» Kapitel 5 «

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Dan parkte das Auto einige Minuten von der Modern Music Arena entfernt, wartete bis wir ausgestiegen waren und brauste davon. Doch schon nachdem Lilli und ich einige Schritte gegangen waren, stachen uns die gewaltigen Menschenmassen an den Eingängen ins Auge. Ich stöhnte auf und warf Lilli einen verzweifelten Blick zu, aber diese steuerte einfach fröhlich weiter auf die Massen zu.

"Lilli, och so ein Mist! Warum haben wir daran nicht gedacht?!"
Wir waren so mit meinem Umstyling beschäftigt gewesen, dass wir dabei vergessen hatten, die Ansteh-Zeit mit einzuberechnen. Erstaunlicherweise zwinkerte mir Lilli jedoch einfach nur zu und zog mich an den Rand der Straße, welche fast komplett, durch das anstehende Konzert, gesperrt worden war.

"Jessiii...", flötete Lilli und fing an in ihrer Handtasche zu kramen.
"Lilli?" Abwartend blickte ich sie an.
"Naja, heute ist doch ein ganz besonderer Tag."
"Ja, mein Geburtstag, du Schussel!"
"Und was war mein Geschenk an dich?"
"Das Umstyling, die Konzertkarten, ein toller Abend...", antwortete ich, unsicher, was Lilli mit diesen Fragen bezwecken wollte.
"Riiichtig, die Konzertkarten. Och Gott, guck dir mal diese lange Schlange an, das würde ja eine Ewigkeit dauern sich da anzustellen...", rief Lilli und senkte ihren Kopf, so dass sie fast, wirklich nur fast, unschuldig aussah.
"Lilli! Was hast du jetzt schon wieder vor?", meine Stimme wurde etwas lauter, jetzt war nicht die Zeit für Lillis verrückte Pläne.

Einmal hatte sie versucht mit mir ins Freibad einzubrechen, weil sie ihren Bikini dort vergessen hatte und unbedingt am nächsten Tag an den Strand gehen wollte. Also überredete sie mich in der Nacht zusammen ins Schwimmbad einzudringen, doch dieser Versuch scheiterte schon am Überklettern des Zauns, der das Bad umgab, weswegen sie unbedingt durch die Vordertür rein wollte. Gerade hatte sie die Tür aufgebrochen (keine Ahnung, warum sie das konnte) und war zum Schwimmbecken gelaufen, da ging auch schon die Alarmanlage los und meine allerbeste Freundin schubste mich vor Schreck ins Wasser. Das Ende der Geschichte war, dass wir, nachdem sie ihren Lachflash überwunden hatte, schnell von dort flohen und meine Eltern sich bis heute wunderten, warum ich klitschnass mitten in der Nacht nach Hause gekommen war.

Triumphierend zog Lilli nun zwei VIP-Eintrittskarten aus ihrer Tasche und strahlte mich an: "So, es gibt einen extra Eingang für die VIPs und außerdem einen abgesperrten Bereich für uns direkt vor der Bühne!"

Erschrocken blickte ich sie an. Ich wusste wie selten und vor allem wie teuer diese Karten waren, obwohl dieses Geld für Lillis Familie vermutlich eher wenig erschien. Ich umarmte sie dankend und flüsterte ihr ins Ohr: "Danke Lilli. Das hätte nicht sein müssen, aber danke!"
"Tja, denkst du etwa ich hätte Lust gehabt mich extra anzustellen?" Sie lachte. "Und jetzt komm, wir wollen doch nach ganz vorn!", und zog mich auf den vollen Platz.

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"Laut des Stadionplans müsste der VIP-Eingang...", Lilli blickte von der Karte an der wir inzwischen standen auf und zeigte auf einen kleinen, fast unscheinbaren Eingang. "...da drüben sein! Komm!" Lachend über ihren Enthusiasmus folgte ich ihr.

Wir gingen geradewegs auf den Eingang zu als ich gegen einen Jungen lief, der ungefähr in unserem Alter und in Begleitung eines jüngeren Mädchens, vermutlich seiner Schwester war.
"Ey, kannst du nicht aufpassen wo du hinläufst oder hast du Tomaten auf den Augen?"
Ich entschuldigte mich schnell und rannte zu Lilli, die die Situation schmunzelnd beobachtet hatte.
"Blödmann", murmelte ich.
"Aber ein heißer!", flüsterte sie und zog bedeutungsvoll ihre Augenbrauen nach oben.
"Pff, sicher nicht, außerdem habe ich da gar nicht drauf geachtet!", entgegnete ich und drehte meinen Kopf noch einmal nach hinten um zu schauen, ob sie die Wahrheit gesagt hatte, doch der Junge war schon in der Menge verschwunden.

Kopfschüttelnd über meine eigene Tollpatschigkeit begab ich mich nun gemeinsam mit Lilli zum VIP-Eingang, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte. Der Eingang war eher eine Art Hintertür und wirkte mehr wie ein Notausgang.

"Und für sowas bezahlen wir extra...", murmelte ich leise, während ich versuchte mit meinen Füßen nicht die Linien zwischen den Steinen zu berühren. Und schon wieder stieß ich mit meinem Kopf gegen etwas Hartes. Ich blickte hoch und bemerkte, dass ich gegen einen Bodyguard oder einen Türsteher gelaufen war. Echt, wenn es Wettbewerbe zum Thema Tollpatschigkeit gäbe, wäre ich sowas von Erste und würde bei der Siegerehrung vom Podest fallen.

"Ihre Tickets, bitte!", brummte nun der muskelbepackte Typ, der es mir anscheinend ziemlich übelnahm, dass ich mit meinen Gedanken woanders gewesen war. Lilli zeigte ihm unsere Karten und er nickte leicht.
"Wie alt seid ihr?"
"Beide siebzehn!", erwiderte Lilli fröhlich. Die miese Laune dieses Kerls konnte ihr nicht die Vorfreude auf das Konzert nehmen.
"Gut, dann habt ihr hier noch einen U-18 Stempel.", sagte er und ergriff unsere Hände um jeweils einen Stempel darauf zu setzen.
"Jetzt muss ich noch kurz eure Taschen durchsuchen, dann könnt ihr rein."

Wir reichten ihm unsere Taschen und nachdem er meine Tasche durchsucht hatte, wurde ich hinein geschickt. Der Raum in dem ich nun stand hatte schon etwas Luxuriöseres als der Eingang und überall um mich herum standen Snacks und Ähnliches aufbereitet, vermutlich für Thunder. Ich meine, nach so einem Konzert war er ja sicher hungrig.

Ich wartete also auf Lilli, was länger dauerte, als ich es erwartet hätte, aber gut, sie hatte ja auch eine riesige Handtasche mitschleppen müssen, die trotz des schlichten Kleides wieder die Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Als Lilli dann einige Minuten später den Raum betrat, kam auch schon die Durchsage, dass das Konzert in einer dreiviertel Stunde starten würde.

Einige Minuten später hatten wir es geschafft uns zu orientieren, waren beim abgesperrten VIP-Bereich nochmals kontrolliert wurden und standen hier nun ziemlich alleine rum. Hinter der Absperrung sah ich die Menschenmasse, in welcher einem wohl kaum genug Luft zum Atmen gelassen wurde, zumindest in den vordersten Reihen und dann kam der VIP-Teil. Er begann circa fünf Meter von der Bühne entfernt und das einzige was uns von der Bühne trennte, waren einige Sicherheitsmänner, die uns misstrauisch beäugten.

Nach und nach füllte sich dann auch der VIP-Bereich, größtenteils mit komplett aufgedonnerten Mädels, deren einziges Ziel es zu sein schien aller Welt ihre Brüste zu zeigen, aber auch einige "normale" Menschen, wie Lilli und ich, waren anwesend. Die Menge an Menschen hier vorne war immer noch überschaubar und Lilli überredete mich somit auch ziemlich schnell dazu, uns ganz vorne an den Rand der Bühne zu stellen.

Irgendwann war es dann soweit. Das Licht wurde heruntergedreht und die Vorband kam unter tosendem Applaus auf die Bühne. Ich kannte sie nicht und Lilli scheinbar auch nicht, aber die Musik war nicht schlecht. Ich schloss die Augen und genoss einfach die Musik, als ich einen Geistesblitz bekam. Versteht mich nicht falsch, ich war kein Genie oder so, aber ich schrieb gelegentlich an Songtexten und bekam dafür ab und an mal Ideen in besonderen Momenten, wie diesem. Ich holte mein Handy aus meiner Handtasche und tippte die Textzeilen, die mir in den Sinn gekommen waren in meine Notizen-App.

And when all the lights go out,
I'm not alone.

And when the darkness envelops me, I'm not alone.

Because I stand there and ignite
the candle light.

"Och Jessi, du verpasst doch alles, wenn du nur mit deinem Handy beschäftigt bist!", schrie Lilli mir ins Ohr.
"Tut mir leid, ich habe nur eben eine Idee für ein paar Songtextzeilen gehabt und die wollte ich aufschreiben.", schrie ich zurück. "Achso okay, dann ist alles gut!", erhielt ich wenige Sekunden später die Antwort und fing Lillis hinterhältigen Blick auf. Oh oh, das sah nach einer verrückten "Lilli-Idee" aus, doch im nächsten Moment verschwand der Ausdruck aus ihren Augen und pure Freude spiegelte sich wieder, als die Vorband die Bühne verließ und Thunder angekündigt wurde.

Das Konzert konnte beginnen!

ALEX: Fake IdentityWhere stories live. Discover now