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Die nächsten Tage lag Patrick ausschließlich auf dem Sofa oder im Bett. Er fühlte sich antriebslos und hatte keine Lust auch nur einen Finger zu heben. Es musste wohl daran liegen, dass er etwas ausbrütete, so seine Theorie, die zugegebenermaßen völlig irrsinnig war. Die Einsamkeit machte ihm zu schaffen. Er hatte das ungute Gefühl, verrückt zu werden. Zu allem Überfluss hatte es erneut geregnet. Patrick musste erkennen, dass er wohl noch länger auf seinem Hof festsitzen würde. Also riss er sich zusammen, mobilisierte alle restlichen Kräfte, stülpte seine gelben Gummistiefel über die Füße und trat vor die Tür in den Schlamm. Patrick hatte beschlossen, die Bretter des zerstörten Schuppens aufzustapeln, abzudecken und bei besserer Wetterlage die unbrauchbaren zu entsorgen. Die anderen konnten derweil etwas trocknen und zu einem anderen Projekt dienen, so war sein Plan.

Nach einer Weile bemerkte er einen Mann, der sich auf einem Stapel Bretter niedergelassen hatte. Verwundert zog Patrick die Brauen zusammen und schüttelte sich. Das konnte nicht wahr sein. Als er vorsichtig wieder in Richtung Bretter schaute, hatte sich nichts verändert. Patrick hatte diesen Mann schon einige Male in der Dorfkneipe gesehen. Wie er hier hoch gekommen war, war ihm ein Rätsel. Nun richteten sich die Augen des Mannes auf ihn. So starrten sie sich eine ganze Weile an, bis Patrick fragte:" Wer sind sie und was tun sie hier?" Der Mann antwortete nicht, stattdessen sprang er von dem Bretterstapel und lief in Richtung Haus." Hey," rief Patrick ihm nach," Wo wollen sie hin?" " Mir einen Tee machen, da will ich hin," kam es zurück. Völlig sprachlos blieb Patrick stehen. Dann begannen sich seine Beine plötzlich wie von allein und immer schneller zu bewegen." Sie können doch nicht einfach...." . Den Rest des Satzes konnte er gar nicht aussprechen, so schnell lag er plötzlich im Matsch. "Ich bin dann mal im Haus.," schallte es von irgendwoher.

Nach mehreren vergeblichen Versuchen, den Mann aus dem Haus zu werfen, gab Patrick ratlos auf und sah skeptisch dabei zu, wie der Mann genüsslich seinen Tee schlürfte. Der Mann erwiderte seinen Blick unbeeindruckt und sagte:" Ich bin Johann." Aha" Johann Wolfgang, um genauer zu sein" " So so" Leicht erregt von Patricks Desinteresse schob er mit Nachdruck nach:" Sie verstehen nicht." " Was gibt es da zu verstehen?" " Mein Name ist Johann Wolfgang von Goethe. Sie müssten doch schon mal von mir gehört haben oder nicht?" " Nein, wieso? Sind sie ein Moderator im Fernsehen?" Irritiert hob Goethe eine Augenbraue:" Nein." " Hm, und was tun sie sonst so beruflich?," fragte Patrick genervt. "Ich dichte." " Ich wusste gar nicht, dass Dichter heutzutage noch berühmt werden." Goethes Brust schwoll vor Stolz an "Tja, da bin ich wohl eine Ausnahme. "Patrick schwieg. Er wusste einfach nicht, was er von diesem seltsamen Mann, der behauptete, einer der berühmtesten deutschen Dichter zu sein, halten sollte. Ob der aus einer Anstalt entflohen war? Eins aber war ihm klar: Er musste diesen Goethe irgendwie aus seinem Haus heraus schaffen.

Nach einer längeren Pause des Schweigens fragte Goethe:" Wer sind sie überhaupt? " " Ich? Mir gehört dieser Hof und dieses Haus und übrigens auch der Tee, den sie trinken. Aber, damit sie' s wissen: Mein Name ist Patrick." " Sehr erfreut, Patrick, "ehrlich erfreut streckte Goethe ihm die Hand entgegen. Dieser ergriff sie mit einem übelgelaunten" Hmmm "und musterte Goethe von Kopf bis Fuß. Gut gekleidet war er ja. Er trug einen Burberry-Mantel, Gucci-Schuhe und bei den restlichen Kleidungsstücken war Patricks Latein am Ende. Er hatte sich noch nie wirklich für Klamotten interessiert." Es sieht so aus," sagte Goethe plötzlich", als hätten sie sich noch nie wirklich mit den schönen Dingen des Lebens beschäftigt." Überrascht zog Patrick die Augenbrauen zusammen." Wie kommen sie denn darauf?" Goethe vollführte eine ausschweifende Bewegung. "Diese Bücher, "erwiderte er", sehen mir wenig abgegriffen und sehr verstaubt aus. Anscheinend sind sie nur als Dekoration gedacht." Jetzt blickte ein Augenpaar Goethe belustigt an." Also befasse ich mich nicht mit den schönen Dingen des Lebens, weil ich keine Bücher lese?" Aber Goethe ließ sich nicht beirren: "Sie schenken den schönen Dingen des Lebens keine Beachtung, weil sie nur ihre Arbeit im Kopf haben. Natürlich ist Arbeit an sich auch etwas Erfüllendes, allerdings nur in Maßen. Sie brauchen die Arbeit aber, weil Sie keinen anderen Sinn im Leben sehen. Dabei haben Sie die anderen wunderbaren Dinge vergessen. Wann haben sie zuletzt einen Spaziergang gemacht und das schöne Wetter einfach nur genossen? Oder ein Buch gelesen? Wann sind Sie zum letzten Mal gereist?" " Wieso, ich bin doch gereist," erwiderte Patrick brüskiert. Zu Patricks Erstaunen lachte Goethe." Was ist daran so witzig? "wollte er von ihm wissen. "Was für eine Reise?" fragte Goethe spitzbübisch. Mit einem Achselzucken antwortete Patrick:" Ich war auf Geschäftsreise." " Das dachte ich mir schon!" rief Goethe triumphierend aus." Und wann haben sie das letzte Mal wirklich Urlaub gemacht ohne geschäftlichen Anlass? "Langsam wurde es Patrick zu viel:" Wenn Sie sich über jemanden lustig machen wollen, dann bitte woanders. Und jetzt raus!" Goethe erhob sich und betrachtete ihn nachdenklich. Dann sagte er: "Lassen Sie sich nicht an der Nase herumführen. Auch nicht von meiner Wenigkeit. Guten Tag." Damit verschwand er und verließ das Haus.

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