2. Kapitel: Verborgenes

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»Wohin gehen sie?« Ein Sturm war aufgekommen und zerrte an Asches Pelz, während sie Fliehender Rauch, Springender Rabe und der Fremden, Wirbelndes Laub, hinterher sah. Die Drei waren soeben aus dem Lager in Richtung des Risses im Boden aufgebrochen, den Asche und ihre Wurfgefährten am Tag zuvor gefunden hatten.
Zwischen den Baumwipfeln hindurch sah sie ab und an Blitze über den Himmel zucken, fernes Donnergrollen war zu hören, doch noch war das Gewitter weit entfernt.

»Sie suchen nur etwas «, antwortete Wolke, die neben Asche inmitten des Lagers stand.

Hinter ihnen turnten Wind und Käfer auf den katzenhohen Felsbrocken herum.

»Suchen sie nach Beute?«, wollte Wind wissen.

»Ich habe Hunger!«, maunzte Asche und sprang zu ihren Brüdern auf den höchsten der Felsbrocken.

Wolke tapste über die Lichtung in Richtung des Brombeerbaus. »Es wird bestimmt bald wieder etwas zu essen geben. Aber jetzt kommt erst einmal mit, hier draußen wird es langsam zu kalt und im Brombeerbau ist es wärmer. Ihr wollt doch bestimmt den Rest der Geschichte hören.«

»Ja, natürlich!«, rief Wind und stürmte gefolgt von ihren Wurfgefährten hinter Wolke her.

***

Asche kuschelte sich in ihrem Moosnest gegen die Kälte dicht an Wolkes Pelz. Der Wind pfiff durch die Lücken zwischen den Brombeerranken; sie zu stopfen hätte sich nicht gelohnt, denn sie befanden sich ohnehin nur auf der Durchreise.

Diesmal warteten die Jungen still darauf, dass Wolke mit ihrer Geschichte fortfahren würde. Eine Weile lag sie mit geschlossenen Augen da, schien sich die Szenen aus ihrer Vergangenheit wieder ins Gedächtnis zu rufen. Dann ließ sie ihren Blick noch einmal über die drei Jungen schweifen, die sie aufmerksam beobachteten, bevor sie zu erzählen begann.

»Die Stimme meines Vaters irgendwo im Lager riss mich an diesem Morgen aus dem wohltuenden Schlaf, der für so viele Sonnenaufgänge meine einzige Möglichkeit gewesen war, den Schmerzen zu entkommen. Beim ersten Mal, dass ich in Heilender Ahorns Höhle erwacht war, hatten meine Augen gebrannt wie Feuer. Kaum ein Kraut hatte die Schmerzen lindern können. Mit meinen verzweifelten Versuchen etwas zu sehen - einfach nur irgendetwas - hatte ich alles nur noch schlimmer gemacht. Heilender Ahorn hatte behauptet, ich würde für den Rest meines Lebens blind sein und so wie es aussah, sollte sie damit recht behalten. Mein Bruder hatte mir daraufhin erzählt, dass ich auf unserem heimlichen Ausflug beinahe verblutet wäre, während er noch verzweifelt nach Hilfe gesucht hatte. Zum Glück hatte mich mein Vater rechtzeitig gefunden. Ich hörte kaum zu, viel zu stark waren meine Schmerzen und die Angst davor, dass all meine Träume sich in Luft auflösen würden. 

Kiesel hatte noch versucht mich zu beruhigen, doch ich hatte ihn nur angefaucht. Dennoch war er in dem ganzen Mond, der seither vergangen war, nicht von meiner Seite gewichen. Auch jetzt war er hier neben meinem Nest. Ich gähnte und stellte erleichtert fest, dass meine Wunden kaum noch schmerzten.

›Tut es noch weh?‹, fragte Kiesel leise.

Ich schüttelte den Kopf.

›Dann kannst du den Heilerbau bestimmt bald wieder verlassen.‹

›...und mit euch gemeinsam trainieren‹, ergänzte ich begeistert.

›Ja‹, stimmte Kiesel zu, wenngleich er kurz zögerte. ›Laub und ich haben bestimmt keinen großen Vorteil dir gegenüber. Deinen Langen Namen wirst auch du dir schon noch verdienen. Wahrscheinlich sogar noch eher als ich. Hier unten sehen alle Katzen nicht viel.‹

Zeit des VerratsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora