Altbekanntes

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Bone's Welt

Die anderen schlafen, ich betrachte sie. Sie haben mir gefehlt, und ich bin mehr als froh, sie hier zu sehen, in einem Zug, der mich immer weiter in die Freiheit fährt, und nicht in dem widerlichen Besuchsraum meines Gefängnisses. Ich fühle seit Tagen Erleichterung. Ich bin raus, völlig, auch wenn ich mir sicher sein kann, dass ich noch mehr aufpassen muss. Vielleicht ist es arrogant zu glauben, sie würden mich auf Schritt und Tritt überwachen, so wichtig bin ich nun auch nicht, trotzdem.  

Aber jetzt bin ich hier, mit Ginger, Sunny und Robin, in einem freien Land und mit einem freien Willen, und ich schätze es. Vielleicht ist es wirklich vorbei, dieses ganze Wegrennen und Verstecken und sich gar nicht gesellschaftspassend Fühlen. Wahrscheinlich eher nicht. Aber die Briefe hatten ein Ende, nach der letzten Drohung kam nichts mehr. Vielleicht hatte sich jemand auch einen Spaß erlaubt, aber das machte keinen Sinn. Was ich mit meinem Leben anfangen sollte, weiß ich auch nicht wirklich, aber auch das kann ich gerade perfekt wegschieben, genauso wie die Wut und böse Erinnerungen. Ich bin hier mit meinen Leuten, ich will ein losgelöstes Wochenende, frei von Gittern, Drohungen und zu vielen Gedanken. 

Danach würde ich mich mit dem ganzen Scheiß auseinandersetzen, der auf mich wartet, den routinierten Alltagsscheiß, den jeder stinknormale Bürger machen muss: Eine Wohnung finden, einen Job sowieso, das blöde Anti-aggressionstraining (okay, das muss nur ich tun) durcharbeiten und ja, endlich leben. Vielleicht mal wieder ein Mädel aufreißen, das ist echt mal nötig. Ich muss an Mare denken, die nicht geantwortet hat. Vielleicht hat sie auch meine emailadresse geblockt. Der Zug fährt in den nächsten Bahnhof ein und es sieht viel zu bekannt aus, die gelben Kacheln, die Wartehalle, als hätte sich nichts in all der Zeit geändert. Ich wecke die anderen, Robin kommt nicht aus dem Knick und fast wäre sie in der zugehenden Tür stecken geblieben. Sunny verdreht die Augen, Ginger lacht sie aus. Ich nehme ihr ihren Schlafsack ab, damit sie den Rest ihrer Sachen richten kann. Sunny wirft mir einen spöttischen Blick zu. "Ja, ich bin jetzt nett geworden", sage ich nur. "Musst dich auf die anderen Aggros einstellen, mh", stichelt Ginger und es ist wie früher. Der Regen hat aufgehört und der Himmel war heller als zuvor. Unschlüssig standen wir auf dem Bahnhof rum, Vivis leuchtendes Haar ist nirgends zu sehen. Die Raucher drehten sich eine und ich werfe Ginger einen vorwurfsvollen Blick zu. "Du lässt mich echt im Stich, mann. Nicht cool." Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß, die Sucht hat mich. Der Krebs ruft schon." Wir stellten unsere Sachen ab und ich schlenderte in die Wartehalle, Robin folgte mir. An der Stelle, an der wir vor gut anderthalb Jahren gehaust hatten, saß nun ein alter Mann mit Trompete, einen Hut vor sich stehend, der mit ein paar wenigen Münzen gefüllt ist. Ich grinste Robin zu. "Lang ists her, das Wartehallenleben", sagte sie. "Es ist seltsam", murmelte ich. "Ist es nicht eh ein bisschen seltsam für dich, wieder draußen zu sein?" "Soo lange saß ich auch wieder nicht im Knast, Robin", grinste ich ein bisschen beleidigt. Sie hob die Augenbrauen. "Es ist nicht seltsamer, als im Knast zu sein", fügte ich also hinzu. 

"Lasst uns losgehen", maulte Sunny, in diesem Moment bahnte sich ein Rotschopf den Weg durch ein paar wartende Gäste, die Haare nicht mehr ganz so leuchtend, dafür ein riesengroßes Grinsen im Gesicht. "Da ist sie ja", rief Ginger und lief ihr entgegen. "Hola! Buenas Días, Buon giorno!" Etwas überrumpelt von Gingers Herzlichkeit erwiderte Vivi die Umarmung, drehte sich zum Rest der Gruppe um und strahlte. Es war alles ein bisschen seltsam, vielleicht sogar krampfig. Dann drängte sich Robin durch, blickte von mir zu Sunny und dann sah sie Vivi an, deren erwartungsvolles Strahlen ein wenig schwächer wurde. Man konnte die Spannung fast greifen. "Robin", sagte sie und hob die Arme. Robin lächelte, und sie drücken sich so fest und herzlich, dass mein Herz ein wenig wärmer wurde. "Süß", raunte Sunny. 

