Gedankensplitter - Weil ich weiß bin

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Dieser verachtende Blick, den mir diese Frau zuwarf, als sie meinen Weg kreuzte. Ich würde ihn nie vergessen können. Sie sah mich an und sah gleichzeitig durch mich hindurch.
Ich trug gerade einen Korb voll Ware in das Geschäft, in dem ich aushalf um mein Geld aufzubessern während ich keine Schule hatte. Sie schien eine gewöhnliche Kundin zu sein, denn sie wusste genau wo sie fand, was sie suchte. Als ich mich daran machte ein Regal einzuräumen stieß ich aus Versehen mit ihr zusammen. Sofort entschuldigte ich mich, aber sie ignorierte mich, bis sie mit verachtender Stimme wissen wollte, wo ich herkam. Es lag purer Hass in ihren Worten, ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit.
„Von Hier." gab ich ihr eine ehrliche Antwort und fuhr mit dem Einräumen fort. Mit aufgerissenen Augen starrte mich die Frau an, die in orangene Tücher gehüllt war, als sei ich ein Ausstellungsstück. Ihre Haare trug sie zu einem strengen Dutt gebunden und ihr knielanger Rock unterstrich ihre wunderschön langen Beine. „Und deine Eltern, wo sind die geboren?" Diese Frau schien keinen Respekt zu haben. Diese Hochnäsigkeit mit der sie den Kopf hoch trug ließ mich aber dennoch vor ihr zurückschrecken.
„Hier." gab ich wortkarg an und seufzte leise. Innerlich verfluchte ich diesen Tag und hoffte, sie würde nur schnell verschwinden.
„Tatsächlich? In der wievielten Generation lebt deine Familie denn schon in diesem Land?" Ihre Stimme klang abwertend, aber auch interessiert. Ich atmete tief aus und meine Stimme überschlug sich fast in unbeabsichtigter Lautstärke: „Schon immer, verstehen Sie? Ich bin wie Sie."
Kopfschüttelnd betrachtete mich die Frau und strich ihre schwarzen Haare aus dem Gesicht, als könne sie diese Tatsachen nicht hinnehmen. Bevor sie sich umdrehte und davon stolziert, entgegnete sie mir wütend: „Ich bin ganz sicher nicht so wie du. Ich habe Rechte, ihr habt sie euch vor langer Zeit verspielt."
Endlich verschwand die Mittvierzigerin und ich atmete erleichtert aus. Es stimmte, lange vor meiner Geburt hatten wir Unrecht getan, aber es war unfair, dass meine Generation noch immer dafür büßen musste. Ich warf einen Blick in den Spiegel, in dem die Kassierer den Laden im Blick hatten. Mir blickte ein trauriges, blasses Mädchen entgegen, deren blauen Augen aus dem dünnen Gesicht stachen und dessen blonde Haare glatt den Rücken hinunterfielen. Unglaublich, schoss es mir durch den Kopf, Und das nur weil ich weiß bin.

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