-1°C, Schneefall - 2

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Fyre

»Warte«, befiehlt der Elf hinter mir. Ich ignoriere ihn.

Hastige Schritte, und er packt mich an der Schulter.

»Was willst du, Ciel?«, fahre ich ihn an. Ciel, Repräsentant des Sommerhofes, Bruder des amtierenden Sommerkönigs, ist bedauerlicherweise an unseren Hof gereist, um mit Crystal irgendeinen Unsinn über die Jahreswende zu besprechen. Er ist nicht gerade meine liebste Person. Immer die Ruhe bewahren.

»Was?«, frage ich ungeduldig.

»Fyre ...«, sagt er meinen Namen. Bilde ich mir den flehenden Unterton nur ein?

Ich weiß, was hat sich unsere Mutter nur dabei gedacht, mich Fyre und meine Schwester Crystal zu nennen? Das größte Paradoxon aller Zeiten.

»Du weißt doch längst, was ich will«, stellt Ciel schließlich fest.

Mit hochgezogenen Augenbrauen blicke ich ihn an.

»Ach ja?«

Natürlich weiß ich, von was er spricht. Der Frühling fängt an - doch dumm, dumm, der Sommerkönig und die Winterkönigin sind gerade ziemlich beschäftigt. Ciel springt als Bruder des Sommerkönigs für ihn ein, aber ich bin nicht gerade wild darauf, seinem Beispiel zu folgen. Ich seufze.

»Vergiss es. Das musst du mit meiner Schwester ausmachen.«

»Was er bereits getan hat.« Crystal kommt aus einem der Gänge. Sie begutachtet mein Werk im winterlichen Gang, dann klatscht sie in die Hände, alle Lichter flammen wieder auf. Auch die Heizung springt wieder an - mir scheint sie sogar wärmer als zuvor, als wolle sie verlorene Zeit wettmachen.

Kalt funkle ich Crystal an. Meine süße kleine Schwester mit ihrem platinblonden Haar, den dunkelgrünen Augen und dem verspielten Petticoat-Kleid steht mir in nichts nach, dennoch gebe ich meistens vor, die Überlegenere zu sein.

»Dabei habe ich mir solche Mühe gegeben«, schmolle ich mit einem ironischen Unterton.

Sie zieht eine Braue nach oben, dann richtet sie den Spiegel an der Wand. Beleidigt sehe ich zu, wie sie Ciel mit einer nicht besonders formellen Umarmung begrüßt und sich schließlich wieder mit mir beschäftigt.

»Fyre, du weißt, ich bin gerade sehr beschäftigt, deshalb bitte ich dich darum, dich dieses Jahr mit dem Bruder des Sommerkönigs um den Frühling zu kümmern.«

»Bittest oder befiehlst?«, hake ich nach, aber ihr kalter Gesichtsausdruck beantwortet meine Frage bereits.

Na großartig. »Was muss ich tun?«

»Der Frühling stellt traditionell den Übergang vom Winter in den Sommer dar. Ich übertrage dir die Macht über den Winter, Ciel wird sie dir abnehmen und die Welt in Richtung Sommer bewegen. Ich habe veranlasst, dass du dazu an den Sommerhof reist. Genaueres wirst du dort erfahren. Die paar Wochen wird dein Blut die Wärme schon aushalten, Schwesterherz.«

Dieses Mal scheint Crystal unerbittlich zu sein. Wenns denn unbedingt sein muss.

Werde ich eben zu diesem grässlich heißen Hof reisen, mich ein paar Wochen lang in schrecklich heller, froher Umgebung aufhalten - es ist immerhin die perfekte Gelegenheit, ein wenig Unruhe zu stiften.

»Du wirst dich benehmen, Fyre«, befiehlt Crystal, ausgerechnet mir.

»Aber natürlich, Schwesterchen«, antworte ich zuckersüß und rausche davon. Ja klar. Als ob ich mich an so etwas halte.

Ihr gutes Benehmen kann sie sich sonst wohin stecken.

Callum ist immer noch in meinen Räumen und stöbert in meinem Nachttischschränkchen.

»Raus!«, kommandiere ich, überlege es mir aber anders. Ich winke die unscheinbare Dienerelfe hinter mir herein. »Du kannst schon mal anfangen zu packen. Bloß keinen Mantel - es wird warm genug.«

Dann wende ich mich Callum zu.

»Warte«, flüstere ich und trete auf ihn zu. Provozierend lege ich den Kopf in den Nacken und öffne leicht den Mund. »Callum ...«

Er kann sich nicht beherrschen und handelt wie vorausgesehen, indem er sich mir zuneigt, um mich verlangend zu küssen. Innerlich lache ich, als ich im letzten Moment zurückweiche und mich über die Zerstörung freue, die ich in ihm anrichte.

Immer dasselbe Spiel - aber wieso nicht noch ein wenig Spaß haben?

Callum folgt mir nach, versucht, mich zu erreichen, mich an ihn zu drücken. Ich lasse ihn nicht gewähren, necke ihn, umkreise ihn spielerisch. Endlich erlaube ich ihm einen verstohlenen Kuss auf meine Wange, spiele verführerisch mit seinem Haar, wenn ich ihm wieder entkomme.

»Schluss jetzt.«

Er muss schon länger in der Tür stehen. Keine Ahnung, wieso ich seine Hitze nicht gleich bemerkt habe - naja, ich habe an anderes gedacht. Augenblicklich löst sich Callum von mir und drückt sich an ihm vorbei, flieht, möglichst weit weg vor mir und der tödlichen Versuchung, die ich für ihn darstelle.

»Was soll das?«, will ich wissen, »Jetzt hast du ihn verscheucht. Willst du etwa seinen Platz einnehmen?«

Ciel runzelt die Stirn.

»Und ich dachte immer, du seist die Inkarnation der Kälte. Mit so etwas habe ich nicht gerechnet.«

»Offensichtlich bin ich das nicht immer ... Also, willst du nun oder willst du nicht?«

Er grinst. »Ich denke, ich verzichte vorerst.«

Empört nehme ich die Arme vor der Brust zusammen.

»Wieso hast du dann gestört?«

Er schüttelt resigniert den Kopf.

»Es gehört sich nicht, Elfen so zu behandeln. Du könntest ruhig etwas verantwortungsvoller mit deinen Bediensteten umgehen.«

Ich lege den Kopf in den Nacken und lache hell.

»Hast du vergessen, wer ich bin?«

»Sicher nicht«, murmelt er und kommt näher, bis er direkt vor mir steht. Ich bin wie versteinert, kann ihn nur ansehen, während seine Lippen sich bewegen und er etwas sagt.

»Ich denke, du solltest dein Verlangen nicht an deinen Untergebenen stillen. Vorerst muss das hier genügen.«

Er haucht mir einen sanften Kuss auf die Lippen und geht.

Unfähig, etwas zu tun, starre ich weiterhin auf die Tür, meine Finger zucken in Richtung Unterlippe. Ich bin völlig paralysiert.

Der Kuss dieses Sommerelfs hat mich nicht, wie erwartet, verbrannt. Es hat sich unbeschreiblich angefühlt, mit einer eindringlichen, willkommenen Wärme - einfach nur wundervoll. Ich lecke mir über die Lippen.

Verdammt, ich will mehr davon.

Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, ein paar Wochen am Sommerhof zu verbringen.

SnowFyre. Elfe aus EisWhere stories live. Discover now