"Und du", Vivi musterte mich von oben bis unten, "was für eine Wucht!" Sie lachte, ich gab ihr einen leichten Kuss auf die Wange. "Es ist so schön euch zu sehen", sagte sie, und verlegen lächelnd standen wir rum, bis sie uns zum Ausgang führte und wir den altbekannten Weg in Angriff nahmen. "Ich bin so gespannt", plapperte Vivi munter, "Wie es euch ergangen ist, was passiert ist in eurer weiteren Reise, mein Gott, wie lange ist es her. Ich finde es toll, dass ihr euch gemeldet habt, ehrlich." Wir überquerten die Straße, beim Laufen drehte sie sich um und lachte ungläubig. "Jahre Später, als wäre nie etwas passiert. Es könnte auch ein Deja Vu sein!" Robin legte ihre Hand auf ihre Schulter und drückte sie. "Ich freue mich so sehr, dass du uns aufnimmst. Ich glaube, wir hatten alle eine Auszeit nötig." 

°

Als Vivi die Tür zu ihrer Wohnung öffnete, machte sich ein dumpfes Gefühl in mir breit. Es sah genauso aus wie vor zweieinhalb Jahre zuvor, nur ist alles sehr aufgeräumt und etwas leerer. "Hatte lange keinen Besuch mehr", sagte die Gastgeberin und hob die Hände. "Fühlt euch wie Zuhause - ihr wisst ja, wo alles ist, oder braucht wer noch 'ne Rundführung?" Wir grinsten und schüttelten die Köpfe, brachten unsere Sachen in das Schlafzimmer und versammelten uns dann in der Küche. "Ist es echt okay, dass wir alle hier pennen?", fragte Robin. "Wir hätten uns - oder ein Teil von uns - auch ein Hostel buchen können, so aus Platzgründen?" "Naa, hat da jemand ein Problem mit Gruppenkuscheln", brumme ich und kassiere hochgezogene Augenbrauen seitens Sunny. "Nein, ach was!", stimmte auch Vivi mit ein. "Es ist natürlich etwas eng und nicht high class, aber", doch Robin unterbrach sie schnell. So wäre das nicht gemeint und so weiter, es ist perfekt wie es ist. "Wie in alten Zeiten", schloss sie und ihr Blick wanderte über unsere Gesichter. "Ich kann es echt nicht glauben, dass ihr alle noch zusammen seit. Man, das freut mich so, es ist so schön zu sehen, dass ihr euch durchschlagen konntet." "Du hast ja keine Ahnung", erwiderte Ginger lachend. "Das war ein Drama, alles. Meine Fresse, wir haben echt eine gute Story zu bieten." Vivi quietschte vergnügt. "Genau das hab ich gehofft, und nichts anderes hab ich erwartet. Ihr seit echt der bunteste Haufen, der mir untergekommen ist. Also. Habt ihr Hunger, wollt ihr duschen, was braucht ihr so?" 

In der kleinen Küche brach Tumult aus, Ginger machte sich am Kühlschrank zu schaffen, Robin fing an, den Tisch zu decken, Sunny floh ins Bad und ich stand allen im Weg.  Vivi lachte, als sie meinen hilflosen Blick sah. "Komm mit, im Keller hab ich ein paar Weinflaschen, hilfst du sie mir holen?" Ich folgte ihr die steile Wendeltreppe runter, bis wir vor einer kleinen, halbhohen Tür standen, bei dessen Anblick ich mich unmittelbar fragte, wie ich da durchkommen soll. Vivi schien sich dieselbe Frage zu stellen und grinste schief. "Ich hatte dich etwas weniger ... massig in Erinnerung." Ich kratze mich verlegen am Kopf. "Knast", vermerkte ich knapp und sie hob die Augenbrauen. "Das ist", sagte sie und ihr Blick drückte Erstaunen und unsägliche Neugier aus, "wie soll ich es sagen, das ist irgendwie cool." "Cool? Du Kind." Sie lachte. "Es ist ehrlich gesagt einfach ziemlich beschissen gelaufen alles." Sie nickte und wurde ernster. "Sorry, so war das nicht gemeint, ich - ach, ihr müsst mir das alles erzählen. Natürlich ist es nicht cool", und sie entschuldigte sich erneut. "Hey, alles okay." "Seit wann bist du draußen?" "Ähm", ich musste grinsen und verdrehte die Augen, "seit mittlerweile knapp 20 Stunden vielleicht." Ungläubig drehte sie sich in der verdammt kleinen Tür, sie passte natürlich rein, der Zwerg, wieder um. "Wow. Okay, hey, das muss sowas von gefeiert werden. Wie schmeckt die Freiheit", sie hielt mir drei Flaschen hin, "Rot? Weiß? Oder Wodka?" Ich lachte und nahm ihr alle drei Flaschen ab. "Du kleiner Schatz." Wir quetschten uns die Treppe wieder hoch, und bevor sie ihre Haustür öffnete, drehte sie sich unvermittelt zu mir um und drückte mich. "Schön, dass du vor den anderen nicht gänzlich weggelaufen bist. Ich glaube, die brauchen dich." Es tat weh, als sie das sagte. Die leicht flackernde Erinnerung an mein Ausbrechen schob sich ins Bild, dann sah ich sie fest an. "Ich sehe das genauso wie du. Ich denke, ich brauche sie halt auch." Hallo, Hallo, Klischee des großen, grimmigen Knasti, harte Schale, weicher Kern, bla bla. Die Reaktion erfolgte direkt, Vivi gab ein Geräusch von sich, das Mädchen immer machen, wenn sie Babywelpen sehen, und ich verdrehte die Augen und schob mich durch die Tür, das Grinsen noch auf den Lippen. 

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Nach langer Schreibblockade hoffentlich wieder im Spiel ...

Hoffe es gefällt, xx

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⏰ Last updated: Jul 29, 2018 ⏰

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