Let's have a small talk.

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Am Tag nach der Feier habe ich natürlich durch Produktivität geglänzt und auch meine Erinnerungen waren recht lückenhaft.

Nachdem ich gegen 15 Uhr endlich ausgeschlafen hatte, entschloss ich mich, zugedröhnt mit Aspirin und eingemummelt in eine Decke, noch einen Horrorfilm zu gucken.

Wobei ich mir nicht sicher war, ob es den brutal ermordeten Campern oder mir an dem Tag schlechter ging.

Wahrscheinlich schlief ich noch während des Filmes auf dem Sofa ein, denn am nächsten Morgen wachte ich neben jenem liegend, auf.

Es war noch relativ dunkel, sodass ich den weißen Wohnzimmertisch nach meinem Handy abtasten musste. Schälchen mit Nüssen, Fernbedienung und.. Handy!

Eine SMS von Mama, in der stand, dass sie noch ein paar Tage bei ihrem neuen Freund Angelo bleiben würde.

Ehe ich noch weiter darüber nachdenken konnte, sprang ich geschockt auf. Ich hatte keine Stunde mehr, bis meine Mitfahrgelegenheit da sein würde.

Sprintend legte ich den Weg zu meinem Zimmer zurück, in welchem ich dann die wichtigsten Sachen in eine Umhängetasche aus Leder stopfte und mir die Schuluniform griff. Mit dieser unterm Arm rannte ich ins Bad. Duschen, föhnen, anziehen und schminken im Akkord.

Vollkommen gehetzt und hungrig stand ich letztendlich vor meiner Haustür, atmete noch einmal tief durch und verließ dann mit einem souveränen Lächeln das Haus.

,,Na endlich! Und jetzt schwing' deinen kleinen Knackarsch hier rein", befahl mir die Fahrerin des roten Cabrios, ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen.

Das war meine beste Freundin Luciana, eine richtige Latina und immer sehr direkt und bestimmt.

Es war nur noch ein Platz auf der Rückbank frei, den ich mir sogleich mit einem gekonnten Sprung ergatterte.

,,Haste dich wieder von Samstag erholt, Darling?", prustete der perfekt gestylte Vincent neben mir los.

,,Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich jemals von diesem grässlichen, grünen Hemd erholen werde", konterte die vor mir sitzende Nika prompt, ohne dabei den Blick auch nur eine Sekunde vom Handy zu lösen.

Sofort fingen alle an laut loszulachen. Nur unser männlicher Begleiter nicht. ,,Es sah total cool aus", flüsterte dieser nur noch, bevor er sich beleidigt wegdrehte.

Mit einem Ruck, der bei Lu's allgemeinem Fahrstil keinen mehr aus der Fassung brachte, setzten wir unseren Weg zur Schule nun fort.

Dort angekommen beschlossen wir noch etwas vor dem Gebäude zu verweilen, jedenfalls bis der Andrang etwas nachgelassen hätte und während Vincent uns sehr ausführlich von seinem gestrigen Aufriss erzählte, schaute ich mich etwas um.

Plötzlich blieb ich mit meinem Blick an einer Person hängen. In einer Ecke des Geländes stand ein unheimlicher Typ am Drahtzaun.

Ich konnte meine Augen nicht mehr von ihm abwenden. Alle Geräusche um mich herum waren wie gedämpft, sodass ich nur noch mein Herz laut und deutlich schlagen hören konnte. Es schlug ungewöhnlich schnell.

Als ich zögernd auf den Jungen zuging und sein Gesicht klarer wurde, traf es mich wie ein Blitz.

Mit einem Mal kamen alle Erinnerungen an ihn wieder. Der Kuss, wie ich ihn sanft von mir wegschob und an ihm vorbei, einfach weiterging, bevor er mich zitternd am Arm griff, um dann doch wieder loszulassen und mich gehen zu lassen.

Ganz in Gedanken versunken war ich mittlerweile bis auf wenige Meter an den Fremden herangetreten.

Kopf schüttelnd holte ich mich wieder zurück ins Hier und Jetzt.

Durch die Bewegung schien er auf mich aufmerksam geworden zu sein, doch er sah mich nur eine Sekunde mit aufgerissenen Augen an, um mich dann wieder zu ignorieren.

,,Hey.. ich wusste nicht, dass du auch auf diese Schule g-"

,,Was willst du von mir?", unterbrach er mich direkt wieder.

Das war hart. Er musterte mich mit einem vernichtenden Blick, der zwar abschreckte, aber mich dennoch nicht abwimmeln konnte.

,,Hättest nicht erwartet, dass ich mich noch dran erinnere, nicht wahr? Ist das etwa deine Masche? Irgendwelche wehrlosen, angetrunken Mädchen abschleppen?", der Kommentar entlockte ihm ein abfälliges Prusten.

,,Diesen Zustand bezeichnest du also als angetrunken", brummte er, bevor er an mir vorbei zu meinen Freunden schaute, ,,du solltest jetzt lieber zurück zu deinen Leuten, die geiern schon."

Breitbeinig, zur Fluchtverhinderung, stellte ich mich mutig vor ihn: ,,Erst will ich wissen, was die Aktion sollte und wieso du nach Blut ge-"

Und wieder unterbrach er mich. Zeit zum Beschweren hatte ich jedoch nicht, da er mich auf einmal gegen die Schulfassade drückte. Angsterfüllt fing ich an schwer zu atmen.

Bitte tu mir nicht weh. Bitte tu mir nicht weh.

,,Ich hab' besseres zu tun, als dir Püppchen die Welt zu erklären, also tu uns den Gefallen und halt' dich einfach von mir fern, ok?"

Ich weiß, dass jetzt eigentlich der Moment für einen Schrei gekommen wäre, aber..

Seine Augen. Strahlendes blau mit einem hellbraunen Außenring.

,,..Damit kriegt man bestimmt Jede rum", dachte ich versehentlich laut.

Verdutzt zog er eine Augenbraue hoch: ,,Haste irgendwie Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom?!"

Noch ehe ich etwas erwidern konnte, kam mir ein weiterer zwielichtiger Kerl zuvor: ,,Was machst'n du da mit der RichBitch klar, Pierce?"

Er hatte eine genähte Wunde auf der Nase und wer auch immer ihm das zugefügt hatte, ich wollte es ihm gleich tun.

Sofort ließ Pierce (das war also sein Name) von mir ab: ,,Ich glaub' die will Personenschutz."

Lachend schlug er nun mit der Faust gegen die Schulter des Verwundeten, der mich mit einer Handgeste zum Gehen aufforderte.

Niedergeschlagen wollte ich dem auch nachkommen, als der Blauäugige sich nochmal umdrehte und mir ein leichtes und kurzes Lächeln zuwarf.

Verstehe einer die Kerle.

Bittersweet AffectionWhere stories live. Discover now