🔱Dreiunddreissig🔱

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Taehyung

Jungkook verlässt das kleine Café, in dem er arbeitet, über den Hinterausgang, als seine Schicht zu Ende ist. Ich habe es nur kurz vor ihm verlassen, nämlich dann, als er nach hinten verschwunden ist und eine junge Frau an seiner Stelle übernommen hat, die Leute zu bedienen.

Ich habe beinahe den halben Nachmittag da drinnen zugebracht, habe ihn ein wenig bei seiner Arbeit beobachtet und die Menschen, die hier eingekehrt sind. So ziemlich jede Altersklasse ist vertreten, von jungen Schülern, die hier eine Freistunde verbringen und über ihrem Schulstoff sitzen, bis hin zu Rentnerpaaren, die draussen den Sonnenschein geniessen.

Ich hatte genug Zeit, Jungkook bei seiner Arbeit zu beobachten, was er auch ganz Anfangs schon registriert haben muss, als ich den Laden betreten habe. Was ich damals über ihn gesagt habe, stimmt gar nicht; er arbeitet ziemlich gewissenhaft und genau, hat ständig ein Lächeln für die Kunden übrig und bleibt immer freundlich. Sei es, ob er nun irgendein Getränk zubereitet oder einfach nur die leeren Tische putzt, er ist ganz und gar konzentriert. Nachdem ich meinen Americano ausgetrunken habe, wollte er nach einiger Zeit sogar wissen, ob ich noch mal etwas trinken möchte.

Manchmal frage ich mich, wie Menschen immer so freundlich sein können, egal wen sie gerade vor der Nase stehen haben. Ich kann das nicht, generell bin ich keine Person, die Fremden ein Lächeln schenkt. Ich habe Tiramisu und ich habe Namjoon und mehr brauche ich in meinem Leben auch gar nicht.

"Ich bin mir sicher, es gibt einen Grund dafür, dass du Stundenlang in diesem Café gehockt bist, nur um auf das Ende meiner Schicht zu warten, oder?", reisst dann die Stimme des Studenten mich aus meinen Gedanken. Ich sehe auf und neige den Kopf, ehe ich mit den Schultern zucke. "Wie soll man dich auch sonst erreichen?", gebe ich zurück und er schürzt die Lippen, als würde er tatsächlich etwas darauf erwidern wollen, ehe er es wohl aufgibt und tief seufzt.

"Was gibt's?", fragt er dann lediglich, doch anstatt ihm gleich zu antworten, murmle ich nur ein leises "Komm" und nicke in die Richtung, die zum Fluss führt. Ich warte nicht ab, ob er einverstanden damit ist, etwas Zeit mit mir zu verbringen oder nicht, ich drehe mich einfach um und laufe los. Wenn er mitkommt, werde ich mit ihm sprechen, kommt er nicht, ist es auch nicht mein Problem.

Allerdings vernehme ich nur kurz nachdem ich mich in Bewegung gesetzt habe, seine aufholenden Schritte, bis Jungkook schliesslich neben mir hergeht und zu mir aufsieht. "Taehyung?", hakt er nach und als ich ihm einen kurzen Blick schenke, erkenne ich die Neugier in seinen dunklen Augen aufblitzen. Seufzend schiebe ich meine Hände in meine Jackentaschen und sehe wieder geradeaus, auf die Strasse, die zum Stadtrand führt.

"Ich... wollte dir was sagen", erkläre ich leise und kaue nachdenklich auf meiner Unterlippe herum. Ich habe ein wenig über die Worte, die er bei unserem letzten Treffen gesagt hat, nachgedacht. Er hat meine Worte genommen und sie als Waffe gegen mich verwendet; eins muss man ihm lassen, dumm ist er auf keinen Fall.

"Ja?", macht er nur hörbar neugierig und ich sehe ihn wieder kurz von der Seite an. "Ich will dir sagen, dass es mir leid tut", gebe ich zu und sehe, wie seine Augen sich daraufhin überrascht weiten. Vermutlich hat er damit nicht mal in seinen Träumen gerechnet. "Was?!", hakt er nur perplex nach und ich nicke bestätigend. "Du hast Recht; ich sage Mensch ist Mensch, dennoch tue ich dasselbe wie Homophobe mit Schwulen, bei euch Reichen. Ich mag Gründe haben, euch nicht zu mögen, aber es rechtfertigt wohl nicht, was ich dir an den Kopf geworfen habe. Und es tut mir leid, was ich dir alles an den Kopf geworfen habe."

Jungkook kommt neben mir zum Stehen, also halte auch ich an und mustere ihn wieder. Seine braunen, warmen Augen mustern mich unverholen und er scheint über meine Worte nachzudenken, bis sich ein breites Grinsen auf seine Züge schleicht. "Ich hätte nicht gedacht, dass du dich tatsächlich entschuldigen kannst!", neckt er mich.

Schnaubend verdrehe ich die Augen und wende mich ab, um weiter zu laufen, doch kann das kleine Lächeln nicht verhindern, dass auf meinen Lippen Platz einnimmt. "Ich kann die Worte auch zurücknehmen, wenn du's nicht glauben kannst", gebe ich zurück. Das allerdings sorgt nur für ein helles Auflachen seinerseits. Wieder schliesst er zu mir auf und lächelt mich breit an.

"Weisst du, du gibst dich immer so kühl und distanziert und abweisend - aber eigentlich bist du doch ganz nett", bemerkt er und ich seufze tief, ehe ich grimmig lächle. "Das ist wohl noch eine lästige Angewohnheit aus meinem Elternhaus", murmle ich unbestimmt. Eigentlich ist das nur meine Art, um Menschen von mir fernzuhalten. Viele Freunde hatte ich nie und ändern will ich das auch nicht unbedingt. Es ist gut so, wie es jetzt ist.

"Wirst du mir irgendwann mehr erzählen?", fragt er plötzlich, sodass ich wieder zu ihm blicke und fragend die Augenbrauen hochziehe. "Wovon?", hake ich misstrauisch nach. Jungkook zuckt mit den Schultern. "Von dir halt", erwidert er leiser und ich wende meinen Blick wieder ab. Ich hasse es, über mich zu reden. Namjoon ist der Einzige, der praktisch alles über mich weiss und damit auch meine Herkunft kennt. "Keine Ahnung", gebe ich unbestimmt zurück, "Vielleicht wenn du ein guter Schüler bist."

Ich höre ihn leise auflachen und grinse selbst ein kleines Bisschen. Wenn das tatsächlich meine Bedingung wäre, dann müsste ich seine Frage vermutlich eher mit einem 'Ja' beantworten, denn er ist gut, in dem was er tut.

"Wann sprayen wir denn wieder etwas?", will er wissen. Ich zucke mit den Schultern. "Ich hab heute Abend Zeit. 22 Uhr?", schlage ich vor. "Klingt gut", willigt er ein und ich nicke das Ganze ab. "Dann hole ich dich ab. Du musst nichts mitbringen heute."

"Ich dachte ich soll etwas sprayen?"

"Manchmal ist es auch sehr lehrreich, wenn man einfach nur zusieht", erwidere ich ungenau und als ich ihn ein weiteres Mal anschaue, kann ich sehen, wie seine Augen aufleuchten. "Du sprayst?", hakt er nach, woraufhin ich langsam nicke. Ich verstehe nicht, was ihn daran so begeistert. Er wollte bereits, dass ich etwas spraye, aber das ist keine grosse Sache. Ich tue nichts anderes als er.

"Hast du schon eine Vorstellung von dem Motiv?"

Wieso stellt er eigentlich so viele Fragen? Seufzend sehe ich nach links und betrachte das Auto, dass gerade an uns vorbeibraust. "Keine Ahnung... Vielleicht sowas wie 'Je ne regrette rien.'"

Kurz herrscht Stille, bis der Student wieder das Wort ergreift. "Das ist Französisch", stellt er fest und ich höre die stille Frage heraus, in dem Satz. "Und bedeutet 'ich bereue nichts'", füge ich hilfsbereit hinzu.

"Du sprichst Französisch?!", fragt er ungläubig. Ich neige den Kopf. "Évident, mais seulement un peu."

"Das klingt so schön!", zeigt er sich begeistert und ich lache leise, als er aufgeregt weiterspricht: "Ich kann überhaupt kein Französisch!" Wie kann man sich durch etwas so kleines nur so begeistern lassen?

"Ich spreche nicht perfekt, aber gut genug um in Frankreich sicherlich zu überleben", meine ich leise, "Meine Eltern wollten damals, dass wir es lernen."

Soomin hatte das aber besser drauf als ich. Sie ist sowieso ein verdammtes Sprachentalent, ich habe mich im Unterricht immer etwas schwerer getan, als sie. Vielleicht hätte ich ihren Rat einmal annehmen und auch fremdsprachige Bücher lesen sollen. Von solchen hatte sie unzählige im Regal stehen.

"Wieso?", hakt Jungkook nach, "Ich meine... ist Englisch nicht wichtiger?"

Abermals zucke ich mit den Schultern. "Keine Ahnung, wieso sie mich in Französischunterricht geschickt haben, aber nicht in Englisch. "

Er sagt nichts mehr darauf und ich will auch nichts weiter erzählen. Das war bereits mehr, als er je erfahren sollte. Er braucht nicht auch noch zu wissen, wieso ausgerechnet Französisch, denn eigentlich weiss ich es doch. Ich weiss es sogar ganz genau.

Besonders im 18. Jahrhundert, war Französisch die Aristokratensprache; am Hof wurde nur diese Sprache gesprochen.

Graffiti [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt