Kapitel 26: Angriff

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Der Morgen graut, die Nacht zieht sich zurück und die Dämmerung hüllt den Wald in ein gespenstisches Zwielicht. - Es ist ungewohnt, so ohne Umhang – doch im Kampf ist er nur hinderlich.
Einige hundert Bürger haben wir zusammenbekommen, die jetzt in einer unordentlichen Kolonne auf der Waldstraße hinter uns hermarschieren. Bewaffnet sind sie mit allem, was wir bekommen konnten, hauptsächlich Speere, Mistgabeln und Dreschflegel. Die Soldaten der Armee und die Söldner tragen Fackeln und haben die Aufgabe, die Leute zusammenzuhalten und zu führen. - Wir können auf keine koordinierten Taktiken hoffen, wie ein professionelles Heer sie auszuführen vermag, viel eher besteht der Plan darin, der Masse an Monstern unsere eigene Masse entgegenzuwerfen und dann auf das Beste zu hoffen. - Und ich sehe schon, wozu das führen wird... Wahl haben wir trotzdem keine. Alles, was ich noch tun kann, ist, so viele der Biester niederzumachen wie möglich, bevor sie auf die Bürger treffen und so zumindest einige Leben zu schonen.

Rascheln im Gebüsch, die Erde zittert, Kichern in der Ferne.
"Es geht los", knurre ich, ziehe mein Schwert, drehe mich um, lasse den Wind meine Stimme weithin tragen: "Sie kommen! Und wir werden standhalten! Für Eldarsfest! Für unsere Freiheit!"
Undifferenziertes Brüllen kommt zurück – die Bürger sind bereit.

Und keine zwei Augenblicke später befindet sich die Kolonne im Chaos. Scheinbar gleichzeitig von überall kommen sie, kriechen aus jedem Versteck, jedem Loch, stürzen sich auf uns. Unzählige magische Blitze zucken durch den Wald, grimmiges Kampfgeschrei wird begleitet vom Kreischen der Monster, Stahl trifft ebenso auf Fleisch, wie es die Klauen tun. Zum Grün der Blätter mischt sich Rot.
Einer der Kichernden Tode meint, ein Sprung in meine Richtung wäre eine gute Idee. Mein Stahl belehrt ihn eines Besseren, ebenso wie einen Sandkriecher, der sich von hinten auf Nosotto stürzen will und noch dazu eine Ladung Feuer ins Maul bekommt. Donnernd bricht er zusammen, landet der Länge nach ausgestreckt zwischen meinem Schüler und mir. Ein kurzer Blick von ihm, mehr Zeit bleibt nicht für Dankesbekundungen. Wobei er sich auch gleich revanchiert, einem Kichernden Tod einen brennenden Haarschnitt verpasst. Womit jedoch keiner von uns beiden gerechnet hat: das Biest jagt wie besessen zurück ins Unterholz, welches natürlich sofort Feuer fängt. Gut für uns, diese Seite ist sicher, da trauen sich die Viecher niemals durch.
Viel leichter wird es dadurch aber auch nicht, vor allem nicht, da die Monster sich wie ein Keil in die Mitte der Kolonne geschlagen haben, was nun uns Magier mit unserer Hälfte der Bürger von den anderen trennt.
"Nicht gut!", schreie ich in Kims Richtung, der es nun ebenfalls bemerkt.
Elias prescht vor: "Ich kümmere mich darum!", lässt in rascher Folge Eisstachel auf die Horde niederdonnern.
Kim deutet auf die andere Seite: "Schau...", wird von einem Kichernden Tod unterbrochen, der kurz darauf an der Spitze meines Schwertes endet.
Ich habe nur einen Augenblick Zeit, mir die Situation anzusehen, ehe ich mich wieder selbst verteidigen muss. Hauptmann Arno versucht gerade den hinteren Teil der Kolonne in eine ungefähre Kreisformation zu bringen, während die Leute meiner Hälfte in losen Gruppen verstreut stehen, oder schlimmer noch, führerlos herumirren – und jeder für sich selbst kämpft.
Elias tut in der Mitte sein Bestes, aber es sind einfach zu viele, um wieder durchzubrechen und uns zu vereinen.
Leutnant Forun neben mir schreit seine Befehle über das Schlachtfeld, die jedoch vom Kampfgetöse verschluckt werden.
Zwischen zwei Schwertschlägen und einem Eishagel schaffe ich es, seiner Stimme mit einem gut getimten Windstoß zu helfen, was zu einem Zusammenrücken der verstreuten Kämpfer führt, bis schließlich eine ähnlich kompakte Formation entsteht wie auf der anderen Seite.
Und vom einen Moment auf den anderen tritt Ruhe ein, die Monster verschwinden ins Dickicht. Vereinzelt hört man Jubelrufe, die Leute wollen die Kreise auflösen.
"Halt!", brüllen Forun und Arno fast gleichzeitig zu ihren jeweiligen Leuten.
"Noch ist es nicht vorbei!", verkünde ich. - Wirklich? - Natürlich. Noch sind nicht alle tot. - Sie sind nur weggelaufen. Und das Nest haben wir noch lange nicht erreicht.
Die große Frage bleibt: Warum hat der Ansturm geendet? - Wobei das im Moment eigentlich egal sein sollte, besser, wir nutzen die Situation zu unserem Vorteil, was Forun und Arno auch bereits tun, sodass schlussendlich ein großer Block entsteht, der zu allen Seiten mit spitzen Gegenständen bewährt ist. Manövrieren können wir damit halt im Wald nicht, sondern nur hier sitzen, und warten, verschnaufen.
"Bürger von Eldarsfest!", hebe ich zu sprechen an und hoffentlich auch die Moral: "Wir haben soeben einen großen Sieg errungen. Noch ist es nicht vorbei, doch sind wir auf einem guten Weg! Weiter so!" - Eher eine Geht-so-Ansprache, aber sei's drum...
"Vorschläge?", raunt mir Forun zu.
"Wir müssen ihnen nach zum Nest", erwidere ich mit gesenkter Stimme.
"Also Formation auflösen?"
"Werden wir wohl müssen." Auch wenn es gefährlich ist, wir haben kaum eine andere Wahl.
"Also gut", tönt es laut vom Hauptmann, der mitgehört hat: "Bildet Gruppen zu je zehn mit je einem Soldaten oder Söldner. Wir folgen ihnen ins Dickicht!"
Eine gute Minute vergeht, bis der kunterbunte Haufen in einer irgendwie erkennbaren Ordnung dasteht.
"Hier entlang!", winke ich die Kolonne in Richtung Nordosten, weg vom noch immer brennenden Unterholz westlich des Weges. - Elias ist so umsichtig, es zu löschen.
Forun ruft noch ein letztes Mal: "Bleibt zusammen!" - Dann verschlucken die Büsche und Blätter die Welt um uns, die sich sogleich beschränkt auf wenige Zentimeter zu allen Seiten.
Fast still ist es, man hört kaum mehr als die eigenen Schritte, gelegentlich ein unterdrückter Fluch wenn jemand stolpert.
Wenn mich meine Orientierung nicht komplett täuscht, sollten wir bald in die Gegend kommen, wo ich gewütet habe. Von dort dürfte es recht einfach sein, das Nest wiederzufinden. - Hoffentlich. - Denn irgendwie beschleicht mich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Etwas in mir sagt mir, dass es hier ganz und gar nicht mit rechten Dingen zugeht. Ich kann es nicht festmachen an einem bestimmten Indiz, aber alles zusammen ist einfach nicht...rund...
Wir sind alleine, möchte man meinen, gleichzeitig komme ich mir beobachtet vor. Von allen Seiten, von überall her.
"Hier nach rechts, den Hügel rauf", raune ich Kim zu.
"Warum flüsterst du?"
"Keine Ahnung... - Nein. Irgendwas schmeckt mir nicht so ganz."
Er kichert: "Du meinst die Monster?"
"Nein", schnaube ich belustigt, werde sofort wieder ernst: "nein...", wandert mein Blick zu den Baumkronen hoch.
"Kontakt!", erschallt der Ruf von weiter vorne, reißt mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität.
Schwerter, Speere, Feuerblitze, Blut, Schweiß, Schreie und Kreischen.
Befehle, die gebrüllt werden.
Monster, die niedergestreckt werden.
Unzählige Zukunftshoffnungen, die zerstört werden.
Eine ganze Horde Kichernder Tode fällt einem vereinten Feuersturm von Elias und mir zum Opfer, Kim zieht mit zwei Sandkriechern gleich, während Nosotto den Leutnant vor dem sicheren Tod durch einen weiteren rettet. - Schritt für Schritt arbeiten wir uns die Anhöhe hoch. Ich erkenne die Brandstellen an den Bäumen wieder, sehe, wo ich den Boden umgegraben habe, nur Kadaver sind keine mehr zu sehen. Keine Spur von den unzähligen Monstern, deren Terror ich hier beendet habe.

"Dort unten", verleihe ich meinen Worten mit Gesten zusätzlichen Ausdruck, wobei das in diesem Getümmel wohl so oder so keinen Unterschied machen würde. - Einzelne nehmen mich wahr, die Anderen werden ihnen folgen.
Das Nest liegt vor uns ausgebreitet in einer Senke, etwa hundert Meter den Hügel hinunter. Dicht an dicht drängen sich die Monster zwischen den zahllosen Eiern. Fauchen, Kreischen, Brüllen. Wie eine geeinte Masse schieben sie sich auf uns zu.
"Elias!", schreie ich: "Kim! - Nosotto!"
Ich hebe die Arme, lasse Blitze zwischen den Handflächen hin und her zucken. Meine Kollegen verstehen sofort, ziehen nach.
"Auf drei! - Eins! Zwei! Drei!"
Und auf einen Schlag entlädt sich die Macht von dreieinhalb Magiern auf die Horde, die kaum Zeit hat, auseinanderzustieben. - Diejenigen, die nicht fallen, stürzen sich dafür umso heftiger auf uns. So oder so ist es nach einigen Minuten endgültig vorbei.

An Ort und Stelle brechen wir zusammen, keuchend, nach Luft schnappend. Lachend, jubelnd.
"Und jetzt zu den Eiern", fletsche ich die Zähne, beginne zu wüten. Von außen mag es grausam aussehen, wehrlose, ungeborene Lebewesen zu töten. Aber wer allen Ernstes sagt, was ich hier tue, ist unmenschlich, der darf gerne vor mich treten, wenn sie erst einmal geschlüpft sind. Schlussendlich arbeiten wir uns alle gemeinsam durch das Nest, hinterlassen nur zertrümmerte Schalen, verrichten unser Werk.
"Geschafft!", stoße ich mein Schwert in das letzte, breche fast ohne Widerstand bis zum Boden durch, lasse es kurz stecken, ehe ich es wieder herausziehe.
"Lecker...", kommentiert Nosotto beim Anblick des Schleimes auf der Klinge.
"Ist wie ein Hühnerei", erwidere ich schulterzuckend: "nur größer." Forun und Arno kommen in meine Richtung. Ersterer lässt seinen Blick über den Wald hinter mir schweifen. - Und an etwas bleiben seine Augen hängen. Instinktiv fahre ich herum, nehme noch einen Fetzen schwarzen Leders wahr, der zwischen den Bäumen verschwindet.
"Was?", hauche ich.
Nosotto neben mir murmelt: "Täusche ich mich, oder war da was?"
"Leutnant", verlange ich nach seiner Aufmerksamkeit, ohne meinen Blick von der Stelle im Unterholz abzuwenden, wo er zuletzt stand.
"Ja?"
"Sie haben das auch gerade gesehen?"
"Was?"
"Eine Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet."
"Ich kann es nicht genau sagen."
"Also ja", begnüge ich mich mit seiner Antwort.
Arno tritt neben mich: "Was gibt es?"
"Der Schatten", brumme ich.
"Ist tot."
"Nein", bestätigt Elias, der in Hörweite steht: "Er lebt. Das kann ich bestätigen."
"Und warum", zieht Arno sein Schwert: "Stehen wir dann noch hier herum?"
Zur Antwort schüttle ich nur schwach den Kopf: "Sinnlos. Er wird nur gefunden, wenn er es so will. - Der ist längst über alle Berge."
"Aber...", protestiert der Hauptmann: "Warst es nicht DU, der ihm nachgejagt ist, und eine ganze Stadt wegen ihm niedergebrannt hat?!" Au. Der hat gesessen.
"Ja", erwidere ich, wende meinen glasigen Blick langsam von der Baumlinie ab: "Und deswegen sollte es dich umso mehr von der Sinnlosigkeit", eine Träne rinnt meine Wange hinunter: "dieses Unterfangens überzeugen!" Selen... Vater... Mutter... Sie alle sind ihm zum Opfer gefallen, direkt...oder indirekt...
Ich werde ihn finden. Früher oder später! Aber ich darf nicht wieder kopflos irgendwo hineinstürmen.
"Er", presse ich hervor: "spielt nur mit uns. Solange er die Kontrolle über die Situation hat, sind wir machtlos."
"Das ich sowas mal von dir höre, Vangat", schüttelt Arno den Kopf, steckt sein Schwert zurück, wendet sich ab, kommandiert die Leute zum Abmarsch zurück zur Stadt: "Wir sind hier fertig. Auf geht's!"

Der Azatin: Der Aufstieg #IceSplinters18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt