Kapitel 11

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Ich war so in Gedanken versunken, dass ich H schon fast ausgeblendet hatte. Meine Sinne waren aus Angst immer noch auf ihn fokussiert, aber meine Gedanken kreisten um Harry. Und doch ließ mich eine bestimmte Frage nicht los.

Ich wurde schlagartig aus meinen Gedanken gerissen, als H mich plötzlich losließ und ich schwach an der Wand hinab rutschte. H hatte mir den Rücken zugewandt und wanderte hinüber zu seinem Bett. Langsam verstand ich, wie Niall die fünf auseinanderhalten konnte. Ihre Körpersprache war komplett unterschiedlich. H ging bedrohlich, abweisend; er hatte eine Körpersprache, die einen erschaudern ließ. Niemand würde ihm so zu nahe kommen wollen. Das komplette Gegenteil von Harry. Wieso waren sie so unterschiedlich? Waren sie nicht praktisch ein und die selbe Person? Was, wenn Harry geheilt werden könnte? Würde H dann ein Teil von ihm werden?
Mit all diesen Fragen in meinem Kopf entschied ich mich, so bald wie möglich Liam aufzusuchen und ihn über Harrys Krankheit auszufragen. Es war einfach zu verwirrend, und Liam kennt sich damit ja aus, richtig?

Langsam erhob ich mich von der Stelle auf dem Boden, auf die ich an der Wand hinab gerutscht war.
H ließ sich auf sein Bett fallen und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, den Blick auf mich gerichtet.

"Hast du nicht Angst, dass ich jetzt zu Liam renne und ihm alles erzähle?", platzte es aus mir heraus.
H lachte. "Erstens bin ich schneller als du, zweitens hättest du das schon längst getan, wenn du das vorhättest, und drittens traust du dich das eh nicht."

Ha. Der gefällt mir.

Ich schluckte. Die Frage, die vorhin schon durch meinen Kopf gespukt war, tauchte wieder in meinen Gedanken auf. "Wieso hast du mir überhaupt von dem Plan erzählt?"
Schlagartig verdüsterte sich seine Miene. Es geschah in einem Bruchteil einer Sekunde, aber plötzlich war ich wieder an die Wand gepresst.

"Das geht dich überhaupt nichts an!", fauchte er. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.
Seine Augen flammten auf, und ich konnte die Wut und Aggression dahinter sehen.

Den Aggressiven provozieren. Klar. Schaffst auch nur du, oder?

Ich konnte nicht anders, als H in die Augen zu starren. Sollte man nicht aggressive Hunde auch einschüchtern? Vielleicht klappt das bei H auch?

DU?! EINSCHÜCHTERN?! WITZIG.

H und ich lieferten uns ein feuriges Wettstarren, und ich verlor die Hoffnung, dass ich gewann. "Wieso hast du mir davon erzählt?", hakte ich noch einmal nach.
Keine gute Idee, denn das Resultat war, dass ich plötzlich nicht mehr gegen die Wand gepresst war, sondern praktisch durch die Luft flog. Mein Rücken kollidierte hart mit dem Boden und ich stöhnte auf, als der Schmerz meinen Körper durchfuhr.
H ragte über mir und presste meine Handgelenke auf den Boden. "SEI STILL", rief er, und in seinen Augen flackerten etliche Emotionen auf. Wut, Hass, Aggression... Verzweiflung?
Plötzlich ließ er meine Handgelenke los und zog sich zusammen. Er kauerte neben mir auf seinen Knien, die Hände an den Kopf gepresst. Undeutliches Gemurmel verließ seine Lippen, von dem ich kaum etwas verstand. Zwischendurch klangen Worte wie "Hass", "ekelhaft" und "vertrauen" durch. Vertrauen?

Bevor ich mir jedoch Gedanken darüber machen konnte, schrie er auf. Es glich einem animalischen Brüllen; es war nicht so laut, dass Leute in den Fluren oder anderen Zimmer den Schrei hören könnten, aber laut genug, um mir für immer Alpträume zu bescheren. Ängstlich kroch ich rückwärts, bis ich mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Was wenn er jetzt komplett durchdrehte und auf mich losging?

Vielleicht bricht er dir ja das Genick und ich bin dich endlich los.

Der Schrei verstummte langsam, bis H die Hände von seinem Kopf löste und sich auf ihnen abstützte. So kauerte er da, auf allen vieren, und keuchte vor sich hin. Die Momente verstrichen, und ich traute mich kaum, zu atmen, geschweige denn, mich zu bewegen. Es war, als wäre ich mit einem wilden Tier in einen Käfig gesperrt. Ich war wie gelähmt.

MentalWhere stories live. Discover now