Gedankensplitter - Spieglein, Spieglein

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Das Surren der Klimaanlage ließ mich aus dem Schlaf fahren. Dieses verdammte Ding hatte mir in den letzten Monaten mehr als genug Ärger bereitet und nun zählte das Rauben meines kostbaren Schlafes auch noch zu der Liste. Hätte meine Klimaanlage ein Eigenleben gehabt, mit Charakter und allem drum und dran, so wäre es eine hinterlistige Zicke mit einem Dickschädel gewesen. So war es einfach nur die Klimaanlage, der der Hausmeister alle paar Wochen einen Besuch abstattete. Er witzelte bereits, dass das silberne Teil ihn vermisste.
Ich ließ mich zurück in mein weiches Kissen gleiten, als mir bewusst wurde, dass es Winter war. Draußen herrschten seit zwei Wochen eisige Temperaturen, die Schneedecke wurde von Tag zu Tag größer und selbst mein Wintermantel konnte mich nicht mehr vor der Kälte schützen. Obwohl sich die Klimaanlage hin und wieder einschaltete ging sie im Normalfall nach wenigen Minuten auch von selbst wieder aus. Doch das störende Geräusch hatte ich bereits im Halbschlaf gehört und es war auch kein Surren gewesen. Noch nicht einmal entfernt hatte sich dieses Geräusch angehört wie meine Klimaanlage. Ich schlug meine Augen auf, um meinem Körper zu signalisieren, dass er wach werden sollte. Ich sprang aus meinem Bett und stellte fest, dass ich Recht hatte. Alles war so wie es sein sollte, die Heizung gluckerte leise vor sich hin und die Klimaanlage war ausgeschaltet. Ansonsten herrschte absolute Stille in meiner Wohnung. Bis auf dieses Klopfen. Ich hörte es mit einem Mal ganz deutlich. Panik stieg in mir auf und ich betätigte den Lichtschalter. Abrupt hörte das Klopfen auf. Eine ganze Weile stand ich starr vor meinem Bett und bohrte meine nackten Zehen unruhig in den Teppichvorleger hinein. Schließlich brachte ich genug Mut auf durch meine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung zu laufen. Wie zu erwarten fand ich keinen Einbrecher vor und auch der Hausmeister hatte sich nicht in meine Gemächer verirrt. Du hörst Gespenster, lachte ich mich selbst aus und tappste zurück zu meinem Bett. Gerade als ich mich wieder hinlegen und das Licht löschen wollte, kehrte das Klopfen zurück. Sofort hielt ich in meiner Bewegung inne. Zuerst war es nur leise zu vernehmen, aber dann wurde es lauter, vehementer. Es war unmöglich, dass ich mir dieses Geräusch immer noch einbildete. Ich war hellwach und nahm weder Drogen, noch stand ich unter dem Einfluss von Medikamenten. In diesem Moment wünschte ich mir, doch jemanden in der Wohnung gefunden zu haben, denn dann hätte es eine plausible Erklärung für das Klopfen gegeben. Doch nachdem ich auch ein zweites Mal alles abgesucht hatte, war ich nicht schlauer geworden. Angestrengt lauschte ich und stellte fest, dass das störende Geräusch nicht weit von mir entfernt, in meinem Schlafzimmer sein musste.
Ich nahm einen tiefen Atemzug und begann jede Ecke abzulaufen, hörte genau hin und merkte, dass es neben meinem Kleiderschrank besonders gut zu hören war. Nur um sicher zu gehen, öffnete ich alle Schränke, auch meinen Kleiderschrank, nur um sie wieder genervt zuschließen. Mein Blick glitt über den Spiegel den ich irgendwann mal auf einem Flohmarkt aufgegabelt hatte. Ich lächelte mir zu und tiefe Befriedigung stellte sich bei mir ein. Dafür, dass es mitten in der Nacht war und eigentlich im Bett hätte liegen müssen, sah ich verdammt gut aus. Meine Haare fielen wie frisch gebürstet über meine Schultern und meine Augenbrauen standen zur Abwechslung nicht in alle Richtungen ab. Meine Wangen wirkte rosig, als ob ich Rouge aufgelegt hätte und meine Wimpern waren seidig lang. Ich hielt inne, dann machte ich erschrocken einen Satz zurück. Ich stand schräg neben meinem Spiegel, also konnte ich mich darin gar nicht sehen. Mein Spiegelbild hob seine Hand und klopfte gegen die Scheibe. „Bist du ich? Bist du darin gefangen?" fragte ich ohne darüber nachzudenken. Mein Spiegelbild antwortete nicht. Sein Blick huschte hin und her, während es immer wieder gegen das Glas klopfte. Ich versuchte meine Hand auf seine zu legen, aber es geschah nichts. Das Glas blieb Glas. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, mit voller Wucht schmiss ich mich gegen meinen Spiegel. Er zerbrach. Zerbrach in tausend kleine Splitter und ich mit ihm.

GedankenflugWhere stories live. Discover now