22. Dezember

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Es schneite.

Bisher hatte es so gut wie nie im Totenreich geschneit. Es gab nicht viel Wetter dort. Es war, wie in Harrys Vision von Dumbledore, während der Schlacht von Hogwarts.
Kein Himmel, keine Sonne, kein Mond.
Doch ab und zu, wie ein kleines Weihnachtswunder, rieselten die kristallisierten Schneeflocken auf die Toten herab.

Lily hatte Schnee, schon seit sie ein kleines Kind gewesen war, geliebt. Deswegen war Winter ihr immer die liebste Jahreszeit gewesen, trotz der Eiseskälte, den Minusgraden, dem grauen Himmel - der Schnee war ihr das alles wert.
Solche Details wussten nicht viele über sie - tatsächlich nur eine Person. Und die hatte sich in ihrem gemeinsamen Haus verbarrikadiert. Beim Gedanken daran, verdrehte Lily unwillkürlich ihre Augen. Der Vorteil war, dass ihr nicht kalt war. So etwas wie Kälte gab es hier nicht, genauso wenig wie unerträgliche Hitze im Sommer. Es war, als hätte man nur die positiven Dinge des Winters.

Der Schneefall wurde immer stärker, und verdeckte Lily die Sicht auf alle Häuser. Sie genoss es. Sie fühlte sich jetzt freier, nicht mehr so beobachtet, obwohl sie das natürlich nie gewesen war.

Sie streckte ihre Arme aus, und ihre Zunge hinaus. Schneeflocken ließen sich darauf nieder. Die Kälte auf Lily's Zunge, die sie instinktiv erwartet hatte, blieb aus, und dann zerschmolzen sie.

Lily war schon seit geraumer Zeit nicht mehr so glücklich gewesen. Weihnachten blies ihre Sorgen immer davon, machte sie, wenn auch nur für wenige Wochen, glücklich. Sie war schon lange Zeit hier. Viele viele Jahre. Es waren schon über 17 Jahre. Aber einigermaßen wohl hatte sie sich nie gefühlt. Um präzise zu sein, nur die ersten 16 Jahre nicht. James und sie hatten sich wahnsinnig zerstritten. Wobei - das war es nicht, was sie auseinandergebracht hatte. Es war viel mehr eine Folge von dem Auslöser - und zwar dass James nicht der Richtige war. Lily hat ihn geliebt; und sie wusste, dass auch James sie geliebt hat. Doch die Wahrheit war, dass seit sie im Totenreich waren, die alten Gewohnheiten James' wieder zum Vorschein kamen. Er hat vergeblich versucht, Streiche zu spielen, hat Witze gerissen, die sie nicht lustig fand. Immer öfter hatte Sie Ihre damalige Entscheidung, bei der Sev mit leeren Händen ausgegangen war, bereut. Sie war einfach nicht die Person für diese verdrehte Art von Scherzen. Sie war es nie und würde es auch nie sein. Einerseits hasste Lily sich dafür. Immerhin war er der Vater ihres Kindes. Doch andererseits hatten diese Vorwürfe gegen sie selbst sie nie schwerwiegend getroffen; immerhin lebte Harry praktisch auf einer anderen Welt, es konnte ihm egal sein, was seine Eltern im Totenreich so trieben. Aber dennoch, Lily wurde das Gefühl nicht los, sie hätte etwas falsch gemacht.

Ohne dass sie es gemerkt hatte, hatte der Schneefall aufgehört. Enttäuscht lies sie sich auf einen Schneehaufen fallen, und ihre orangenen Haare lagen in alle Richtungen auf den Boden ausgebreitet.

"Lily?", hörte sie da die Stimme ihres Geliebten.

"Severus", flüsterte sie, und bekam vor Aufregung gerötete Wangen, "du bist hier - draußen im Schnee!", stellte sie begeistert fest.

"So oft bekommt man den hier ja nicht zu sehen", sagte er, mit einem leisen Lächeln auf den Lippen, und gesellte sich zu ihr auf den Boden.

Lily war zwar immer noch erstaunt über den Sinneswandel, zwang sich aber darüber keine Gedanken zu machen - sie wollte den Moment genießen, den Moment, mit ihrem Mann, Severus Snape, ohne auch nur einen Augenblick zu verschwenden, indem sie sich über Dinge den Kopf machte, die schlicht und ergreifend irrelevant waren, zumindest jetzt gerade.

Verstohlen grub Lily ihre Hände in den Schnee, der sie verdeckte. Darunter presste sie eine handvoll Schnee zu einer Kugel zusammen, die sie dann unerwartet auf Severus warf. Im ersten Moment sah er sie perplex an, dann zog er seine Hände, die ebenfalls im Schnee gesteckt hatten, und warf gut gezielt einen Schneeball auf seine Freundin.

Für einen Augenblick starrten sie sich einfach nur an, doch dann packte die gute Stimmung Lily, und sie begann hemmungslos zu lachen. Sie war schon wieder ziemlich überrascht, als Severus einstimmte.

Nachdem sie mindestens eine Stunde so miteinander verbracht hatten, war Lily eine der glücklichsten Frauen auf der Welt. Doch eines bedrückte sie, und zwar der Grund für das Verhalten ihres Mannes. Immerhin widersprach es sämtlichen seiner Charaktereigenschaften, in den Schnee zu gehen, zu lachen - das Leben zu genießen.

„Wieso bist du so - anders?", fragte sie also besorgt Severus.
Er sah sie zuerst mit zusammengezogenen Augenbrauen an, und nahm eine angespannte Haltung an.
„Tut mir leid. Ich hätte nicht fragen sollen", sagte Lily also kopfschüttelnd.
Doch Snape hielt sie zurück, und lies seine Schulter nun entspannt hinunterhängen. „Ich habe etwas erkannt".
Fragend sah Lily ihn an.
„Erkannt, worum es geht. Und was ich will. Ich will dich, Lily Evans, ich liebe dich. Und wenn du glücklich bist, bin ich das auch".
Lily lachte unter Tränen vor Rührung. „Oh Severus", murmelte sie nur, als er sie in eine innige Umarmung zog.

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