1°C, Klarer Himmel - Teil 3

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Fyre

Mach schon, Fyre.

Selbstsicheren Schrittes gehe ich nach draußen und nehme Rhia, die auf dem Weg steht, die Bürste aus der Hand.

»Du hast doch nicht etwa vergessen, sie einzupacken?«, frage ich mit einem gefährlichen Unterton.

Sie zuckt zusammen, macht sich klein, den Kopf unterwürfig nach hinten geneigt, wie ein Hund, der zur Kapitulation seine Kehle freigibt.

Witzig.

»Ich ... ich ...«, stammelt sie.

Spöttisch ziehe ich eine Braue nach oben und gehe weiter. Das läuft ja besser, als erwartet.

»Für heute lasse ich Gnade walten. Lass das bloß nicht noch einmal vorkommen.«

Freya und Passat stehen mitten auf dem Hof und schmusen zärtlich miteinander.

»Bitte. Nehmt euch ein Zimmer.«

Trotz meiner schroffen Worte schmiegt Freya sofort zur Begrüßung ihren Kopf an mich.

Innerlich muss ich lächeln.

Äußerlich wende ich alle Kraft darauf auf, mein gelangweiltes Pokerface beizubehalten.

Ciel kommt hinter Freya hervor.

»Bist du fertig?«, fragt er. Ich nicke nur hochmütig und steige auf Passats Rücken. Wie immer vertrete ich streng die Politik der totalen Verdrängung, die Szene gestern werde ich einfach vergessen. Ciel darf nicht merken, wie sehr sich der Anblick seines nackten Oberkörpers in mir eingeprägt hat. Diese Muskeln, diese Haut, die sich in absoluter Perfektion über seinen Körper spannt ... Er war so verlockend, hat mich so verstört. Gerne hätte ich ihn damit konfrontiert, dass er mich an meinem geheimen Rückzugsort gestört hat, doch wie hätte ich das tun sollen, wenn ich nur an seinen Körper denken konnte? Wie das Wasser auf seinen Brustmuskeln im Licht gefunkelt hat ... Themenwechsel! Dringend!

Denke an Passat!

Wieso reite ich noch mal?

Meine Dienerinnen, Rhia und Deirdre, werden mit dem Auto und unserem Gepäck zum Sommeranwesen fahren. Jeder andere Elf, der halbwegs ein Gehirn besitzt, würde mit dem Auto fahren. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert. Aber bei Ciel und mir stellt sich diese Frage gar nicht. Wir lieben unsere Pferde, würden sie nie ohne Not in einen Transportwagen zwängen, außerdem lieben wir es, zu reiten. Wir nehmen es gerne in Kauf, einen ganzen Tagesritt zum Sommerpalast hinter uns zu bringen.

Einen Moment hasse ich Ciel schlicht dafür, dass er mir so ähnlich ist.

Ich drehe mich nicht nach ihm um, steige auf und reite einfach los. Er wird schon nachkommen. Und wenn nicht, dann – na ja, ist das nicht mein Problem.

Liebevoll kraule ich durch Passats Mähne und beuge mich nach vorne, als wir auf dem Waldweg verschwinden und es keiner mehr sehen kann.

»Freust du dich auf den Ritt, mein Kleiner?«, flüstere ich ihm ins Ohr.

Er wiehert bestätigend.

Den Weg, den wir schon so oft geritten sind, findet Passat bereits allein, ich muss eigentlich gar nicht nachdenken. Ich liebe es, dieses Gefühl, er und ich wären die einzigen Wesen auf der gesamten Welt.

Ciel und Freya reiten aber neben uns und zerstören dieses Gefühl. Zumindest würde ich mir gerne einbilden, dass sie das Gefühl zerstören. Eigentlich verstärken sie es nur, machen es besser, steigern das Hochgefühl weiter. Ich liebte es, mit ihnen zu reiten – das gab mir früher immer das Gefühl von Geborgenheit, das Gefühl, nicht allein zu sein, sondern alle wichtigen Wesen, auf die es in diesem Moment ankommt, um mich herum versammelt zu haben.

»Du hättest ruhig auf uns warten können«, tadelt mich Ciel.

Ich verdrehe nur die Augen und treibe Passat dazu an, schneller zu reiten.

Doch selbst da folgen uns Ciel und Freya auf Schritt und Tritt. Weil Freya nicht ohne Passat reiten will oder weil Ciel mich nicht allein lassen will?

Wir reiten ohne Zaumzeug, ohne irgendwelche Hilfsmittel. Der Sattel heute ist eine seltene Ausnahme, wegen des Gepäcks. Er nervt mich mindestens genau so sehr wie er Passat nervt, aber daran führt kein Weg vorbei. Ich will am Sommerhof nicht der Gnade von Sommerelfen ausgeliefert sein.

»Fyre«, ergreift Ciel erneut das Wort, »wegen gestern ... das tut mir leid.«

Ich zeige keine Reaktion, die Worte sinken allerdings tief in meine Seele hinein und wecken die Erinnerung, die ich weise verdrängt habe.

Ciel, wie er in meinem Moment größter Schwäche überraschend aus dem See auftaucht, klirrend das Eis sprengt und dasteht, als wäre er ein Superheld, der gekommen war, mich zu retten. Er ist der Einzige außer Crystal, der den See kennt – mal wieder typisch, dass er genau im falschen Augenblick hereinplatzt. Zuerst hatte er mich gar nicht bemerkt, erst mein Keuchen hat ihn auf meine Anwesenheit aufmerksam gemacht. Dann der glühende Blick, mit dem er mich betrachtete – nicht, dass ich besser gewesen wäre. Dieser Spanner. Dieser verdammt gutaussehende Spanner.

Sein Körper war eine Gottheit. Seine Muskeln, viele, aber nicht zu viele, zuckten vor der Kälte des Sees. Seine Haut wirkte so weich und einladend wie Leder. Beinahe wäre es um meine Selbstbeherrschung geschehen gewesen – erst recht mit diesem Blick aus den sich verzehrenden braungrünen Augen, die mich festnagelten und jede Bewegung unmöglich machten.

Schließlich war er zurückgewichen und wieder abgetaucht. Gut so, ich weiß nicht, was ich sonst getan hätte. In jedem Fall etwas, was ich später bereut hätte.

»Fyre?«, holt mich Ciels Stimme in die Wirklichkeit zurück.

Einen Moment lang überlege ich, was zu tun ist. Was wird die unnahbare, selbstbewusste Fyre darauf antworten?

Ach, was soll's, entscheide ich mich dagegen.

»Passt schon«, antworte ich ihm, müde meiner selbst.

Den Rest des Rittes schweigen wir.

SnowFyre. Elfe aus EisWhere stories live. Discover now