Kapitel 2

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Am nächsten Morgen suchte Riley, mit den Gedanken an ihr gestriges Gespräch mit Cassian, die wohl unauffälligsten Klamotten heraus, die ihr Schrank zu bieten hatte. Diese da wären dann ihr dunkle, etwas weitere Jeans, die an den Oberschenkeln 'modern' verwaschen war. Dazu ein weißes Top ohne Druck. Jeans T-Shirt Kombi – das wohl häufigste Outfit auf dem Schulhof, so würde sie definitiv untergehen.
Zufrieden zog sie noch einen schwarzen Hoodie für die kühleren frühen Stunden darüber, schnappte sich ihre Tasche und lief wieder los zur Bushaltestelle. Und wie auch am Tag zuvor setzte sich niemand während der kompletten Fahrt neben sie, nicht, dass es sie stören würde.
In der Klasse schaltete sie ab – sie hatte kein Interesse daran, sich die Stimmung mit dem Gerede und Geschrei ihrer Mitschüler ruinieren zu lassen. Ihr Plan funktionierte auch bis auf wenige Versuche ihrer Lehrer, Riley mit in den Unterricht zu integrieren. Zumindest bis zur Pause vor der vierten Stunde. Denn da musste ausgerechnet Ramona sich vor ihr breit machen.
Ramona war die wohl schlechteste der Klasse, was die Noten anging. Blond und blauäugig wie sie war, hielt sie so die Vorurteile und Blondinenwitze aktuell. Leider war sie dennoch beliebt, für ihr Geld und die riesigen Gartenpartys, die sie regelmäßig organisierte. Unnötig zu erwähnen, dass Riley kein einziges Mal eingeladen wurde.
„Weißt du, Ri, manchmal denke ich, wenn du keinen Bock auf Schule hast, solltest du vielleicht lieber Privatunterricht nehmen“, erklärte sie mit einem überlegenen Grinsen. Gelangweilt sah Riley auf und seufzte. Zwar würde Ramona 90% ihrer Erläuterungen vergessen, aber mit Wissen konnte man sie immer abwimmeln.
„Selbst wenn ich Privatunterricht nehmen würde, wäre es nach wie vor Schule. Aber was du meinst, und es sehr salopp ausgedrückt hast, ist richtig. Ich habe tatsächlich 'keinen Bock' auf Schule, da ich 1. öfter auf den Gedanken komme, eher auf der Hauptschule gelandet zu sein, was das Niveau meiner Klassenkameraden angeht, was mich zu 2. führt: Ich habe kein Interesse daran, meine Nerven unter deiner schrillen Stimme leiden zu lassen.“ Wie erwartet verstand Ramona nicht viel, aber bei dem Gekicher einer Jungs im Hintergrund kapierte sie ja doch, dass Riley ihr mehr Konter gegeben hatte, als sie verarbeiten konnte. Also griff die Blondine zu primitiveren Mitteln.
Mit einer wütenden Grimasse zog sie Riley an den Haaren hoch und zischte sie an.
„Du hältst dich jetzt für besonders schlau, aber du bist einfach nur eine arrogante Neunmalkluge, also verzieh dich doch einfach in die Bücherei oder irgendwo anders, wo ihr Streber hingehört!“ Riley verzog nur leicht den Mund vor Schmerz, ließ sich aber nicht unterkriegen.
„Fangen wir einfach an. Der Begriff 'Streber' setzt voraus, dass ich tatsächlich nach etwas strebe, wie in deinem Fall es vielleicht ein neues Gehirn wäre. Da ich aber einfach überdurchschnittlich intelligent bin, mein IQ liegt über 150, als Vergleich, deiner liegt wahrscheinlich bei 80 und der Durchschnitts-IQ bei 100, muss ich nicht nach Wissen oder guten Noten streben, da ich einfach wenig lernen muss. Ich kann es einfach. Außerdem -“ Weiter kam sie nicht, denn Ramona ließ sie los und verpasste ihr eine Ohrfeige. Geschockt stolperte Riley zwei Schritte zurück, bevor in ihren Augen Zorn aufflammte. Hochgestochene Reden hin oder her – das war zu viel.
„Du kleine-!“, fauchte sie und holte aus, als gerade der Lehrer den Raum betrat. Eine halbe Sekunde sah er zwischen den beiden Mädchen hin und her, bevor er mit einem scharfen 'Halt!' beide erstarren ließ. Wutentbrannt baute er sich vor ihnen auf.
„Will mir jemand erklären, was hier vor sich geht?“ Riley presste wütend die Lippen zusammen und schwieg eisern, Ramona sah einfach nur beleidigt zur Seite.
„Irgendwer!“ Von hinten meldete sich einer der Jungen, die vorher noch über Ramona gelacht hatten.
„Ramona hat Riley genervt, aber als ihr Rileys Konter zu intelligent wurde, hat sie zugeschlagen. Riley wollte sich gerade wehren“, erklärte er und Ramona warf einen zornigen Blick zurück. Der Lehrer seufzte nur tief.
„Ramona, auf zum Direktor. Du kannst froh sein, dass das nur das erste Mal war, dass dir so etwas passiert ist.Und was dich angeht, Riley.. Bei dir sind Kraut und Rüben verloren, habe ich das Gefühl. Wie oft warst du jetzt schon beim Direktor? Viermal? Es reicht langsam. Das hier ist das letzte Mal, bevor du vom Unterricht suspendiert wirst. Ich möchte, dass du dich bei der Schulpsychologin meldest.“ Riley verkniff sich den Kommentar, dass das 'Gefühl' ihres Lehrers kein Gefühl, sondern ein Gedanke war.
„Passt ja, die Suspendierung. Ramona hat mir sowieso vorgeschlagen, Privatunterricht zu nehmen.“ Die Klasse lachte und der Lehrer wurde rot vor Wut. Riley winkte nur ab und verließ den Raum noch vor Ramona. Immerhin Stille.
„Das wird ja immer besser, argh, was denkt die sich? Wenn ich einen Privatlehrer finanzieren könnte, warum sollte ich dann noch hier sein?“, murmelte sie aufgebracht vor sich hin, seufzte dann aber. Gemächlich schlenderte sie die Gänge entlang, sie hatte es ja nicht eilig. Trotzdem viel zu schnell kam sie vor dem Büro der Schulpsychologin an. Sie schnaubte noch einmal leise, bevor sie ohne anzuklopfen die Tür öffnete.
„Huch? Kann ich dir helfen, Liebes?“ Riley hasste die Schulpsychologin jetzt schon. Kinnlange, rot gefärbte Haare, Brille und ein graues Kostüm, aber sie schaute versucht mütterlich drein. Als wäre diese Seelenklempnerin alt genug, um Mutter von einem Teenager zu sein. Alles Schwachsinn.
„Riley. Die Klasse kam mit meiner Intelligenz nicht klar, deshalb bin ich hier“, erklärte sie und ließ sich auf den breiten, grau melierten Sessel vor der Frau fallen. Diese zog fragend die Augenbrauen zusammen und Riley verdrehte innerlich die Augen. Psychologie und Sarkasmus verstanden sich offensichtlich nicht so gut.
„Es gab Streit und ich war schon zu oft beim Direktor, als dass man das noch eine Strafe nennen könnte“, fügte sie also hinzu und die Psychologin nickte verständnisvoll. Die Brünette biss die Zähne aufeinander.
„Also gut, Riley. Möchtest du darüber reden?“
„Nein.“ Verdutzt blinzelte ihr Gegenüber, fing aber gleich wieder an, mütterlich zu lächeln.
„Es muss auch nicht über den Vorfall sein, sag einfach irgendetwas, was dir gerade in den Sinn kommt.“
„Das ist doch Schwachsinn. Wollte ich jemanden zum Reden, würde ich mir selbst außerschulisch einen Therapeuten suchen oder in eine dieser dämlichen Selbsthilfegruppen gehen. Ich wette, die haben auch eine für missverstandene Genies.“
„Riley, sieh das nicht so negativ.“
„Ach, man das noch anders sehen? Na vielen Dank, das wusste ich jetzt nicht. Ich bin kein Optimist, aber auch kein Pessimist. Ich bin zu intelligent für beides. Den Begriff Realist kennen Sie ja, oder?“
„Riley, versuch wenigstens, nicht so zynisch zu sein.“
„Sie halten mich für zynisch? Zynisch bin ich erst, wenn ich mich mit einem sarkstischen Kommentar von einem 20-stöckigen Haus stürze, weil ich all diese Dummheit auf dem Gymnasium nicht mehr ertragen kann.“
„Denkst du oft über Suizid nach?“
„Himmel, nein, nehmen Sie das nicht alles so ernst. Ich will einfach nur nach Hause, vor meinen Laptop, etwas im Internet surfen oder einfach nur schlafen.“
„Nichts mit Freunden unternehmen?“
„Mit welchen Freunden?“
„Solch ein Mangel an Aktivitäten und der Wunsch nach Schlaf sind Anzeichen für eine Depression, Riley. Möchtest du dich vielleicht einmal testen lassen?“
„Ich bin nicht depressiv, verdammt nochmal! Ich bin einfach nur eine Zicke, die keine Lust auf Gesellschaft hat!“ Riley war aufgesprungen und hatte beinahe geschrien, jetzt biss sie sich auf die Lippe und ließ sich zurück in den Sessel fallen.
„Kann ich nach der Sitzung hier nach Hause?“, fragte sie ruhiger und die Psychologin nickte. Dann fing sie an, noch mehr Anzeichen einer Depression aufzuzählen und zu erklären,wie man eine solche behandelt. Riley schaltete wieder ab und verlor sich in der Vergangenheit.
Ihr Ausruf hatte sie an die Zeit etwa ein Jahr nach der Scheidung ihrer Eltern erinnert, an ein Treffen mit ihrem Vater. Micheal Fischer war ein hoffnungsloser Alkoholiker, der in schon mehr anonymen Alkoholiker-Clubs war, als irgendjemand hätte zählen können. Ein Grund für die Scheidung. Er war wirklich ein Idiot.

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„Mu-hum, bitte!“, quengelte eine 14-jährige Riley und sah ihre Mutter flehend an. Diese schüttelte nur den Kopf und seufzte.
„Rey, Süße, aber er ist immer noch dein Vater. Rede ein bisschen mit ihm, aber sollte irgendetwas passieren, geh sofort raus zu den Nachbarn und ruf mich an, ja? Ich hab dich lieb!“ Riley seufzte nur und ließ die Haustür hinter sich zufallen.
Grummelnd machte sich das Mädchen auf den Weg die Straße entlang, als es anfing zu regnen. Sie zog die Kapuze ihrer Jacke nur tiefer ins Gesicht und sah kurz nach oben.
„Vielleicht macht Micheal ja gerade einen Spaziergang und wird von dem Regen etwas ausgenüchtert..“, murmelte sie, auch wenn sie wusste, dass es nicht so war. Sie weigerte sich, den Mann, der sich ihr 'Vater' nannte, auch als solchen zu bezeichnen. Für sie war er 'Micheal', einfach nur ein weiterer Mann, mit dem sie eigentlich nichts zu tun haben wollte. Das wurde nur von zufälligen Blutbanden vereitelt.
Der Weg zu der heruntergekommenen Wohnung des Mannes war nicht lang, nur eine Viertelstunde in Rileys langsamen Schleich-Tempo. In normalem Tempo vielleicht zehn Minuten maximal, Riley war eine Meisterin, was Verzögerungen anging. Sie mochte Micheal nicht besonders, er war oft missmutig oder geradezu außer sich, einmal war er sogar so betrunken gewesen, dass er nicht einmal seine Frau erkannt hatte. Das war kurz vor der Scheidung gewesen..
Widerwillig klingelte die Brünette an der Tür, aber nichts geschah. Wieder und wieder klingelte sie, als nach dem vierten Mal endlich die Tür summte. Seufzend betrat sie das kalte Treppenhaus, in dem es nach Erbrochenem und (warum auch immer) verdorbenem Gemüse roch. Sie atmete durch den Mund, während sie die Treppen hoch in den dritten Stock rannte. Die Tür stand bereits offen.
Angewidert kickte Riley einige leere Bierdosen beiseite, als sie sich ihren Weg ins Wohnzimmer kämpfte. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, die Haustür hinter sich zu schließen. Die meisten anderen Wohnungen sahen garantiert nicht anders aus, zumindest sahen die Bewohner nicht anders aus. Micheal saß in einem graubraunen Sessel vor einem Fernseher mit sehr grieseligem Bild.
„He, Micheal.“ Er grunzte nur kurz, tastete wieder nach der Fernbedienung und stellte lauter. Riley verdrehte nur die Augen und stapfte weiter in die Küche. Auch hier standen überall leere, halbleere und sogar noch einige geschlossene Bierdosen und Weinflaschen herum.
Resigniert stopfte das Mädchen die Flaschen in eine dieser großen, blauen Mülltüten, dann suchte sie mit einem zweiten Müllbeutel die anderen Dosen und Flaschen, die überall in der Wohnung verstreut waren. Die Wäsche kickte sie einfach nur mit dem Fuß beiseite, soweit sie wusste, gab es hier im Haus einen organisierten Wäschedienst – er würde nicht verlottern.
Als sie auch die Bettdecken und Kissen etwas aufgeschüttelt und zurechtgerückt hatte, kehrte sie einmal durch Schlafzimmer und Küche, dann erst wagte sie sich ins Wohnzimmer. Micheal schien sich nicht bewegt zu haben, mit müdem Blick sah er auf den Bildschirm. Sein Bart war nicht einmal mehr ein 'Drei-Tage-Bart', eher ein 'Was-ist-ein-Rasierer-Bart'. Das Mädchen schnaubte und fing auch hier an, das Leergut einzusammeln und in einen Müllsack zu stopfen, den sie neben die anderen beiden in den Flur stellte. Auch hier kehrte sie einmal kurz über den Boden, bevor sie sich einen Holzstuhl heranzog und etwas mit auf den Bildschirm starrte. Sie verstand nicht viel von der Serie, aber schon nach wenigen Minuten nervte sie das rauschende Hintergrundgelächter unglaublich. Dennoch hielt sie eine halbe Stunde durch, bevor sie den Mann auf dem Sessel anstupste. Der grunzte wieder und sah sie gelangweilt an.
„Ich habe sauber gemacht, damit du nicht in deinem eigenen Dreck erstickst. Eigentlich sollte es anders herum sein. Also?“ Das war ihr Ritual, Riley wurde alle zwei Wochen von ihrer Mutter genötigt, sich mit ihrem Vater zu treffen, aber da beide keine große Lust auf die gegenseitige Gesellschaft hatten, putzte Riley nur etwas und bekam dafür Geld von Micheal.
„Geldbeutel liegt aufm Nachttisch“, knurrte er nur und wandte sich wieder dem Fernseher zu. Riley nickte und ging zurück ins Schlafzimmer, wo sie sich zwanzig Euro aus dem Geldbeutel nahm. Damit wäre ihr Besuch hier auch wieder vorbei.
An der Haustür blieb sie kurz stehen und rief dem Mann noch etwas über die Schulter zu.
„Bis dann, verreck' nicht, Idiot..!“ Sie wollte gerade gehen, da hörte sie ein kehliges Lachen näher hinter sich, als sie erwartet hatte. Als sie sich umdrehte, stand Micheal tatsächlich hinter ihr und lehnte mit verschränkten Armen an der Wand.
„Freundlich wie immer, hm, Riley?“

„Von wessen Genen ich das wohl habe.“ Er schüttelte nur den Kopf.
„Weißt du, ich bin ein Arschloch. Aber du auch. Genau genommen sind wahrscheinlich etwa 90% der Bevölkerung Arschlöcher, aber du gehörst zu der ganz besonderen Sorte.“
„Wow, ich dich auch.“
„Ich mein's ernst, aber ich mein's nicht böse. Werd nicht überfahren“, lachte er, bevor er sich wieder ins Wohnzimmer verzog. Riley schmunzelte und schüttelte den Kopf.
„Wenn du versuchst, mir einen väterlichen Ratschlag zu geben, bist du 14 Jahre zu spät!“, rief sie über die Schulter und ließ die Tür hinter sich zu krachen.
Als sie unten ankam, regnete es noch immer, sogar noch stärker als drei Stunden zuvor. Aber das kümmerte Riley nicht besonders. Sie war nur froh, endlich aus dem Haus heraus zu sein.

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Als Riley sich endlich wieder auf die Psychologin konzentrierte, war die gerade in einer tragischen (als ob) Geschichte ihrer Kindheit versunken, die Riley anscheinend zeigen sollte, wie sehr sie verstanden wurde. Die Brünette hob nur abwehrend die Hände und überrascht brach die Frau ab.
„Sparen sie sich das alles, ich bin hoffnungslos.“
„Aber nein, Liebe, niemand ist hoffnungslos!“
„Niemand und ich.“ Ihr Gegenüber setzte wieder an, aber Riley unterbrach sie.
„Wissen sie, ich sehe meinen Vater nicht oft.“ Die Augen der Schulpsychologin leuchteten auf, wahrscheinlich erhoffte sie sich jetzt irgendein traumatisches Kindheitserlebnis. Riley schloss nur die Augen, um sie auszublenden.
„Und wenn wir uns sehen, haben wir uns nicht viel zu sagen. Aber er hat mir etwas beigebracht, das wichtiger ist, als alles, was ich hier in dieser Anstalt lernen kann. Er sagte mir, 90% der Menschen sind Arschlöcher -“ Jetzt lächelte sie und sah der Frau wieder in die Augen.
„- und ich gehöre dazu. Er hatte recht. Verstehen sie also, wenn ich sage, dass ich für diese Scharade keine Nerven übrig habe?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, verließ die Brünette grinsend den Raum.

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Yeyyyy ein neues Kapitel nach so langer Zeit! Es tut mir wirklich Leid, in Zukunft werde ich wieder öfter updaten, ich war nur wegen Schule und Arbeiten und Nachholen im Stress, plus schreibe ich nicht nur hier und musste noch ein paar andere Sachen regeln, aber jetzt hat sich das alles wieder einigermaßen beruhigt und nächste Woche werde ich wahrscheinlich das Kapitel zu der Dark Link Story posten c:
~Bloody

Weißt du was? Nicht mit mir (BEN drowned)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt