Kapitel 1

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Beep. Beep.

War es das? Hab ich es geschafft?

Beep. Beep.

Bin ich erlöst? Bin ich endlich frei?

Beep. Beep.

Nein.

 

Beep. Beep.

Nein nein nein. Nein. Das ist keine Freiheit.

Beep. Beep.

Lasst mich gehen! Nein!

Beep. Beep!

 

Ich spürte, wie ich zu einem grellen Licht gezogen wurde. Aber das war es nicht. Es war nicht das Licht. Nicht das schöne Licht, das Ruhe und Frieden verspricht. Nein. Es war grell. Stechend. Es tat weh. Und es wurde immer deutlicher. Es kam näher. Nein!

Meine Augen flatterten auf und ich wurde sofort von dem grellen Licht geblendet. Verzweifelt kniff ich die Augen zusammen und wollte meine Arme schützend vor mein Gesicht reißen, doch ich konnte sie nicht bewegen. Sie wurden von irgendetwas zurückgehalten.

Louis.

Nein. Neinneinnein. Das kann nicht sein.

Louis.

Ich war der Stimme doch entkommen!

Louis.

„NEIN!“

„LOUIS!“

Meine Augen schnappten auf und versuchten verzweifelt, sich in dem grellen Raum zurechtzufinden.
„Louis! Sieh mich an!“
Mum?
„Sieh mich an!“ Sie rüttelte an meinen Schultern.
Meine Augen suchten ihre und als sie auf ihr Gesicht trafen, klärte sich meine verschwommene Sicht und ich begann, meine Augen auf sie zu fokussieren.
„Oh Gott sei Dank, Louis!“ Sie fiel mir um den Hals, allerdings vorsichtig, als hätte sie Angst, ich würde zerbrechen. Fast so, als wäre ich aus dünnstem Glas.
„Ich dachte ich hätte dich verloren“, schluchzte sie jetzt.

Gerade als ich sie auch umarmen wollte, hatte sie sich schon wieder zurückgezogen. Ich spürte erneut, dass ich meine Arme nicht bewegen konnte und sah an mir hinab.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in einem Krankenbett in einem seltsamen Nachthemd lag. An meinen Armen waren etliche Schläuche angebracht und etwa in der Mitte meiner Unterarme fesselten mich seltsame Gurte an das Bettgestell. Um mein Handgelenk war ein fester weißer Verband.
Ich sah zu meiner Mutter auf.
Sie lächelte mit Tränen in den Augen und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Was machst du nur immer für Sachen, Louis“, seufzte sie.
„Es tut mir so leid, Mum“, flüsterte ich.
„Ich weiß, Schatz, ich weiß.“
In diesem Moment öffnete sich links von uns die Zimmertür neben dem großen Fenster zum Flur, auf dem Pfleger herumliefen. Eine Krankenschwester steckte ihren Kopf in den Raum.
„Ms Tomlinson? Dürfte ich Sie kurz sprechen?“
Meine Mutter nickte und gab mir noch einen Kuss auf die Stirn, bevor sie den Raum mit den Worten „Ich bin gleich wieder da“ verließ.
Durch das große Fenster konnte ich beobachten wie sie sich die Worte der Krankenschwester anhörte. Irgendwann kam noch ein älterer Mann in weißem Kittel dazu, der stark nach einem Oberarzt aussah. Er schüttelte ihre Hand und begann auf sie einzureden.

Bestimmt überlegen sie sich, wie sie dich am schnellsten loswerden, Schwuchtel.

Ich erstarrte.
Nein. Das durfte nicht wahr sein. Ich war die Stimme doch losgeworden!

So schnell wirst du mich nicht los.

Nein nein nein!

Oh doch.

„Verschwinde!“ Kaum verließ der Schrei meinen Mund, sah ich auch schon wie meine Mutter mit dem Arzt und der Schwester im Schlepptau ins Zimmer stürzten. Ihre Gesichter zierten besorgte Mienen.

„Was ist passiert Lou?“, fragte meine Mutter panisch. Ich schüttelte nur den Kopf, meine Lippen zu einer Linie zusammengepresst, aus Angst, dass irgendwelche verräterischen Worte über meine Lippen kämen. Niemand wusste von der Stimme. Und das würde sich auch nicht ändern. Wer würde mich denn dann noch ernst nehmen?

Es nimmt dich jetzt schon niemand ernst. Jeder will dich einfach nur loswerden.

Ich kniff die Augen fest zusammen und versuchte, die Stimme zu ignorieren.
Ich atmete tief ein und öffnete sie wieder. Der Arzt beäugte mich mit wissenden Augen. Hatte er mich durchschaut? Oh nein. Bitte nicht. Das würde meiner Mutter nur noch mehr weh tun. Ihr einziger Sohn ist verrückt und hört Stimmen?

Hallo? Ich bin hier alleine. Hast du jetzt auch noch verlernt zu zählen, oder was?

Ignorieren. Einfach ignorieren.
Ich kann meiner Mutter nicht so wehtun. Und scheinbar dachte der Arzt das gleiche, denn als er sich meiner Mum zuwandte, setzte er einen beruhigenden Blick auf. „Wahrscheinlich nur Kopfschmerzen der Medikation. Das kommt vor“, lächelte er.
Er sah zwischen meiner Mutter und mir hin und her, und sprach schließlich wieder zu meiner Mutter. „Haben Sie schon über unseren Vorschlag nachgedacht? Oder brauchen Sie noch Zeit?“

Vorschlag?
Meine Mutter schüttelte den Kopf. Der Arzt warf ihr ein weiteres ermutigendes Lächeln zu und sie sah zu mir.

„Louis, ich… Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich möchte dir helfen, ich will ja, dass es meinem Schatz gut geht-“

Ha! Siehst du!
Warts ab. Es gibt immer ein ‘aber‘.

„es ist nur so, dass-“
Ha.
„-ich das nicht kann. Ich weiß einfach nicht, wie ich dir dabei helfen soll. Ich bin immer bei der Arbeit und kann nicht für dich da sein, und das tut mir schrecklich leid. Ich mache mir Sorgen um dich, Boo!“

Boo. Ha.
Klappe.

„Ich will, dass es dir besser geht. Deshalb hat mir Dr. Butcher geraten, dir professionelle Hilfe zu besorgen.“
Ich sah sie verwirrt an. „Also soll ich eine Therapie machen?“
Sie biss sich nervös auf die Lippe.

„So was in der Art.“

MentalWhere stories live. Discover now