🍃 19 🍃

253 22 1
                                    

Alexia

Lenis Worte laufen in meinem Kopf, als ob jemand den Repeat Knopf gedrückt und festgeklebt hätte. Ich muss lernen und diese Worte aus meinem Kopf verbannen. Es gelingt nur leider nicht, wie ich will.

Kurze Zeit später höre ich Rayans Stimme und raffe mich auf. Ich habe mit vielem gerechnet, aber nicht, dass Rayan sich mir öffnet und mir von seinem Leben erzählt. Es haut mir regelrecht den Boden unter den Füßen weg. Ich kann eine einzelne Träne nicht verhindern. Sie tropft auf Rayans Hand, bevor ich sie fangen kann. Lenis Worte geraten in Vergessenheit, sind nicht mehr wichtig. Der Verlust, den Rayan und seine Familie erleiden mussten, ist schrecklich. Kein Kind sollte vor den Eltern diese Welt verlassen und dann erst recht nicht auf diese Art und Weise. Ich weiß überhaupt nicht, was ich dazu sagen soll, denn es überfordert mich. Bei Rayans Erzählung steckt so viel Schmerz und Trauer in seiner Stimme, dass es mir schon fast körperlich weh tut, von den Schmerzen meiner Seele ganz zu schweigen. Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wie schmerzhaft es für ihn sein muss, denn auch wenn Savanna weit weg ist, ist sie da. Allein der Gedanke, sie wäre nicht mehr da, lässt meinen Hals zuschwellen und mich nach Luft schnappen. Krampfhaft halte ich das alles zurück, denn ich darf jetzt nicht zusammenbrechen. Wenn ich das tue, dann würde Rayan denken, dass ich Mitleid mit ihm habe und ich weiß, wie sehr er so etwas hasst. In dem Moment fällt mir nur eine Sache ein, die ich ihm geben kann.

Mich.

Vorsichtig nehme ich sein Gesicht in meine Hände. Er ist so vertieft, dass er bei meiner Berührung zusammenzuckt. Doch ich lasse mich nicht von meinem Weg abbringen, stattdessen versiegle ich meine Lippen mit seinen. Er reagiert nicht darauf, doch ich mache weiter. Auf einmal bewegt er seine Lippen und drückt sie an meine. Sein Kuss steckt voller Schmerz und Trauer. Es kommt mir so vor, als ob er ein Schiffbrüchiger wäre und ich ein Boot, an dem er krampfhaft Halt sucht. Er zieht mich auf seinen Schoss und mich näher an sich. Ich lasse es zu. Und auch lasse ich zu, als er mir mein Shirt über den Kopf zieht und sich kurze Zeit später in mich schiebt. Es ist nicht brutal oder schnell. Nein, es ist langsam und so intensiv, wie ich es noch nie erlebt habe. Ich kann seine Trauer, seinen Schmerz fühlen. Er verschmelzt mit mir. Als eine Träne auf mein Gesicht tropft, bin ich mir sicher, dass er nun losgelassen hat und sich fallen gelassen hat.

Lange liegen wir schweigend und eng umschlugen in meinem Bett. Ich bin überwältigt von den ganzen Emotionen, die auf mich eingeprasselt sind. Rayan bricht das Schweigen mit nur einem Wort, aber ich weiß genau, was er damit sagen will und erwidere auf sein »Danke« nichts. Das ist auch nicht nötig. Er hat mir seine tiefsten Emotionen, seine zerbrechliche Seite gezeigt und ich kann nicht in Worte fassen, was mir das bedeutet. Unsere Beziehung ist dadurch um so vieles intensiver geworden.

Weder Rayan noch ich reden je wieder über diesen Tag, uns reicht die neue Verbindung, die wir dadurch eingegangen sind. Ich werde das Gefühl nicht los, dass nur Riley von der Vergangenheit, von Sarah, weiß, und das auch nur, weil er dabei war. Auch wenn Phoenix und die anderen seine Familie sind, wissen sie anscheinend nichts über Rayans Vergangenheit.

Ich komme gerade aus meiner letzten Vorlesung für dieses Semester, da klingelt mein Handy. Die angezeigte Nummer sagt mir nicht. »Brent?« »Alexia? Bist du das?« »Ja. Wer will das wissen?« Die Stimme kommt mir bekannt vor, aber im ersten Moment weiß ich sie nicht einzuordnen. »Ich bin's Mira.« Mit ihr habe ich so gar nicht gerechnet. Woher hat sie meine Nummer? »Rayan hat mir die Nummer gegeben«, fährt sie fort. Okay und wozu? Auch das klärt sich schnell. »Ich habe heute Morgen ein Gespräch zwischen Scarlett und ich denke mal, es war Elias am Telefon, mitbekommen. Scarlett hat heute Geburtstag. Wusstest du das?« »Nein«, erwidere ich. Woher auch? Sie hat es nie erwähnt. »Ich auch nicht. Und Phoe auch nicht. Auf jeden Fall klang sie ziemlich traurig.« »Kein Wunder. Ich gehe mal davon aus, dass ihre Eltern sich nicht gemeldet haben.« Die Erkenntnis macht mich traurig und wütend zu gleich. »Ja von diesen Monstern müssen wir nichts erwarten. Weswegen ich anrufe: Ich habe gleich noch Unterricht und Scarlett auch, doch würde ich gerne etwas zu ihrem Geburtstag machen. Wir sind jetzt ihre Familie.« Da hat Mira recht. Doch was habe ich damit zu tun? »Phoe weiß Bescheid und trommelt alle zusammen, doch er ist ein Kerl ...« Mira braucht gar nicht weiterzureden, jetzt weiß ich, was sie sagen will. »Okay. Ich organisiere die richtige Musik, Essen und so weiter«, sage ich stattdessen. »Super Lexi. Genau das wollte ich hören ... Schaffst du das alles in ... Drei Stunden?« »Es wird klappen. Wo denn?« »Am Wohnheim der Jungs. Bis später und danke.« Mira hat schon aufgelegt und ich stehe etwas ratlos vor meinem Auto. Na dann mal los. Ich fahre schließlich den ersten Supermarkt an und besorge alles, was für eine Geburtstagsparty nötig ist. Voll bepackt, fahre ich zum Wohnheim und mir wird mulmiger und mulmiger. Sonst ist Rayan immer dabei, doch der arbeitet noch. Also muss ich alleine in die Höhle des Löwen.

Vor der Tür treffe ich auf Riley. »Hey Lexi. Brauchst du Hilfe beim Schleppen?« Er umarmt mich kurz und sofort fühle ich mich nicht mehr ganz so verloren. »Ja. Das wäre super. Das Auto ist voll.« »Zac, Phoe, Scott, Connor hier gibt es was zu tun«, brüllt Riley in Richtung Wohnbereich und lässt mich zusammenzucken. »Sorry«, murmelt er, denn er scheint meine Reaktion bemerkt zu haben. »Schon okay.«

Die vier anderen kommen angetrottet, begrüßen mich kurz und steuern dann mein Auto an. Die nächsten zwei Stunden scheuche ich fünf Kerle, die alle mindestens einen, eher zwei Köpfe größer als ich und dazu noch über und über tätowiert sind, durch das Wohnheim. Sie lassen es anstandslos über sich ergehen und ich lache sogar mit ihnen. »Sie sind auf dem Weg«, ruft Phoenix und das ist das Zeichen. Alle Anwesenden, Rayan mittlerweile auch, verstecken sich und geben keinen Mucks von sich. Als die Tür vom Wohnheim aufgeht, halte ich vor Spannung die Luft an. Ich muss schmunzeln, als ich Mira reden höre. An ihr ist echt eine Schauspielerin verloren gegangen. Sie kann sich mit Megan zusammentun.

Ich kann aus meinem Versteck weder Mira noch Scarlett sehen, aber ich habe das Bild genau vor mir. Scarlett, die Mira überzeugen will, wieder zu gehen und Mira, die stur ihren Weg fortsetzt.

Dann höre ich ein Klopfen, das ist das vereinbarte Zeichen und aus der Anlage dröhnt »Happy Birthday« und alle springen singend aus ihren Verstecken. Der Anblick einer total überforderten und sichtlich gerührten Scarlett ist Gold wert. Einer nach dem anderen gratuliert ihr und dann wird gefeiert, getrunken und gegessen. Als ich gerade an Rayan lehne und mich einfach wohlfühle, kommt Phoenix auf uns zu. »Lexi, danke für die Organisation heute. Super Leistung. Wie viel bekommst du für alles? Wir haben beschlossen es zu teilen.« Phoenix bedankt sich bei mir? Ich glaube, der Alkohol ist schlecht. Rayan ergreift für mich das Wort, denn ich bin einfach zu geplättet. »Lass uns das nach eurem Heimatbesuch klären. Der Bon ist sowieso im Auto.« Kann er Gedanken lesen? »Alles klar. Danke nochmal.« Schon ist er verschwunden und Rayan zieht mich an sich. »Ich versteh wirklich nicht wieso du bei ihm so wortkarg bist.« »Eine gute Frage. Er schüchtert mich irgendwie ein«, gebe ich ehrlich von mir. »Echt seltsam. Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen. Ich erinner dich nur an letztens.«

Ich weiß genau, was er meint und grinse gegen seine Lippen. Rayan und ich waren verabredet bei ihm und da die Haustür offen stand, ging ich ohne zu klingeln hoch. Schon vor der Wohnungstür hörte ich zwei Personen streiten, Rayan und Scarlett. Die Tür war nur angelehnt und ich schlich mich in die Wohnung. Im Wohnzimmer fand ich die Streithähne. Sie hatten mich noch nicht bemerkt und so hörte ich mir erst einmal stumm an, was deren Problem war. Dafür brauchte ich nicht lange. Scarlett hatte anscheinend ihr erstes Geld von Boris bekommen und wollte es Rayan geben. Rayan hingegen sah das wohl etwas anders. Ich hörte noch eine Weile zu, dann ging ich dazwischen. Beide hielten abrupt den Mund, als sie meine laute Stimme vernahmen. Da hatten beide nicht mit gerechnet. Ich konnte auch laut sein und vor allem konnte ich beide ordentlich zusammenfalten.

»Ich weiß auch nicht«, erwidere ich und drücke Rayan einen Kuss auf den Mund. »Lass uns von hier verschwinden, Babe«, raunt er gegen meine Lippen und da habe ich überhaupt nichts gegen.

Rayan fährt am nächsten Morgen nochmal zum Wohnheim, um sich von seinen Freunden zu verabschieden und um Scarlett aufzufangen. Auch wenn sie es nicht sagt, weiß ich, dass die zwei Wochen, wo sie von Phoenix getrennt sein wird, ihr an die Nieren gehen. Rayan und ich habe beschlossen ihr einfach keine Zeit zum Nachdenken zu geben. Mal sehen, ob das klappt ...

Megan ist mit Colin in den Urlaub gefahren und alleine in der WG fühle ich mich einsam, also verbringe ich die meiste Zeit bei Rayan. Ich habe dieses Jahr noch keinen Urlaub geplant und gehe, wie immer, in der Kanzlei arbeiten. Auch wenn wir nicht darüber gesprochen haben, weiß ich, dass Rayan momentan keinen Urlaub nehmen kann. Doch nachdem Phoenix wieder da ist und Scarlett keinerlei Flausen mehr im Kopf hat, verkündet Rayan eines Abends: »Lex, pack morgen mal eine Reisetasche. Wir machen einen Ausflug. Von Freitag bis Dienstag. Länger kann ich leider nicht.« Ich bin sprachlos und falle ihm überglücklich um den Hals. Es ist mir doch egal, ob es von Freitag bis Dienstag oder zwei Wochen ist, Hauptsache ich bin mit ihm zusammen und verbringe Zeit mit ihm. So packe ich meine Tasche und lasse mich von Rayan ans Meer entführen. In einer kleinen Ferienwohnung mit Blick auf das Meer verbringen wir unsere Ferien. Es ist das erste Mal, dass ich mit männlicher Begleitung in den Urlaub fahre – mit meinem Freund. An diese Zweisamkeit könnte ich mich gewöhnen. Ich erwische mich öfters dabei, wie ich einen sorglosen und gut gelaunten Rayan anstarre. Er sieht so unbeschwert und jung aus, wenn er mit mir zusammen durch die Wellen tobt. Wir verbringen auch viel Zeit im Bett, aber manchmal liegen wir einfach da, lauschen dem Meeresrauschen und den kreischenden Möwen und reden über alles Mögliche. Ich will für immer mit ihm hier am Meer bleiben ...

1,2 oder 3? Herz verschenkt... ✔ #LeseLiebe18 #Lagune18Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt