22°C, Nieselnd

100 3 0
                                    

Ich sehe auf, als Fyre davonstürmt, und führe Freya widerwillig in ihre Box, ohne ihr wie sonst noch etwas Gesellschaft zu leisten und ihr Fell zu pflegen.

Es kommt nicht infrage, dass Fyre allein den Palast betritt. So, wie ich meinen Bruder kenne, wird er ein riesiges Empfangskomitee vorbereitet haben, welches ziemlich verwirrt sein wird, wenn Fyre jetzt hereinplatzt und ich erst getrennt von ihr nachkomme.

»Sorry, Freya«, sage ich entschuldigend und laufe Fyre hinterher.

»Fyre, warte!«

Sie dreht sich um und zieht eine Augenbraue nach oben.

»Hast du etwa Angst, allein zu bleiben?«, spöttelt sie.

Ich seufze entnervt. Muss sie immer so ... so kalt sein?

»Da drinnen warten vermutlich um die hundert Elfen auf unsere Ankunft.«

Einen Moment lang fällt ihre Fassade und sie sieht entsetzt aus.

»Dein Ernst?«, fragt sie schockiert.

»Du kennst doch Soleil ...«, meine ich ruhig und streiche mir die Haare aus meinem Gesicht.

Fyre kommt wohl derselbe Gedanke. »Aber wir sind doch total durchnässt!«

Ich schmunzle.

»Das stört ihn bestimmt nicht, insbesondere dann nicht, wenn du den Mantel ausziehst und darunter zufällig Weiß trägst.«

Ihr Blick könnte töten, aber immerhin amüsiere ausnahmsweise mal ich mich köstlich.

»Erstens trage ich kein Weiß, zweitens steht Soleil immer noch auf meine Schwester und nicht auf mich.«

Also, dass Soleil auf Crystal steht, da wäre ich mir nicht so sicher, aber sie hat Recht – auf sie, die damals in unseren brüderlichen Gesprächen immer nur »mein Mädchen« war, steht er ganz sicher nicht.

Als Friedensangebot biete ich Fyre meinen Arm an. Sie sieht ihn an, als wisse sie nicht recht, was damit zu tun sei, und kurz befürchte ich eine spöttische Bemerkung. Dann schaut sie zum Eingang des Palastes, denkt vermutlich an unseren Empfang, streicht sich durch die durchnässten Haare und nimmt meinen Arm an.

Dass sie sich Sorgen um ihr Aussehen macht, sie, die trotz allem das schönste Wesen in diesem Universum ist, verblüfft mich.

»Keine Sorge, so schlimm wird es nicht werden«, versuche ich, sie zu beruhigen, und werde dafür mit einem tödlichen Blick, der mich zu erdolchen scheint, belohnt.

Typisch Fyre. Stolz wie immer.

Inzwischen sind wir am Eingang des Palastes angelangt. Der Sommerpalast vereint alle Attribute unserer Jahreszeit in sich – fröhlich, farbenfroh, aber auch unbarmherzig. Die großen Fenster, welche sich im Stein aneinanderreihen, geben bereits den Blick auf das Innere unseres Schlosses frei. Um Fenster und Türen winden sich Weinreben, Skulpturen von Blumen, Pferden, Dryaden. Jedes Zimmer im zweiten Stock hat mindestens einen kleinen Balkon, im dritten Stock zieht sich eine Terrasse über die ganze Länge, darüber bleibt nur noch der Dachboden. Es wirkt ein wenig wie die Prachtbauten der Könige und Kaiser zu Rokoko-Zeiten, erinnert an das preußische Schloss Sanssouci mit seinen Farben, seiner Überschwänglichkeit, nur ist es größer, wuchtiger, prachtvoller und auf eine bescheidene Weise um ein Vielfaches eleganter. Tatsächlich haben die Erbauer dieses Palastes eng mit Ludwig Persius zusammengearbeitet, dem Architekten von Friedrich IV., der Sanssouci erweitert hat. Obwohl offiziell noch der Winter herrscht, geht vom Sommerpalast eine willkommene Wärme aus. In einem Umkreis von einem Kilometer herrscht hier immer Sommer, die Blumen blühen, die Laubbäume werfen ihre Blätter niemals ab. Kein Eichhörnchen hält hier jemals Winterschlaf, der Sommerhof bietet im Winter zahlreichen Tieren Unterschlupf. Hier ist das Königreich des Sommers – mein Königreich.

Unser Schloss ist natürlich nicht für die Öffentlichkeit zugänglich, schließlich wohnt hier die Mehrheit des Sommerhofes. Für die Menschen existiert es nicht – eigens dafür angestellte Elfen haben sich immer meisterhaft darauf verstanden, Erinnerungen und schriftliche Zeugnisse zu löschen, damit vom Dasein dieses Palastes nichts bekannt wird.

Ehrlich gesagt fühle ich mich hier trotzdem nicht zu Hause. Ich habe einen ziemlich großen Teil meiner Kindheit hier verbracht – aber mein Zuhause war immer der Frühlingsgarten mit dem exotischen Pavillon, welchen das alte Sommer- und Winterkönigspaar gemeinsam errichten lassen haben. Dort wurden Soleil und ich aufgezogen, und im Frühling besuchten Fyre und Crystal uns. Die Frühlingszeit und der Herbst waren damals immer die schönsten Jahreszeiten für mich – waren es doch die Zeiten, in denen ich Fyre nah sein konnte. Selbst damals wusste mein Unterbewusstsein bereits, was sie mir bedeutete.

Endlich haben Fyre und ich den Eingang des Palastes erreicht. Sie atmet noch einmal tief durch, bevor sie ihre Hand auf die Tür legt und einen leichten Druck ausübt. Wie vorausgesehen, macht die Tür den Rest allein und gibt den Blick auf leere Gänge frei.

Stirnrunzelnd sieht Fyre zu mir.

»Wie war das mit dem Empfangskomitee? Wolltest du mir etwa nur Angst machen?«

Irritiert suche ich die Flure ab. Hier und da huschen ein paar Elfen vorbei, die aber augenscheinlich nichts mit uns zu tun haben.

»Seltsam. Das sieht Soleil nicht ähnlich, aus unserer Ankunft kein Spektakel zu veranstalten. Ich wollte dir keine falschen Informationen liefern, verzeih«, entschuldige ich mich höflich.

Sie sieht mich misstrauisch an, sagt aber nichts, sondern zieht nur ihren Arm von mir weg.

Augenblicklich fühle ich mich wie der Keimling einer Sonnenblume, der von jeglicher Lichtquelle abgetrennt wird.

»In dem Fall ...«, überlege ich, »haben wir wohl noch etwas Zeit, um unser Gepäck auf unsere Zimmer zu bringen und wieder in Form zu kommen. Wir treffen uns in einer Stunde, in Ordnung? Ich werde mich darum kümmern.«

Sie scheint in Gedanken und blinzelt mich einen Moment irritiert an, als erreichten sie meine Worte nur unter tiefen Wasserfluten, dann strafft sie sich wieder.

»In Ordnung«, erwidert sie königlich und stolziert davon.

SnowFyre. Elfe aus EisWhere stories live. Discover now