Kapitel 22: Durchhalten

4 2 0
                                    

"Jetzt!", brülle ich und höre im selben Moment unzählige Bogensehnen schnalzen, Pfeile in die Dunkelheit sirren, Monsterschreie die Stadtmauern heraufhallen.
"Volltreffer!", motiviere ich die Soldaten: "Nächste Salve! Bereit! Feuer!" Wir sitzen hier fest. Die Vororte sind nichts mehr als Schutt und Asche, die Felder und Tiere verlassen, während die Menschen alle hier in Eldarsfest Zuflucht suchen vor den Monstern, die ohne Pause aufs Neue auftauchen, angelockt vom Geruch tausender Bürger.
Und wir haben keine Wahl, als hier zu bleiben, zu hoffen, auf Verstärkung, denn nicht mal am Tag ist es mehr sicher. Wir sind gefangen hier.
"Aaaah!", ertönt es vom Boden her. Laut donnernd trifft der Schädel eines Sandkriechers gegen die Holzplatten. Es knackt und knarrt, aber hält, während sich das Biest wieder zurückzieht, nur ein Loch im Boden verbleibt. Und sogleich ist ein Trupp Zimmerleute bereit, den Schaden zu begutachten und so gut es geht zu reparieren.
"Schützen! Feuer!", kommt es von Forun. - Wir tun unser Bestes. Jedes tote Vieh ist eines weniger, mit dem wir uns später beschäftigen müssen, aber es scheint fast so, als gäbe es kein Ende. Viel zu schnell vermehren sie sich...
Es muss ganz in der Nähe ein riesiges Nest geben, mehrere vermutlich sogar. Anders lässt sich diese Reproduktionsgeschwindigkeit nicht erklären.
In Nelgoro wäre ich einfach losgezogen, sie zu suchen und auszuräuchern. Jetzt jedoch...ich kann Kim nicht einfach alleine hier lassen. Er hat kaum Erfahrung mit Monstern, und wenn irgendwann doch ein Sandkriecher durchbricht, dann möchte ich nicht wissen, was ohne mich passiert. Andererseits aber...wenn ich nichts gegen die Nester unternehme...

"Nein. Ich schaff das schon", versichert mir Kim: "Geh ruhig. Schau, dass du sie uns vom Hals hältst und wir halten hier durch."
"Sicher?"
"Sicher", schaut er mir fest und überzeugt in die Augen.
Ich bin es nicht, und wieder einmal zwiegespalten, muss aber das größere Übel abwenden, auch wenn es bedeuten könnte, Schäden in Kauf zu nehmen...
"Gut. Ich verlasse mich auf dich – und Nosotto."
Kims Augen weiten sich erstaunt: "Du lässt ihn hier?"
Ich nicke: "Das ist zu gefährlich. Im schlimmsten Fall müsste er sich selbst da raus holen können, das schafft er nicht. Noch nicht. Und ich möchte nicht für seinen Tod verantwortlich sein, nur weil ich ihn nicht beschützen konnte..."
"Hast du es ihm schon gesagt?"
Ich schüttle den Kopf.
"Er wird es nicht so gut aufnehmen", spricht Kim meine Befürchtungen aus.
"Deswegen werde ich einfach gehen. Ihm keine Möglichkeit zum Widerspruch lassen."
"Ist das besser?", sorgt er sich.
"Wenn ich das nur wüsste", lege ich meinen Mantel ab, hänge ihn auf den Haken, trete hinaus ins Morgenlicht, lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen.

Eine Naturgewalt wütet durch die Wälder. Schwert und Magie, Stahl und Blitze, tausende Monster und ein Magier. Ein Kampf auf Leben und Tod.
"Kommt schon!", brülle ich wütend, strecke einen Kichernden Tod nach dem anderen nieder: "Heraus mit euch!" Eisstachel fliegen durch die Luft, treffen ihre Ziele ebenso wie meine Klinge. Ein Monster ums andere werden sie weniger und ich komme näher. Sie kämpfen erbitterter, werden zahlreicher. Das Nest ist nahe. Eine Anhöhe hinauf, zwischen den Bäumen durch, hinter mir eine Spur der Verwüstung herziehend, bewege ich mich vorwärts, lasse den Elementen freien Lauf. Bis ich schließlich oben stehe, still stehe, sehe, was dort ist.

Ich stolpere über Stock und Stein, stürze, falle, breche zusammen. Liege dort auf dem Boden, in Sichtweite der Stadt, keine zweihundert Meter weg. Und doch unsichtbar, niemals zu entdecken in der Nacht. Mein Atem geht schwer. Der Schmerz bohrt sich tief, frisst sich in mein Bewusstsein. - Aber ich werde nicht aufgeben! Sie werden nicht gewinnen! Nicht einfach so! Nicht! Einfach! So! - Und die Welt wird dunkel, wird eines mit dem mondlosen Himmel.

Eine warme Hand fährt durch meine Haare, hebt meinen Kopf. Angestrengtes Keuchen schlägt mir ins Gesicht.
"Vangat?", japst er.
"Nosotto?", murmle ich: "Was machst du hier draußen?" Ein Blitz entfährt seiner Hand, trifft den Kichernden Tod, der gerade zum Sprung angesetzt hat.
"Dir den Hals retten!"
Benommen schaue ich mich um, finde mich inmitten von ehemals lebendigen Monstern wieder.
"Wie hast du...?", bringe ich die Frage nicht zu Ende, erkenne mein Schwert an seiner Hüfte. - Und mein Erstaunen ist mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn er grinst nur, wie ein Jugendlicher eben grinst, der gerade unvorstellbare Mächte kontrolliert. Mir steht der Mund offen. Es ist mir ein Rätsel, auf welche Art und Weise es ihm gelingt, damit umzugehen, es zu bändigen, zu lenken. Aber allem Anschein nach ist alles in bester Ordnung, mal abgesehen von den Monstern rings um uns.
"Wir", stöhne ich, versuche mich hochzudrücken: "müssen zurück in die Stadt." Doch es gelingt mir nicht, meine Arme geben unter mir nach, mein geschundener Körper zwingt mich, aufzugeben.
"Nicht! Warte!", weist er mich an, hebt das Stück Erde unter mir in die Höhe, lässt mich neben sich schweben, beginnt zu laufen.
"Pass auf", bringe ich hervor, handle mir damit allerdings eine sehr unsanfte Landung im Gestrüpp ein. - Auch wenn Nosottos Blitz sein Ziel präzise trifft und zur Strecke bringt, hat er doch auf mich vergessen und somit fallen lassen.
"Oh", realisiert er: "Das...ähm...ich..."
"Nichts...passiert", murmle ich. Nur weg von hier.
Abermals hebt mein Schüler den Boden unter mir an, springt diesmal selbst auf. Und dann zischen wir davon. Schnell. So schnell. Die Welt verschwimmt. Und die magische Kraft des Schwertes mit ihr. Das Schimmern wird schwächer, je näher wir der Stadt kommen. Sicherheit. So teuer erkauft. - So viel Kraft. Verschwendet.
Und wofür?
Nicht mal mein Ziel habe ich erreicht...

Der Azatin: Der Aufstieg #IceSplinters18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt