"Wo kommst du her?"

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Zwei Wochen vergingen, in denen Stiles und Derek keinerlei Kontakt hatten. Stiles hatte den Camaro ein Mal vor dem Einkaufszentrum parken sehen und sich spontan dazu entschieden, im Nachbarort einzukaufen. Vielleicht war es übertrieben, aber er war nicht scharf darauf, Derek im Moment zu sehen. Alles in ihm verzehrte sich nach ihm und seiner Nähe. Er spürte sogar seinen Wolf, der stets aufmerksam wurde, sobald es ein winziges Anzeichen von Dereks Anwesenheit gab. Er war noch immer sein Beta, irgendwie. Derek hatte ihn nicht verbannt, Stiles hatte nicht mit ihm gebrochen und trotzdem gingen sie getrennte Wege.
Er wusste, dass sein Vater sich mit ihn getroffen hatte, auch wenn er nichts gesagt hatte. Derek hatte ein vertrautes Verhältnis zum Sheriff und er hatte sonst niemanden, Stiles wollte nicht dazwischen grätschen. Es war nicht auszuschließen, dass Derek mittlerweile jemanden hatte. Stiles hatte keine Ahnung, ob er sich regelmäßig mit jemanden getroffen hatte. Jetzt hatte er keinen Klotz mehr am Bein, der ihn von etwas abhielt.
Frustriert schnaubte Stiles auf. Selbst nach zwei Wochen war der Gedanke, jemand anderen an Dereks Seite zu wissen, unerträglich. Da gehörte niemand hin. Es war sein Platz.
»Nein, ist es nicht«, murmelte Stiles.
So langsam musste er es in seinen Kopf bekommen.
Er gab sein Bestes, aber diese Sehnsucht ließ nicht nach. Er wollte wieder das zurück, was sie hatten. Aus lauter Verzweiflung, hatte er sich heute auf ein Treffen mit Tyler eingelassen. Es hatte irgendwas von Comics gefaselt. Stiles hatte eher ungewollt zugestimmt. Er hatte einen Laut von sich gegeben, Tyler hatte »Großartig« geantwortet und in der nächsten Stunde hatte er ihn seine Adresse geschickt.
Möglicherweise würde es ja helfen, Derek zeitweise aus dem Kopf zu bekommen. Scott gab sich zwar größte Mühe, aber Stiles roch sein Mitleid. Man könnte fast meinen, Derek hätte ihn verlassen, aber niemand hatte jemanden verlassen.
Als Alpha, war Derek immer noch da und im Grunde hatte Stiles jetzt das, was er von Beginn an wollte. Er war Derek los, musste kein Training mehr absolvieren oder sich um seine Privatsphäre sorgen. Er war frei – er fühlte sich verloren.
Immer wieder fragte er sich, wie es Derek wohl erging. Litt er genauso oder mehr? Vermutlich litt er anders.
Ein Teil von Stiles wünschte sich, dass Derek sich, in Selbstmitleid suhlend auf dem Boden wälzte und sich fragte, warum er nicht erkannt hatte, dass auch er Gefühle für Stiles hatte. Großzügig wie er war, würde ihm verzeihen und sie wären endlich glücklich. Leider war es absolutes Wunschdenken. Wahrscheinlich lenkte Derek sich von dem Verlust seines Betas mit Arbeit und Frauen ab – oder Männern. Knurrend versenkte Stiles seine Krallen im Küchentisch. Wenn er das mitbekommen würde, gäbe es garantiert kein Halten mehr. Mit Frauen konnte er nicht konkurrieren, aber mit Männern schon.
Die Wut kochte in ihn hoch. Er sah zur Uhr. In zwanzig Minuten stand das Treffen mit Tyler an. So konnte er nicht fahren. Eine winzige Unbedachtheit und er würde ihn in Stücke reißen.
Plötzlich vibrierte es in ihm. Sein Herz klopfte stark, in Einklang mit Schritten, die er vernahm. Das war sein Alpha! Stiles lauschte und hörte zwei Herzschläge, die sich näherten. Er sah seine Gedanken von zuvor bestätigt. Aber warum schleppte Derek die Person dann mit hierher? Wollte er Stiles zeigen, dass er sich nun wirklich keine Hoffnungen mehr machen musste? Wollte er sehen, inwieweit er sich unter Kontrolle hatte? Überraschung, Stiles hatte gar keine!

Als es klingelte, sprang Stiles auf. Er öffnete die Tür mit solcher Wucht, dass sie gegen die Wand schlug. Unerwarteterweise stand Derek allein da. Verdutzt sah Stiles ihn an, dann meldete sich seine Eifersucht zurück. Derek wollte ihm niemanden vorstellen. Er versteckte ihn! Stiles knurrte auf, als er den Geruch einer Frau vernahm.
»Hast du 'ne andere?«, fuhr er ihn an.
Derek schüttelte völlig überrumpelt den Kopf.
Vielleicht hatte Stiles den Geruch falsch gedeutet.
»Einen anderen?«
»Nein, Stiles«, antwortete Derek endlich und schob den Beta herein. Halb verwandelt sollte er nicht an der Tür stehen.
»Grade warst du noch mit jemandem zusammen«, knurrte Stiles.
»Ja«, stimmte Derek zu und schluckte. »Eure Nachbarin, die nur sagte, dass sie sich Sorgen macht, weil du nicht gut aussiehst, dein Vater viel arbeitet und ich nicht mehr so oft vorbei komme.«
Stiles blickte einen Moment unsicher drein. Der Geruch kam ihm schon bekannt vor, aber das hieß nichts. Sein Groll meldete sich zurück.
»Stiles ich hab niemand anderen«, beschwichtigte Derek ihn. »Ich hab die letzten Wochen weder jemanden kennengelernt, noch getroffen oder überhaupt an Sex gedacht.«
Stiles Augen blitzen auf. Das war eine Lüge!
»Jedenfalls nicht mit jemand anderem«, stellte Derek schnell richtig.
Peinlich berührt starrte er zum Boden. Stiles Gedanken lichteten sich langsam.
»Scheiße«, schimpfte er. »Tut mir leid, ich...«
Derek hob die Hand.
»Hast du das öfter?«, wollte er wissen. »Du hast die Kontrolle verloren.«
»So extrem nicht«, gestand Stiles. »Ich bin leicht reizbar und dann kann es passieren... aber Scott hilft mir. Du bist jetzt nur zum falschen Zeitpunkt aufgetaucht. Das hat es schlimmer gemacht.«
Derek zog kurz die Augenbrauen hoch, sah Stiles prüfend an, schien ihm aber zu glauben.
»Hast du einen Moment?«, fragte er.
»Eigentlich nicht«, antwortete Stiles. »Ich muss los und nach grade würde ich auch gern los.«
Wenn sich der Boden schon nicht auftat. Wie konnte er vor Derek bloß eine solch kindische Eifersuchtsszene hinlegen?
»Die Jäger sind in der Stadt«, sagte Derek dennoch. »Sowas wie grade, solltest du vermeiden. Du kannst knurrend und halb verwandelt an der Haustür stehen.«
Stiles nickte knapp und sah Derek entschuldigend an.
»Stiles ich meine das erst. Du musst jetzt wirklich aufpassen. Wenn Sie mitkriegen das du ein Werwolf bist, wars das!«
Stiles nickte erneut. Er konnte schlicht und einfach nichts sagen.
»Sei vorsichtig und achtsam. Denk daran, wie sie dich in ihre Fallen locken,«
»Ich werde nie wieder eine Blutspur folgen«, entgegnete Stiles.
»Gut«, Derek rieb sich die Hände. »Lass dich nicht weiter aufhalten.«
Sie liefen zusammen hinaus. Vor der Haustür drehte Stiles sich ungewollt in Dereks Arm, weil er abschließen musste. Er sah auf, gradewegs in Dereks Augen. Der Altere hob die Hand und strich über Stiles Schläfe.
»Du hattest da...«, begann er.
»Einen imaginären Fussel?«, fragte Stiles und grinste krampfig.
Derek nickte und zog die Hand zurück.
»Du fehlst mir auch«, sagte Stiles und verzog das Gesicht.


Derek hatte es nicht lassen können, er war Stiles gefolgt. Auch wenn er nicht direkt hinter ihm herfahren konnte, so blieb dennoch sein Geruch oder vielmehr der des Jeeps. Er verlor etwas Benzin, vielleicht sollte Derek ihm das bei Gelegenheit sagen. Nun nutzte er es aber erstmal selbst aus. Nur ein paar Straßen weiter parkte der blaue Wagen, vor einem großen Einfamilienhaus. Der Vorgarten war gepflegt, die Haustür fiel ins Auge, weil sie abgerundet war. Allem Anschein nach, schienen die Bewohner des Hauses Wert darauf zu legen mit Details aufzufallen. Von der Fassade, dem Dach, den Türen und Fenstern, unterschieden sie sich nur ein klein wenig, von den anderen Häusern, aber eben so, dass es auffiel.
Derek unterdrückte seinen Geruch und trat näher. Stiles durfte nicht mitbekommen, dass er ihm gefolgt war. Er könnte natürlich sagen, dass er nur wegen der Jäger besorgt war, aber Stiles ertappte ihn momentan bei jeder noch so kleinen Lüge. Er war verdammt gut darin geworden.
Also musste er unbemerkt bleiben. Er machte noch ein paar Schritte auf das Haus zu und spitzte die Ohren. Er hörte Stiles mit jemandem reden. Die Stimme kam ihm sogar bekannt vor, aber er konnte sie beim besten Willen nicht zuordnen. Walsh stand auf dem Schild am Briefkasten, aber auch damit konnte Derek nichts anfangen.
Brauchte er auch gar nicht, denn das hier ging ihn überhaupt nichts an. Er saß in dem Vorgarten von irgendwem, hinter einen Busch, und belauschte Stiles. Er konnte sich nicht mal selbst einreden, dass es nur wegen der Jäger war. Die ersten von ihnen waren vor wenigen Tagen angereist, heute war die Kavallerie angerückt, weil es scheinbar Grund zur Besorgnis gab, aber noch verhielten sie sich ruhig. Sie beobachteten und bereiteten alles vor. Solange Stiles nicht in eine ihrer Fallen rannte oder halb verwandelt durch die Stadt lief, war er in Sicherheit.
Ihr Fokus lag vorerst auf Derek. Er war ein bekannter Werwolf und nach seiner Rückkehr gab es die ersten Opfer. Für die Jäger war die Sache vermutlich längst klar. Vielleicht planten sie auch schon, wie sie ihn aus dem Weg schafften und kümmerten sich gar nicht um andere Werwölfe.
Resigniert ließ er sich zu Boden sinken. Die feuchte Blumenerde durchnässte seine Hose und Derek blickte sich um. Was war bloß los mit ihm? Jetzt trampelte er schon unschuldige Blumen - oder Unkraut - nieder um zu wissen, was sein Beta tat. Er hatte eindeutig eine gestörte Bindung zu seinem ihm. Und trotzdem konnte er nicht verschwinden, ehe er ein Gesicht zu der Stimme und dem Namen hatte. Er musste wissen, mit wem Stiles sich traf, wenn er schon nicht verstand, warum es dort oben ging.

Derek wartete mehrere Stunden. In weiser Voraussicht hatte er sich etwas zurückgezogen. Er war sich sicher, dass es sich bei dem Fremden um einen von Stiles Mitschülern handelte und so wie die Umgebung auf ihn wirkte, hatten seine Eltern beide einen Job und würden spätestens am Nachmittag heimkehren. Tatsächlich fuhren nur wenig später zwei Autos die Auffahrt herauf. Eine blonde Frau stieg aus einem dunklen Cabrio und ein Mann stieg aus einem silbernen Range Rover. Er trug einen Anzug, seine Haare hatten graue Strähnen. Sie begrüßten sich ziemlich herzlich vor dem Haus. Die Frau deutete irritiert auf die zertrampelten Blumen im Vorgarten und Derek duckte sich noch ein wenig mehr.
Der Mann begutachtete sofort die Haustüre. Es hatten die ganze Zeit keine Kinder auf der Straße gespielt. Zertrampelte Vorgärten waren hier wohl mehr ein Indiz für Einbrecher. Als schallendes Gelächter aus dem oberen Fenster drang, hoben beide den Kopf und gingen beruhigt hinein.
Derek fluchte leise. Nun war er abgelenkt gewesen und hatte nicht gehört, worüber sie gelacht hatten. Hatte Stiles einen Witz gemacht oder der andere? Oder hatten sie nur etwas lustiges gesehen? Wieso lachten sie immer noch? Derek biss die Zähne zusammen. Er musste sich beruhigen und sich auf seinen Geruch konzentrieren. Am Ende wurde Stiles wirklich noch auf ihn aufmerksam.
Wenig später öffnete sich die Tür. Die Frau trat heraus, in einem Kittel und mit einer kleinen Schaufel in der Hand steuerte sie die zertrampelten Blumen an. Sie murmelte etwas vor sich her, während sie sich daran machte den Schaden zu beseitigen.
Dann öffnete sich die Tür erneut und Derek entdeckte Stiles. Ein dunkelhaariger Typ stand hinter ihm. Erst als Stiles einen Schritt nach draußen machte, erkannte Derek ihn. Das war der Typ aus dem Kino. Der, der bereits Interesse an ihm gezeigt hatte. Unbedacht trat Derek einen Schritt vor, stoppte sich aber im letzten Moment. Hatte Stiles grade ein Date? Mit diesen Kerl, vor dem Derek ihn einst gerettet hatte? Er wollte doch gar keine Aufmerksamkeit von ihm. Derek wollte auch nicht, dass er Aufmerksamkeit von jemandem bekam.
Er knurrte leise und machte noch einen Schritt zurück. Stiles schien etwas bemerkt zu haben, denn er blickte sich um. Dann sagte der Typ etwas und Stiles lachte wieder. Er glaubte, den Namen 'Tyler' verstanden zu haben. Sie redeten noch ein paar Minuten. Derek musste seine ganze Kraft darauf verwenden, nicht auf sich aufmerksam zu machen und konnte dadurch kein Wort verstehen, aber er konnte alles sehen.
Tyler grinste Stiles an und Dereks Herz setzte einen momentlang aus, als Stiles sich zu ihm beugte. Es sah ganz danach aus, als wolle er ihn küssen, doch scheinbar hatte Stiles ihm nur was zugeflüstert. Diesmal war es Tyler, der loslachte und ihm auf die Schulter klopfte. Eine eigentlich harmlose Geste, die für Derek trotzdem zu viel war. Er machte wieder einen Schritt vor und erstarrte, als Stiles sich umdrehte und zu seinem Wagen lief. Er verabschiedete sich noch kurz von der Frau, dann startete er den Motor und fuhr davon.
Derek sah noch einmal zum Haus. Tyler lief auf seine Mutter zu, nahm ihr schnell die Schaufel auf der Hand und schickte sie rein, um die Arbeit selbst zu erledigen.
Großartig, dachte Derek, der Kerl hat auch noch Anstand.

Erst als Tyler endlich im Haus verschwunden war, wagte Derek sich aus seinem Versteck. Er kannte ihn, er würde ihn also wiedererkennen und das Risiko konnte Derek nicht eingehen. Wenn er ihn sah und Stiles davon erzählte wäre er geliefert. Obwohl die Luft rein war, schlich er zum Camaro. Als er im Wageninneren saß, stieß ein Seufzen aus. War er denn von allen guten Geistern verlassen? Er hatte Stiles verfolgt und belauscht — Stundenlang!
Er könnte nicht mal mit Sicherheit sagen, was passiert wäre, wenn er den Typen tatsächlich geküsst hätte. Die Chancen standen gut, dass Derek komplett durchgedreht wäre. Er war ja schon kurz davor gewesen, als Tyler ihn nur berührt hatte. Kein Alpha sollte so besitzergreifend seinem Beta gegenüber sein. Er war nicht sein Eigentum.
Kopfschüttelnd startete Derek den Wagen. Er musste sich was überlegen, um die Jäger loszuwerden und den anderen Werwolf und dann musste er schleunigst hier weg. Wenigstens für ein paar Wochen. Er brauchte viel, viel mehr Abstand von Stiles. Er hatte es für ein gutes Zeichen gehalten, dass er in den letzten Wochen dem Drang hatte widerstehen können, zu ihm zu fahren, doch das hatte nichts zu bedeuten. Bei der ersten Gelegenheit war er wieder zu ihm gefahren und das war nun das Ergebnis: Er hatte ihn gestalkt! Nichts anderes war das gewesen und er wusste nicht warum.
Er war grade abgebogen, da sprang jemand mitten auf die Fahrbahn.
»Verdammt!«
Derek verriss das Lenkrad und landete auf dem Grünstreifen. Der Sicherheitsgurt hielt ihn zuverlässig im Sitz. Jemand öffnete die Fahrertür.
»Wo kommst du her?«, fragte Stiles energisch.
Er stand mit verschränkten Armen vor Derek und blickte ihn auffordernd an.
»Von... dadrüben?« Verdattert rieb sich Derek über den Kopf.
»Was für ein Zufall, ich auch«, gab Stiles zurück.
Derek sog scharf die Luft ein. Scheiße! Hatte Stiles ihn etwa doch bemerkt?
»Was sollte das?«, fragte der Beta vorwurfsvoll.
»Ich... also die Jäger... und«, stotterte er und stöhnte auf. Er vergrub das Gesicht in seinen Händen. Das konnte doch nicht wahr sein. Musste Stiles diesen total Ausfall denn unbedingt mitbekommen?
»Und die Wahrheit?«, fragte Stiles eindringlich.
Wenn Derek ihm nicht langsam einen plausiblen Grund lieferte, glaubte er am Ende wirklich noch, dass Derek Gefühle für ihn hatte.
»Keine Ahnung was das sollte«, seufzte Derek.
Stiles blickte unsicher in der Gegend herum und kaute auf seiner Lippe. Eine plötzliche Unruhe erfasste ihn.
»Woher wusstest du, dass ich da war?«, fragte Derek leise.
»Ich spüre es, wenn du in meiner Nähe bist. Außerdem stand dein Auto da.«
Derek lief den Kopf aufs Lenkrad knallen. Er konnte doch unmöglich so dumm gewesen sein. Da gab er sich größte Mühe unentdeckt zu bleiben und vergaß den Wagen?
»Ich hab meinen Geruch unterdrückt« murmelte er.
»Ich sagte ja auch, ich spüre dich und nicht ich rieche dich«, entgegnete Stiles.
Derek hob den Kopf wieder. »Spüren?«
»Ja, wie eine Art Vibration«, erklärte Stiles. »Ist auch völlig egal. Derek, so geht das nicht!«
Er fand es nicht mal besonders schlimm, dass Derek ihn verfolgt hatte. Doch es entflammte wieder Hoffnung in ihm, dass es doch mehr war und das konnte er nicht gebrauchen.
»Kommt nicht wieder vor«, brachte Derek stockend hervor. »Ich denke... Irgendwie hab ich eine viel zu starke Bindung zu dir. Vielleicht liegt's daran, dass ich keine Erfahrung mit Betas habe. Vielleicht aber auch daran, dass ich nur dich habe.«
Derek sah traurig auf und Stiles vergaß sofort all seinen Ärger.
»Du bist einsam«, wisperte Stiles.
»Nein!«
Derek schüttelte den Kopf. »Ich wollte nie wieder jemanden in meinem Leben haben und damit bin ich gut klar gekommen.«
»Aber jetzt hast du mich«, sagte Stiles unüberlegt.
»Hab ich nicht«, gab Derek zurück.


Stiles wusste nichts mehr darauf zu sagen. Erneut überkam ihn das schlechte Gewissen. Wäre er nicht in Derek verliebt, dann wäre die Situation nicht so beschissen. Er hatte Derek erst bemerkt, als er sich von Tyler verabschiedet hatte, aber so schuldbewusst wie Derek dreinblickte, hatte er dort viel länger gestanden. Zunächst war Stiles sauer gewesen, weil er sich kontrolliert vorkam, aber er hatte schnell gemerkt, dass Derek andere Gründe hatte.
»Wars ein Date?«, fragte Derek.
Stiles sah, wie schwer es ihm fiel, diese Frage zu stellen. Er lehnte sich mit überkreuzten Armen gegen das Dach, in den Fahrerraum hinein.
»Ich hab zwar nicht viel Erfahrung mit Dates, aber ich glaube nicht«, antwortete Stiles und musste grinsen. Das hatte zu viel von der obligatorischen Briefmarkensammlung.
»Du weißt, dass du aufpassen musst?«, rief Derek ihm ins Gedächtnis.
»Ich denke nicht, das Tyler was mit den Jägern zu schaffen hat«, sagte Stiles.
»Das mein ich nicht«, presste Derek hervor. »Egal bei wem, wenn es doch mal ein Date ist oder du jemandem näher kommst, du musst du volle Kontrolle haben.«
Stiles blickte fragend auf. »Ich sagte doch schon mal, dass mir momentan nicht nach neuen Erfahrungen ist.«
»Manchmal lässt man sich aber vorschnell auf etwas ein«, hielt Derek dagegen. »Ich will nur, dass du für den Fall weißt, dass du vorsichtig sein musst.«
»Warum?«
Stiles verstand es nicht so ganz. Das Gespräch über Verhütung hatte er bereits mit seinem Vater geführt, aber danach klang es auch nicht.
»Wenn dein Körper sich verwandelt, verwandelt sich alles«, erklärte Derek und deutete etwas hilflos auf seinen Schritt. »Schau nach, wie Wölfe sich fortpflanzen, dann weißt du wovon ich rede.«
Reden konnte man das nicht nennen. Derek deutete Sachen an, aber Stiles glaubte zu verstehen, worauf der Alpha hinaus wollte.
»Selbst wenn ich nur ein bisschen die Kontrolle verliere?«, fragte er schockiert.
Derek nickte knapp und starrte stur aus der Windschutzscheibe. Das war kein Gespräch, das er mit Stiles führen wollte, denn das brachte die Vorstellung in sein Bewusstsein, wie Stiles es mit jemand anderem tat.
»Hast du schonmal...?«, fragte Stiles vorsichtig.
»Nein, nie!«, sagte Derek schnell. Er hatte stets die Kontrolle, aber es hatte ihn auch nie wirklich mitgerissen.
»Woher weißt du es dann?«
»Es gibt Werwölfe, die es bewusst praktizieren. Sie mögen die körperliche Nähe zu ihrem Partner«, erklärte Derek. »Außerdem hat meine Mum mich damals bis ins kleinste Detail aufgeklärt.«
Stiles hob die Augenbrauen, als Derek ihm einen alles sagenden Blick zuwarf. Er dachte über die Worte nach. Wenn manche es bewusst taten, konnte es ja nicht so schlimm sein. Natürlich wäre es nur mit einem anderen Werwolf möglich oder mit jemandem der bescheid wusste.
»Denkst du grade ernsthaft darüber nach?«, fragte Derek.
Ihm war allein die Vorstellung zuwider. Nicht nur, dass es den Akt an sich verlängerte und er selbst danach nicht von der Person loskam. Für ihn war es auch ein deutliches Zeichen von Schwäche.
»Ich denke mit dem richtigen Partner könnte es schön sein«, meinte Stiles schulterzuckend. »Ich mein ich hab keinen Vergleich, aber... mehr Nähe geht nicht, oder?«
»Nein.«
Während die Vorstellung für Stiles verlockend schien, schreckte sie Derek ehr ab. Er wollte niemandem so nah sein.

Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sich jeder von ihnen auf den Heimweg gemacht hatte. Die meiste Zeit hatten sie nur dagestanden und sich angeschwiegen, aber Stiles hatte dieses Beisammensein Kraft gegeben. Er fühlte sich stärker mit Derek. Als würden sich alle verbrauchten Kraftreserven wieder auffüllen. Es beruhigte ihn ein Stück weit, dass sie sich immer noch nah standen, obwohl sie getrennte Wege gingen. Er würde Derek nicht verlieren. Er würde auf ihn warten, weil er ihn als Beta genauso brauchte wie Stiles ihn als Alpha. Aber bis sie wirklich wieder sowas wie ein Rudel sein konnten, würde noch viel Zeit vergehen. Die Gefühle für Derek rissen einfach nicht ab. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn er ihn sah, wurde es schlimmer. Derek trug seinen Teil dazu bei und egal wie sehr Stiles an den logischen Erklärungen festhielt, er machte sich Hoffnungen.
Das Treffen mit Tyler war Ablenkung pur gewesen, bis er Derek bemerkt hatte. Sie hatten über Comics, Videospiele und belangloses Zeug gequatscht. Tyler war einfühlsam genug gewesen, Derek nicht zu erwähnen. Außerdem hatten sie denselben Humor. Neben Scott gab es nicht viele, von denen er das behaupten konnte.
Er zog sein Handy heraus und tippte eine Nachricht. Scott war jetzt genau der, den er brauchte. Er musste mit ihm über Derek reden. Er stieg in seinen Jeep und grade, als er losfahren wollte, klingelte sein Handy.
»Was meinst du, mit du hast Derek getroffen?«, fragte Scott sogleich. »Getroffen getroffen?«
»Ne, war eher ein unglückliches Aufeinandertreffen«, erklärte Stiles. »Oder sogar zwei innerhalb eines Tages.«
Er stellte den Anruf auf freisprechen und machte sich schonmal auf den Weg.
»Scott, du glaubst es nicht! Ich hab jetzt sogar Special-Effects beim Sex. Ich muss dir das unbedingt erzählen. Ich bin gleich da.«
»Musst du?«, fragte Scott gequält.
»Klar muss ich«, grinste Stiles. »Bis gleich, ja?«
»Bis gleich«, verabschiedete sich Scott und legte auf. 

Reborn - Mit dieser Entscheidung musst du lebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt