"Ich soll an dir riechen?"

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Am nächsten Morgen wartete Stiles auf Derek. Sie hatten zwar gesagt, dass sie bei Derek trainieren würden, aber Stiles sah es gar nicht ein, um 6 Uhr morgens zu Derek zu laufen, nur weil sein Auto noch immer im Parkhaus stand.
Also wartete er auf eine Reaktion von seinem Alpha, weil er nicht wie vereinbart auftauchte. Stiles könnte ihm natürlich auch eine Nachricht schicken, aber soweit war er noch nicht. Mit so viel Entgegenkommen bräuchte Derek nicht zu rechnen.
Er ging in die Küche, kochte Kaffee und deckte den Tisch. Sein Dad schlief noch. Vermutlich war er erst ein paar Stunden zu Hause. Doch auch er würde bald wieder aufstehen und vielleicht freute er sich ja. Stiles war noch immer wütend auf ihn und genau das tat ihm irgendwie leid. Er konnte ihn zu gut verstehen. Wenn es umgekehrt gewesen wäre, hätte er vermutlich auch alles getan, damit sein Vater lebte.
Seufzend lies Stiles sich am Küchentisch nieder. Das würde schon wieder werden. Wenn er sich erstmal unter Kontrolle hatte, dann würde sicher alles anders werden. Es würde sich nicht mehr so anfühlen, als hätte man ihm sein Leben entrissen.
Als es an der Tür klopfte, musste er grinsen. Kein Zweifel, das war Derek. Voller Elan sprang Stiles auf und lief zur Tür. Derek sah alles andere als begeistert aus.
»Wir hatten eine Abmachung«, brachte er es auch sofort auf den Punkt. Er schob sich an Stiles vorbei und blieb im Flur stehen.
»Ja und ich dachte es reicht, wenn ich heute zur Schule laufen muss«, sagte Stiles selbstgefällig. »Oder denkst ich lauf zu dir, renn ne Runde durch den Wald und lauf dann auch noch zur Schule?«
Derek setzte an, doch er sagte nichts. Sein verärgerter Blick verzog sich und er sah nun etwas schuldbewusster drein.
»Ich hätte dir ja bescheid gesagt, aber um ehrlich zu sein... die Sache mit meinem Jeep stört mich schon gewaltig.« Stiles lief an Derek vorbei und ging zurück in die Küche.
Sein Alpha schien verwundert über diese offen ausgesprochene Wahrheit. Er folgte ihm langsam.
»Willst du auch was essen?«, fragte Stiles.
Derek schüttelte den Kopf.
»Nicht das du jetzt was falsches denkst«, sagte Stiles, »das war Anstand, keine Nettigkeit.«
Derek grinste ihn schief an und sah dann wieder an ihm vorbei. Er nahm es hin, so wie er alles im Moment hinnahm. Er war viel zu nachsichtig mit ihm. Dabei war das gar nicht seine Art. Bei Stiles konnte er einfach nicht anders.
Stiles stand auf und ging zur Kaffeemaschine. Zu Dereks Überraschung kam er mit zwei Tassen zum Tisch. Eine stellte er direkt vor Dereks Nase ab, warf einen unsicheren Blick zu ihm und konzentrierte sich dann wieder auf sein Essen.
Schmunzelnd nahm Derek den Becher zwischen seine Hände.
Nicht nur er verhielt sich untypisch und zwiespältig. Stiles tat es auch. Trotz der offensichtlichen Abneigung versuchte er auf Derek zuzugehen. Er konnte sich nicht ganz gegen ihn stellen.
»Wieso hab ich eigentlich so einen Hunger?«, fragte Stiles plötzlich und sah Derek unbeholfen an, als er die leere Brottüte zusammen knüllte. »Das war ein ganzes Brot.«
»Das ist ganz normal«, versicherte ihm Derek. »Einpaar Wochen, dann gibt sich das.«
Skeptisch belegte Stiles sich die letzten Brotscheiben und blickte wieder zu Derek auf.
»Am besten isst du fettig. Dein Körper braucht die Energie.«
Stiles nickte verstehend. Er hatte noch viel mehr Fragen, aber etwas hielt ihn zurück, sie zu stellen. Dabei hatten sie jetzt grade eine einmalige Gelegenheit. Wann sonst würden sie nochmal so zusammensitzen?
»Ich muss gleich los«, verkündete Stiles mit dem Blick zur Uhr.
»Ich fahr dich«, sagte Derek gedankenversunken. Er drehte die Tasse zwischen seinen Händen und blickte langsam auf, als er bemerkte, dass Stiles ihn anstarrte.
»Danke«, sagte Stiles irritiert.
Solch nette Gesten erwartete er nicht von Derek. Dabei hatte dieser ihn nie einen Anlass gegeben das Gegenteil zu erwarten. Er war es, der sich wie ein Arsch verhielt. Grade wenn er an das zurückdachte, was an Dereks Haus passiert war.
»Derek«, er atmete tief ein, »das war ich da letztens gesagt habe, hab ich nicht so gemeint.«
»Schon okay«, sagte Derek schnell. Er wollte nicht an das Gespräch zurückdenken. Seine Brust zog sich jetzt schon schmerzhaft zusammen.
»Nein, ist es nicht«, entgegnete Stiles. »Ich hätte sowas niemals gesagt, wenn ich nicht...« Stiles schüttelte den Kopf. Wenn er nicht so verdammt wütend gewesen wäre, hätte er es nicht gesagt. »Ich wollte dich verletzen«, setzte er nach.
»Hast du geschafft.«
Stiles ließ die Schultern hängen. Das milderte sein schlechtes Gewissen kein Stück.
»Ich weiß, was es heißt, jemanden aus seiner Familie zu verlieren und du hast sie alle verloren«, fasste er zusammen. »Ich fühl mich furchtbar.«
Derek nickte. Er wusste, Stiles meinte jedes Wort wirklich so, wie er es gesagt hatte. Es tat ihm leid, nur machte es das Gesagte nicht unausgesprochen.
»Du kannst mir an den Kopf werfen, was du willst. Du kannst mich angreifen, so oft du willst, aber-«
»Ich werd die Sache mit deiner Familie nie wieder ansprechen«, versicherte Stiles schnell.

Während Stiles seine Schulsachen zusammensuchte, trank Derek seinen Kaffee aus. Er hörte, wie der Jüngere durch sein Zimmer stolperte, und versuchte in dem Chaos etwas zu finden. Er stieß leise Flüche aus, Derek grinste. Bei der Unordnung würde er auch nichts finden.
»Fertig«, rief Stiles ihm aus dem Flur zu.
Derek erhob sich und blieb im Türrahmen stehen.
»Alles gefunden?«
»Nein, aber das soll uns jetzt nicht aufhalten«, sagte Stiles und ging zur Tür.
Der Alpha rieb sich über die Stirn und sah ihm nach. Lächelnd schüttelte er den Kopf. Wenn Stiles sich nicht grade gegen ihn sträubte, dann war er jemand, den er mögen könnte.
Er ging hinter ihm her und öffnete das Auto. Die Lichter blinkten kurz auf, Stiles öffnete die Beifahrertür und setzte sich rein. Als er sie schließen wollte, hielt Derek die Türe fest. Nochmal würde Stiles sie nicht zu knallen. Bei seinem Wagen war Derek eigen und wenn er eins nicht ausstehen konnte, dann wenn man seine Türen zuknallte.
Stiles verdrehte die Augen, als Derek die Tür vorsichtig schloss und zur Fahrerseite ging.
Bevor er einstieg, sah er nochmal zum Haus. Der Sheriff stand am Fenster. Derek hob grüßend die Hand. Er wusste nicht, was John nun dachte, aber theoretisch hatte er ihm ja die Erlaubnis gegeben, alles mit Stiles zu machen, solange es ihm half. Unter den wachsamen Augen des Sheriffs stieg Derek in den Camaro und fuhr los.
Sie hatten grade einpaar Meter hinter sich gebracht, da stöhnte Stiles laut auf. Derek drehte besorgt den Kopf zu ihm.
»Ich hab mein Essen vergessen«, erklärte er.
»Hattest du überhaupt noch was zu Hause?«, fragte Derek.
»Ich glaub nicht«, antwortete Stiles nachdenklich. »Oh mann, ich hab meinem Dad alles weggegessen.«
Amüsiert sah Derek zu ihm. Stiles sah wirklich betroffen aus. Für seinen Vater konnte Derek zwar nichts tun, aber für Stiles konnte er beim Bäcker ran fahren.
»Dann holst du dir eben was«, sagte Derek, als er auf den Parkplatz fuhr.
Stiles blickte sehnsüchtig zu dem kleinen Geschäft.
»Du musst schon aussteigen«, sagte Derek.
»Ich hab auch mein Geld vergessen«, gab sein Beta kleinlaut zu.
Derek seufzte, dann zog er sein Portemonnaie hervor und hielt Stiles einen 5$-Schein hin. Stiles kaute unbehaglich auf seiner Lippe. Dabei überlegte er nicht mal, ob er das Geld annehmen sollte. Erneut seufzte der Alpha, diesmal eine Spur genervter und steckte das Geld zurück. Ohne hinzusehen, zog er einen 10$-Schein heraus und hielt ihn hoch. Euphorisch riss Stiles ihm diesen aus der Hand und sprang aus dem Wagen.
»Ich gebs dir wieder zurück!«, rief er und eilte zur Bäckerei.
Derek schaltete das Radio an und lehnte den Kopf zurück, während er wartete. Er hatte nicht wirklich viel geschlafen. Die ganze Zeit hatte er sich gefragt, ob Stiles wirklich am Morgen austauchen würde. Er war nicht gekommen und doch hatten sie sich irgendwie angenähert. Derek war froh darüber. Es war ein furchtbar unbefriedigendes Gefühl, wenn der eigene Beta sich gegen einen stellte oder nicht zu einem gehören wollte.
So wie es grade lief, gefiel es Derek schon besser. Auch wenn sie noch nicht das Alpha-Beta Verhältnis zueinander hatten, das Derek sich wünschte.
Als Stiles wieder kam, startete Derek ohne ein Wort den Wagen. Zufrieden nahm er zur Kenntnis, dass Stiles die Tür extra vorsichtig schloss.

------Sie fuhren das letzte Stück zur. Schule und alle Schüler, starrten den Camaro an. Unbemerkt würde Stiles wohl nicht aussteigen können.
»Wann hast du aus?«, fragte Derek und beobachtete die Schüler.
»Um drei«, antwortete Stiles und suchte seine Sachen zusammen.
»Ich hol dich wieder ab.«
Stiles hielt in seiner Bewegung inne. Langsam wurde es etwas zu viel mit der Freundlichkeit. »Scott kann mich mitnehmen«, lehnte er daher ab.
»Mit seinem Fahrrad?«, fragte Derek und deutete auf den Dunkelhaarigen, der grade sein Rad abschloss.
»Dann finde ich halt jemand anderen«, sagte Stiles. Er fühlte sich bedrängt und konnte nicht mal sagen, warum.
»Auf engstem Raum mit einem Menschen, ohne großartige Fluchtmöglichkeit... Das ist entweder sehr optimistisch oder einfach dumm.« Derek drehte sich mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck zu Stiles.
»Gut, dann sehen wir uns um drei«, gab Stiles nach.
Regel Nummer 2 befolgt, notierte er sich gedanklich. Dann öffnete er die Tür und stieg aus.
»Stiles?«
»Was denn noch?«, fragte Stiles laut und beugte sich genervt hinunter.
»Ich brauch deiner Autoschlüssel«, antwortete Derek überrascht. Wieso war die Stimmung nun wieder umgeschlagen?
»Wozu?«
Derek hob die Augenbrauen an und sagte nichts. Doch auch ohne eine Erklärung verstand Stiles. Er zog den Schlüssel hervor und hielt ihn noch einen Moment fest.
»Sei vorsichtig«, meinte er und überreichte Derek den Schlüssel.
»Kannst du mir mal verraten, was so besonders an dem Haufen Schrott ist?«, fragte Derek barsch. Das Teil fiel schließlich fast von selbst auseinander.
Stiles Blick wurde trauriger. »Er war von meiner Mum«, erklärte er, »sie hat den Jeep geliebt.«
Derek schloss kurz die Augen. Manchmal, vor allem in emotionalen Dingen, dachte er nicht nach. Da hätte er fast schon selbst drauf kommen können.
»Ich bring ihn dir heil zurück«, versicherte er ihm.
Stiles lächelte. »Danke«, sagte er und ein argwöhnisches Glitzern erklomm seine Augen. Bevor Derek wusste, wie er das einordnen sollte, hatte Stiles die Tür bereits mit einem ordentlichen Knall geschlossen. Dereks Hände verkrampften sich an seinem Lenkrad. Die Knöchel traten weiß hervor. Das war reine Provokation gewesen. Und das würde sein Beta zurückbekommen. Bei nächster Gelegenheit.

Um kurz vor drei parkte Derek Stiles' Jeep auf dem Schulparkplatz. Er steig aus, lehnte sich dagegen und wartete. Der Jeep war anscheinend Stiles' Heiligtum und er hatte sich daran vergriffen. Nur deshalb wollt er ihm eine Freude machen und hatte ihn hergebracht. Seine Rache hatte er nicht vergessen.
Als Stiles ihn jedoch sah, schien er alles andere als erfreut.
»Wenn du irgendwas verstellt oder kaputt gemacht hast...!«, wetterte er los und lief einmal um den Jeep.
»Komm runter«, beschwichtigte Derek. »Es ist alles wie vorher.«
Mit einem kritischen Blick ging er zur Beifahrerseite. Stiles sagte nichts mehr, schien aber auch beruhigt, als er endlich hinter dem Steuer saß und das vertraute Motorgeräusch hörte.
»Wir fahren zu mir«, informierte Derek, »du hast heute morgen dein Training verpasst, das wirst du nachholen und dann steht noch das eigentliche Training an.«
Stiles riss den Kopf rum.
»Regel Nummer 4: Jede verpasste Trainingseinheit wird nachgeholt.«
Stiles schüttelte den Kopf. »Ist es nicht dumm, mich erst auszupowern und danach zu verlangen, dass ich mich konzentriere?«, fragte Stiles herausfordernd.
»Stimmt«, Derek nickte, »wir machen es einfach andersrum.«
Der Beta gab einen frustrierten Laut von sich, fuhr aber ohne Umwege zu Derek.

An Dereks Haus angekommen, stiegen sie aus. Es hatte sich wieder etwas mehr getan. Langsam nahm es Gestalt an. Stiles drehte sich zu Derek um. Der Alpha sah mit einem merkwürdigen Blick auf die verbrannten Überreste des Hauses und Stiles fragte sich, warum er sich das antat. Warum verschwendete er so viel Energie in den Wiederaufbau, wenn das alles mit nichts als schlechten Erinnerungen verbunden war?
Fragen tat er nicht.
Er folgte Derek ins Haus. Der Alpha öffnete eine Tür zur rechten Seite, wo ein großer Raum zum Vorschein kam. Eine Treppe führte nach oben. Zumindest früher, nun fehlten einige Stufen und ein großer Teil des Geländers. Das Dach vor provisorisch repariert und die feuchten Stellen am Boden zeigten, dass es nicht wirklich dicht war.
»Hier hab ich noch nicht viel gemacht«, erklärte Derek. »Ich denke, wir nehmen diesen Raum, bis ich etwas passenderes gefunden habe.«
Stiles lief den Raum einmal ab, dann sah er Derek auffordernd an. »Also großer Meister, womit beginnen wir?«
Derek verdrehte die Augen. »Du solltest es ernst nehmen.«
»Tu ich.«
Stiles stellte sich vor Derek und sah ihn noch immer mit großen Augen an. Derek versuchte, in ihnen zu lesen, aber es klappte nicht.
»Gerüche...«, begann er und entfernte sich ein Stück. »Werwölfe können sich auf ihren Geruchssinn verlassen. Zumindest, wenn sie wissen, wie sie ihn einsetzen müssen.«
Stiles sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Du wirst dir jetzt meinen Geruch einprägen«, verkündete Derek. »Das ist die Basis, mit der wir arbeiten.«
»Ich soll an dir riechen?«, fragte Stiles skeptisch.
»Mehr oder weniger.« Derek trat einen Schritt nach vorn. »Diese Entfernung sollte ausreichen.«
Stiles versuchte es. Er nahm auch etwas von Dereks Geruch wahr, aber dazu mischte sich der Geruch von Holz, frischer Farbe, Verbranntem und Vermodertem. Er schüttelte den Kopf.
Derek trat noch einen Schritt näher.
Innerlich stöhnte Stiles auf, aber er versuchte es nochmal. »Ich rieche dich und zwanzig tausend andere Sachen.«
»Dann konzentrier dich und blende das andere aus.« Derek rührte sich nicht, also machte Stiles einen großen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen und noch einen –bis er nur noch Dereks Geruch vernahm.
Er stand so nah, das er ihn hätte berühren können. Eigentlich wollte Derek, dass er sich mehr konzentrierte, aber wenn es so besser klappte. Stiles müsste an seinen Geruch bereits gewöhnt sein. Schließlich hatte Derek ihn überall in seinem Haus verteilt und in seinem Zimmer.
»Gut, jetzt geh wieder zurück und behalte meinen Geruch im Fokus.«
Stiles entfernte sich langsam. Sein Gesichtsausdruck wurde immer nachdenklicher und Derek hatte Sorge, dass ihm auffallen könnte, dass es im Haus des Sheriffs überall nach ihm roch. Doch er musste sich konzentrieren. Sein Geruch musste unverfälscht bleiben. Emotionen erkennen, kam später dran.

Stiles konzentrierte sich so gut er konnte auf Derek. Sein Geruch hatte etwas Vertrautes und erinnerte ihn an Zuhause. Er wusste aber nicht, warum das so war. Er mochte diesen Geruch, er beruhigte ihn.
Wann immer sich ein Geruch dazwischen drängen wollte, schob Stiles ihn zur Seite. So lange, bis er die Wand des Raumes im Rücken spürte.
Sein Blick war starr auf Derek gerichtet. Sein Blick wurde erwidert und irgendwann wich auch Derek zurück, bis an die entgegengesetzte Wand des Raumes. Mehr Distanz konnten sie nicht schaffen.
»Hast du meinen Geruch?«, fragte Derek.
»Seit fünf Minuten pänetrant in meiner Nase«, entgegnete Stiles. »Du solltest mal duschen!«
Derek atmete geräuschvoll aus. Bloß nicht den Geruch verfälschen. Aber im Gegensatz zu ihm, verbarg Stiles seine Emotionen nicht. Er grinste ihn an. Stiles sah die weißen Zähne von weitem aufblitzen.
»Du magst meinen Geruch«, stellte Derek klar.
»Nein.«
»Doch, Stiles.«
Dereks Grinsen wurde breiter. Stiles Herzschlag erhöhte sich. Er verließ seine Position und lief auf Derek zu.
»Dein Geruch ist eine Zumutung!«, log er. »Da konzentriere ich mich noch lieber auf dieses vermoderte alte Holz, mit seinen verkohlten Stellen!«
Derek lief ihm entgegen. Wenn jemand auf ihm zukam, wollte er keine Wand im Rücken. Beta hin oder her.
»Denk nicht, dass du alles weißt, nur weil du ein beschissener Werwolf bist!« Stiles schubste ihn nach hinten. Derek knurrte und brachte ihn sofort zu Boden.
»Erstens bist du selbst ein beschisseneer Werwolf«, als Stiles etwas entgegnen wollte, flammten Derek Augen rot auf, »Zweitens erläutere ich offensichtliche Tatsachen.« Er hielt Stiles Hände fest auf den Boden gedrückt. »Und bitte erspar und jetzt die Nummer mit: Ihr habt das aus mir gemacht... Es reicht langsam mit dem Selbstmitleid. Die Schonfrist ist abgelaufen.«
»Oh, hab ich jetzt keinen Welpenschutz mehr?«, fragte Stiles provozierend. »Ziehst du jetzt die Alpha Nummer ab und zwingst mir deinen Willen auf? Soll ich nach deiner Pfeife tanzen, wie ein hirnloser Vollidiot?«
Derek blinzelte. »Ich werde dir niemals, meinen Willen aufzwängen. Aber du wirst dich langsam mal ein bisschen zusammenreißen und anerkennen, wen du vor dir hast.«
»Den großen, starken Alpha Derek Hale, der...« Stiles brach ab und schluckte die letzten Worte herunter. Er würde nicht schon wieder auf Dereks Familie anspielen. Egal wie wütend er war. Er runzelte die Stirn und überlegte, was er Derek sonst an den Kopf werfen konnte. Er wusste ja kaum was über ihn.

Auch ohne es ausgesprochen zu haben, wusste Derek, was Stiles hatte sagen wollen und genau das ärgerte ihn. Stiles besaß noch immer keinen Respekt, oder nicht genügend, aber woher sollte der auch kommen? Derek hatte ihm bisher alles durchgehen lassen.
Er knurrte warnend und wie von selbst glitt Stiles Kopf zur Seite. Diese Bestätigung besänftige ihn etwas.
Mittlerweile wusste Stiles, was seine Geste zu bedeuten hatte. Zumindest hatte er eine starke Vermutung, trotzdem unterdrückte er diesen Instinkt nicht.
Derek war sauer, das war deutlich. Sein Geruch hatte sich etwas verändert und wurde dadurch noch attraktiver für Stiles. Dereks ganze Art, wie er auf ihm saß und ihn dominierte, verursachte in Stiles ein Kribbeln. Es war keine Angst und auch keine Wut. Es war ein noch nicht zu definierendes Kribbeln, aber Stiles war sicher, wenn Derek es auslöste, konnte es nichts Gutes bedeuten. Er wollte sich unter ihm befreien, ihn von sich stoßen, aber Dereks Geruch hüllte ihn ein.
»Okay großer Alpha, dann verrat mir doch mal, warum ich so auf deinen Geruch stehe. Nur weil du mein Alpha bist oder riechst du allgemein so gut?«
Die Worte waren schneller über Stiles Lippen gekommen, als er die Wortwahl bedacht hatte. Derek sah ihn perplex an und Stiles wünschte sich nicht sehnlicher, als das der Boden sich auftat und ihn verschlang.
Er hatte grade zugegeben, dass er auf seinen Geruch stand.
Er hatte ihn mein Alpha genannt.
Er hatte ihn gefragt, ob er gut roch.
Stiles kniff die Augen zusammen, stöhnte auf und wartete nur auf Dereks Verspottung.
»Naja«, sagte Derek und Stiles hörte das Grinsen deutlich heraus. »Es liegt hauptsächlich daran das ich dein Alpha bin... aber ich denke, für jeden anderen, rieche ich auch gut.«
Stiles zog seinen Arm hoch. Derek hielt ihn längst nicht mehr so fest, dass er sich nicht hätte befreien können.
Er legte die Hand über seine Augen und öffnete sie wieder. Er wollte Derek nicht ansehen, aber er konnte auch nicht blind aus dem Raum flüchten.
»Schön das wir das geklärt haben«, sagte Stiles. Er wollte wenigstens ein bisschen seine Fassung bewahren. »Könntest du vielleicht von mir runter gehen?«
Er zog die Hand weg und sah Derek kurz an. Der Alpha sah ihn amüsiert an, erhob sich aber ohne einen weiteren Kommentar. Er hielt Stiles sogar die Hand hin. Nach kurzem Zögern ergriff der Jüngere sie.
»Ich glaube, das reicht für heute«, sagte Derek. Stiles wäre nun eh die ganze Zeit angespannt.

Der Alpha begleitete ihn nach draußen. Als Stiles an seinem Jeep stand, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass etwas fehlte.
»Wo ist der Camaro?«, fragte er.
»Noch im Parkhaus.«
Stiles nickte stumm und wollte die Fahrertür seines Jeeps öffnen, doch er fummelte unsicher am Griff. Er war hin und hergerissen. Da war er wieder, dieser Zwiespalt.
»Soll ich dich noch hinbringen?«, fragte Stiles nach einigen Minuten.
»Musst du nicht«, sagte Derek und beobachtete den Beta.
»Ich weiß, dass ich das nicht muss«, entgegnete Stiles. »Das war nicht die Frage und ich werd die Frage auch nicht nochmal stellen.«
Derek ging langsam zur Beifahrerseite. »Und als Gegenzug?«, fragte er.
Stiles hob überrascht den Kopf. Eigentlich hatte er keine Gegenleistung erwartet. Er verlangte auch keine. Er zuckte mit den Schultern und setzte sich rein.
Als Derek sich neben ihn setzte, beobachtete Stiles ihn von der Seite.
»Ich fahr dich zur Mall und du wirst so tun, als wäre mir der Satz grade nie über die Lippen gekommen.«
Derek lachte leise auf. »In Ordnung.« Er drehte seinen Kopf zu Stiles und der Jüngere konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern.

Reborn - Mit dieser Entscheidung musst du lebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt