Kapitel 7: Abschied

16 2 0
                                    

Ein kleiner Seufzer entfährt mir. Wieso habe ich denn unbedingt Morgan und dem Kaiser die Treue schwören müssen? - Ja schon, Straffreiheit, schön und gut. Doch dafür habe ich jetzt solche Aufträge am Hals...
Ich schlage den Weg Richtung Palast ein, hoffe Elias dort antreffen zu können, nicht wieder von irgendwelchen streitlustigen Wachen abgewiesen zu werden. Inzwischen haben sich die Straßen schon gut gefüllt, die achte Stunde bricht an, die Händler beziehen ihre Stände, die ersten Bauern kommen mit ihren Waren durch das Stadttor herein, und die Handwerker und Tagelöhner beginnen ihr Tagwerk. Es tut einerseits gut, hier inmitten all dieser Menschen zu sein, sich sicher zu fühlen in der Gemeinschaft. Auf der anderen Seite jedoch erinnert es mich auch schmerzlich daran, wie viele von ihnen mich eigentlich nicht unter sich haben wollen. Sie zeigen es zwar nicht immer offen, aber tief drinnen, das weiß ich, ist es so...

Gedankenverloren schlendere ich so dahin, kaufe im Vorbeigehen einem Bauern einen schönen, roten Apfel ab, mache mich grübelnd über mein Frühstück her. Wieso sind die Monster zurück in Kerandel? Aus dem Nichts heraus wohl kaum, schließlich wurden sie hier in Kerandel schon vor einem guten Jahrhundert ausgerottet und zwischen uns und Nelgoro liegen einige hundert Seemeilen. Nicht einmal ein überaus schwimmbegabtes Monster schafft es, diese Distanz über das offene Meer zurückzulegen, geschweige denn Sandkriecher und Kichernde Tode. Also wurden sie von irgendjemandem hierhergebracht. Nur von wem? Wer könnte einen Nutzen daraus ziehen, eine Monsterplage auf das Kaiserreich loszulassen? Vor allem, wie ließe sich Tod und Zerstörung einem ernsthaften Zweck zuführen, zumal dieser jemand selbst früher oder später von der Plage genauso betroffen wäre wie jeder andere auch. Es ergibt einfach keinen Sinn! Schon gar nicht, wenn ich bedenke, dass mein Informant Shurikoto gesagt hat, der Schatten hätte etwas damit zu tun. Da jener aber Meuchelmörder ist, erschließt sich mir keine mögliche Konstellation, in der sein Beruf mit den Monstern irgendetwas zu tun hätte. Es sei denn, er hat den Auftrag bekommen, ganz Kerandel auszulöschen...
Plötzlich spüre ich groben, rauen Stoff an meiner Wange, werde abrupt angehalten, komme ins Straucheln und lande ausgestreckt auf der Straße.
"Sie sollten besser aufpassen, wo sie hingehen!", grölt der Bauer, mit dem ich kollidiert bin, wendet sich belustigt ab. Die paar Umstehenden, welche ihr Grinsen zu unterdrücken versuchen, ignoriere ich jetzt einfach mal und rapple mich eilig wieder auf, entwirre meinen Umhang, klopfe mir die Hose ab. Den verdreckten Apfel kann ich dann wohl vergessen und Lust auf einen zweiten habe ich auch nicht wirklich.
"Hey, Vangat!", tönt es in diesem Moment quer über die Straße. Aus den Augenwinkeln sehe ich einen orangen Umhang flattern, begleitet vom Schwarz meines Schülers.
"Elias", antworte ich freudig, eile den beiden entgegen, begrüße meinen Freund mit einer kräftigen Umarmung.
"So, du wolltest mit mir reden?"
"Wo kommt ihr denn auf einmal her?", muss ich zuerst fragen.
"Ach...Nosotto hat mir gesagt, du würdest etwas von mir wollen, irgendetwas wegen der Monster? - da sind wir zum Gasthof aufgebrochen um dir entgegenzukommen. Tja, und dann sehen wir dich da mit diesem Typen kollidieren", er schmunzelt.
"Ja...das...ähm", murmle ich verlegen.
"Egal, was gibt's?", lächelt Elias.
"Nun, über die Monsterplage bei Eldarsfest bist du ja informiert, genauso wie darüber, dass mir die Ehre", betone ich besonders: "zuteilwurde, mich darum kümmern zu dürfen. Und jetzt ist es so..."
"Lass mich raten, du brauchst wieder einmal meine Hilfe? Stimmt's oder habe ich Recht?", grinst mein Freund triumphierend, weil er genau weiß, dass seine Aussage den Punkt trifft.
"Exakt. So ist es. Es ist einfach so, dass Nosotto und ich alleine damit nicht fertig werden können." "Hast du nicht eine Kompanie Soldaten und einen Söldnertrupp versprochen bekommen?", erwidert Elias irritiert.
"Schon, ja. Aber du hast die Männer nicht gesehen...", spiele ich in Richtung ihrer Unfähigkeit an.
"Aha. Schon verstanden...", nickt er zustimmend.
"Also, wie sieht es aus? Kann ich auf dich zählen?"
"Hm...Ja...es ist nur...", druckst er.
"Was?", hake ich fast enttäuscht nach.
"Naja, es ist vor kurzem eine Delegation elfischer Diplomaten in Erlon eingetroffen. Und außerdem muss die Wahl des neuen Kaisers organisiert werden...", versucht er sich zu entschuldigen.
"Also stimmt es, was man hört? - Der Kaiser wird durch die vierzehn Lords abgesetzt werden?", wirft Nosotto ein.
"Ja, so ist es. Man hat dem Herrscher jetzt schon sämtliche Befugnisse aberkannt und ihn nur noch der Form halber auf dem Thron sitzen lassen, bis sein Nachfolger durch eine Versammlung aller Lords bestimmt wird", bestätigt Elias.
"Und du musst unbedingt hierbleiben deswegen? Kann das nicht jemand anderer übernehmen? Zum Beispiel einer der Gelbmäntel, die ja eigentlich für solche Angelegenheiten zuständig wären?", halte ich dagegen.
Elias verzieht die Mundwinkel, wiegt den Kopf leicht von einer Seite zur anderen, brummt, so als überlege er, läge mit sich selbst im Zwiespalt, meint schließlich: "Ich werde sehen, was ich tun kann..."
"Ich glaube, es würde dir nicht schaden, wieder mal nach draußen zu kommen, selbst etwas anzupacken, anstatt ständig nur zu planen", versuche ich ihn zu überzeugen.
"Ja, vermutlich hast du Recht", seufzt er.
"Gut, dann sehen wir uns morgen bei Sonnenaufgang am Nordtor?", will ich es fixieren.
"Okay. Passt", nickt Elias.
"Danke", lächle ich.
"Bis dann", verabschiedet er sich mit einem kaum erkennbar fröhlichen Zucken im Gesicht, verschwindet recht schnell in der Menge.
"So", wende ich mich an meinen Schüler: "Da dies nun auch geklärt wäre..." "Trainieren wir endlich weiter?", beginnen seine Augen zu leuchten, bringen mich zum Lachen: "Nein, bald", muss ich ihn enttäuschen. Er lässt die Schultern übertrieben hängen.
"Ich habe noch ein kurzes Wort mit unserem Obersten zu reden", knurre ich beim Gedanken an Eva.
"Oha."
"Das kannst du laut sagen", rausche ich von dannen.

"Morgan, ich muss mit dir reden", klopfe ich an die Tür seiner Gemächer, die ihm Lord Zelos zur Verfügung gestellt hat.
"Herein", antwortet er mir. Ohne zu zögern drücke ich die Türklinke nieder, trete ein, während mein Schüler sich diskret zurückhält und draußen bleibt.
"Was willst du?", blickt Morgan nur kurz von seinen Briefen auf, die er gerade verfasst und versiegelt.
"Eigentlich nicht viel", beginne ich diplomatisch: "Nur eine Sache, die ich gehofft hatte, nie wieder ansprechen zu müssen."
"Hm?", schaut Morgan mich nochmal kurz an, mustert mich im Schnellverfahren, ehe er seine Unterschrift unter ein fertiges Dokument setzt.
"Es geht um Eva..."
"Aha", unterbricht er mich, sieht mir endlich direkt in die Augen: "Sag mir jetzt bitte, sie nimmt mein Angebot an." Welches Angebot?
"Um ganz ehrlich zu sein: Nein. Das wird sie nicht. Wie auch immer dieses 'Angebot' genau aussehen mag, möchte ich ein für alle Mal klarstellen, dass ich es nicht dulden werde, solltest du weiterhin versuchen, Eva für deine Zwecke einzusetzen." Morgan zieht fragend, leicht herausfordernd beide Augenbrauen hoch, steht langsam auf, dreht sich weg, macht einige Schritte zum Fenster hin, starrt mit verschränkten Armen ausdrucklos in die Ferne: "Dir ist schon bewusst, welch eine Riesenchance uns dadurch entgeht?"
"Dann hol dir doch irgendeine andere Hexe. Irgendeine wird schon bereit sein, sich dir zu verpflichten", stelle ich mich energisch direkt neben ihn.
"Tja, leider ist es halt so, dass Eva die einzige ist, deren Aufenthaltsort mir zumindest zeitweise bekannt ist, und zweitens kann sie etwas, das ihre Kolleginnen vermutlich maximal ersehnen dürfen", er setzt kurz ab: "Darf ich dich bei dieser Gelegenheit übrigens daran erinnern, dass du mir eigentlich die Treue geschworen hast?", kommt es brachial wie aus dem Nichts vom Obersten
Gerade noch kann ich mich beherrschen, halte meine Hand vom Schwertgriff zurück. "Das hat aber nichts mit ihr zu tun", erwidere ich angespannt.
"Ich glaube schon. Immerhin wärst du es, der sie überzeugen könnte."
"Träum weiter."
"M-m", schüttelt Morgan den Kopf: "Falsche Antwort." Kurz zuckt meine Hand. Gerade noch halte ich mich zurück, atme einmal tief durch, blicke ihm direkt in seine hellbraunen Augen: "Gut, dann sage ich es dir jetzt ein für alle Mal und in aller Deutlichkeit: Sollte mir jemals wieder zu Ohren kommen, du hättest Eva erneut belästigt, werde ich das als eine Aufforderung zum Duell ansehen." So, jetzt ist es raus. Ich atme erleichtert und doch gleichzeitig angespannt seine Reaktion abwartend aus.
"Soll das gerade eine Drohung sein?", bekomme ich kühl zurück, während sich die Anspannung im Raum bis zu einem Punkt steigert, den sie eigentlich nie hätte erreichen sollen.
"Wenn du es so sehen willst", knurre ich: "Gerne."
Eine kurze Stille entsteht, in der er mich einige Momente lang eingehend betrachtet, die Augen wütend zusammenkneift, schließlich erneut den Mund öffnet: "War das alles?"
"Ja", bestätige ich: "Wiedersehen."
"Wiedersehen", antwortet er mit einem Gesichtsausdruck, dessen wahre Bedeutung ich nicht wirklich hinterfragen will.
Langsam lasse ich die Tür hinter mir ins Schloss gleiten. Atme hörbar aus. Ein Duell zwischen mir und ihm... Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn wir beide wirklich Ernst machen.

Der Azatin: Der Aufstieg #IceSplinters18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt