo habt ihr diesen Seth gefunden?", wollte sie dann wissen. Kenna war nicht hier, die lügen konnte. Oder Seth selber, der sich scheinbar eine Geschichte ausgedacht hatte. Also was sollte ich ihr sagen? Dass wir ihn bei Raziels Doppelgänger im Keller gefunden haben? Dass er aus der Unterwelt stammt? Sie würde vermutlich durchdrehen. So wie jeder mit ein wenig Verstand.


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