Februar

92 9 1
                                    

7 Sunny's Welt

Ich wachte auf, mein Schädel pochte und mein Mund war trocken. Neben mir lag mein BH und ein Gesicht, es dauerte ein wenig, bis ich es zuordnen konnte. Ah, klar. Leander. Ich drehte mich stöhnend um, das Bett war klein und eng und das pisste mich an. Leander richtete sich auf oder so, genau das ist es, was ich an so engen Betten hasse, die Leute wachen immer dann auf, wenn du aufwachst.

„Guten Morgen", brummte er dann schon betont verschlafen, während ich mein Gesicht strikt der Wand zuwandte und so tat, als würde ich schlafen. Doch dann kroch sein Arm um meine Taille und das ging mir in dem Moment zu weit. Hey, versteht mich nicht falsch, ich bin nicht eine dieser gefühlskalten One-Night-Stand-Ollen, die überhaupt nicht mit Nähe klarkommen und bekloppte Abschiedsnachrichten an Spiegel schreiben, nur um ihrem Ego was Gutes zu tun. Blöd gesagt, brauch ich nicht. Ich bin mir meiner Wirkung schon bewusst, und im Betrunkenen Zustand kann ich diese auch ertragen. Also riss ich mich zusammen, drehte mich zu ihm und lächelte. Er grinste zurück, wir standen auf, er machte Kaffee und Toast, welches ich nicht aß, aber so tat, wir redeten, er machte mir ein Kompliment und es freute mich sogar. Ich durfte duschen gehen, wir sahen uns noch eine Serie an, wir umarmten uns und am Ende sah er so aus, als wolle er mich nach meiner Nummer fragen. „Ich hab' kein Handy", sagte ich und er blieb stumm. Vielleicht war das jetzt arrogant. Ich bedankte mich, für den Kaffee und so, es war schön, hey, und dann stand ich auf der Straße und ging spazieren. Die Sonne ging unter, wir haben zu lange geschlafen, waren zu lange wach, und die Häuser warfen Schatten. Mir fiel auf, dass er ja gar nicht Leander hieß, aber das spielte ja gar keine Rolle mehr.

Ich verließ die Hauptstraße und schlug den Weg zum Fluss ein, drehte mir eine Zigarette und sah den Eisschollen zu, die verloren auf der trüben Wasseroberfläche vor sich hin trieben. Mein Atem warf Rauchwolken und mir war kalt. Ich fühlte mich leer, eigentlich fühlte ich nichts, oder nicht viel. Schmerz muss schlimm sein. Schmerz, das war Robin. Wut war Bone. Ginger war irgendwas dazwischen. Und ich war nichts, ich war leer. Ein bodenloses Glas, das gefiel mir, ein bodenloses Wodkaglas, leer getrunken von einer Suchtkranken und nichts blieb, außer der Kater und diese Leere.

Ich sah auf mein Handy und registrierte drei verpasste Anrufe von meiner Mutter. Sie hatte auf meine Mailbox gesprochen, ihre Stimme klang kühl und ein wenig besorgt, sie bat mich, wieder zu kommen, da war dieser Fotograf. „Ich habe ihm deine früheren Bilder gezeigt, er fand sie zauberhaft, diese Ästhetik, meinte er, die sähe man selten." Da, ein Stich in meinem Herz, ein wenig Gefühl war da also auch noch. Fotos dieser Art als ästhetisch zu beschreiben beleidigte mich. Ich löschte die Nachricht. Dann rief mich Robin an und das war was Neues. Sie wollte sich mit mir treffen, wie ungewöhnlich. Wie gesagt, ich mochte ja Robin irgendwie. Trotzdem reichte eine Gruppenfreundschaft, oder was das seltsames mit uns allen war, völlig aus. Doch da ich nichts zu tun hatte, momentan keine Aufträge, keine Bleibe oder irgendeinen anderen Lebenssinn, erlaubte ich ihr, herzukommen.

Nach dreißig Minuten war sie da, sie stürzte fast mit ihrem Fahrrad ins Wasser. „Arschkalt heute", sagte sie, immer diese Menschen die komplett offensichtliche Tatsachen aussprechen. Sie warf ihr Rad hin und kauerte sich neben mich, ich lächelte sie an, weil mir auf einmal danach war. „Was gibt's?" „Ich wollte dich halt sehen, keine Ahnung." „Ist Ginger nicht mit zu dir gekommen?", fragte ich, denn sie log, als ob sie mich ‚halt sehen' wollte. Und klar, da brach die Fassade, Robin war wie Wasser, offen und durchsichtig, man las alles in ihrem Blick, ich beneidete und bemitleidete sie dafür. „Doch, aber er war weg, heute morgen." „Ginger halt", erwiderte ich. Was war daran besonders? „Nein, er war nie einfach ... einfach weg." 

„Schlaft ihr eigentlich miteinander?", platzte es aus mir raus. In sensiblen Gesprächen musste ich mich noch üben, das sah ich an ihrem verletzten Blick. „Ist das jetzt so wichtig für dich?" „Klar", setzte ich noch einen drauf, ehrlich, ich versteh nicht, warum ich so bin. Robin atmete tief ein und griff nach meiner Zigarette, die ich ihr gewährte, aber nur, weil sie echt fertig aussah. Sie war wirklich verliebt in ihn, warum auch immer, das sah man sofort. Bei ihm war ich mir da nicht so sicher, auch wenn ich es ihr wünschen würde. Aber irgendwann würde er sie verletzten, Ginger war zu feige für Liebe. Genauso wie ich.

„Also?", hakte ich nach. „Nein, Sunny, ich habe einen Penis und das will er irgendwie nicht." Sie wirkte entnervt und ich schmunzelte. Okay, der war gut. „Also ja." Sie nickte mit einem Augenrollen. „Und jetzt ist er einfach abgehauen." „Ja. Man, er wird schon wiederkommen." Sie schien sich selbst beruhigen zu wollen und ich hatte ein bisschen Mitleid. „Klar, es ist Ginger", sagte ich also und spürte, dass ich log. Bei Ginger wusste man nie. Der Junge hatte halt auch echt eine böse Klatsche weg, da kann man nicht mehr viel schönreden.

„Wie war's mit Oscar?", fragte sie und mir ging ein Licht auf. „Leander fand ich schöner." Sie lachte, ich erzählte, wir schwiegen und rauchten ein bisschen, es war seltsam, aber auch okay, irgendwie. „Was von Bone gehört?", fragte sie dann. Ich nickte. „Er ruft manchmal an." „Was erzählt er so?" Ich seufzte. „Nur diesen Kram mit den Bildern. Da war wohl eine Drohung auf dem einen Bild hinten drauf. Irgendwer weiß, was irgendjemand gemacht hat. Wir haben nur keinen Plan, was das bedeuten soll. Aber ich glaube, ihm gefällt das irgendwie. Der Junge langweilt sich halt im Knast." Robin nickte. „Verständlich. Jemand wie Bone sollte nicht eingesperrt sein." „Niemand sollte eingesperrt sein", erwiderte ich nur. „Noch nicht mal Serienkiller?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Verbrecher gab es immer, wird es immer geben, was nützen da Gitter? Das ist nur unnatürlich. Töten dagegen nicht." Robin hob die Augenbrauen. „Das ist mal eine Meinung." Ich gab ein fauchendes Geräusch von mir, während ich Luft durch meine Zähne presste.

„Ruf ihn doch an." „Ginger? Sein Handy ist aus." „Gut, dann entspann dich erstmal." Auf einmal sah sie aufgebracht aus. „Hast du dich entspannt, als Bone weg war?" Touché. Ich sagte nichts. Es wurde dunkel und wir gingen noch was trinken in einer kleinen Eckkneipe, wir schwiegen viel und das fand ich angenehm. Ich wusste gar nicht, dass Robin so gut schweigen konnte und auf einmal hätte ich nicht viel dagegen, mehr mit ihr zu unternehmen. Ohne zu reden halt. Einfach nebeneinander ein bisschen sein. Ich brachte sie noch zur Bahn und sah an ihrem Blick, dass sie Mitleid hatte. Das konnte ich ja gar nicht ab.

„Du kannst auch bei mir übernachten", sagte sie zögerlich. Ich lehnte ab, auch wenn ich wirklich nicht wusste, wo ich hinsollte. Aber so intim musste das jetzt auch wieder nicht werden. Wortlos gab sie mir ihren Schal. „Wird kalt heute", sagte sie. „Hör auf damit, Robin, behalt deinen Kram bitte für dich." Sie zuckte mit den Schultern und lies ihn einfach auf den Boden fallen. „Es ist Februar, Sunny. Es werden minus fünf Grad, und ich habe auch mal auf der Straße gelebt. Tu nicht so hart, einen Schnupfen wirst du dir eh holen." Sie stieg in die Bahn und ich stand noch eine Weile unschlüssig herum. Irgendwann hob ich den blöden Schal auf, denn wo sie recht hatte, hatte sie recht.

Ich kaufte mir einen Glühwein und setzte mich wieder ans Wasser, beobachtete die Wellen und die Lichtreflektionen, die einschlafende Stadt und dachte an meine Mutter in ihrer Luxuswohnung. Ich empfand nicht viel für sie, ein bisschen hormonell bedingte Liebe, ein wenig Verachtung, vor allem war da jedoch dieses hohle Gefühl. Sie hatte den Großteil meiner Emotionen bezüglich unserer Mutter-Kind-Beziehung bereits in meinen ersten Lebensjahren abgestumpft, mit ihrem Perfektionismus, ihrer Rationalität, ihrer Kälte und dieser überschäumenden Begeisterung für mein Äußeres. Sie sah immer nur meine Hülle, die Makellosigkeit meiner Haut, die weißen Zähne, und irgendwann wurde ich zu dieser ausgehöhlten, schönen Figur, mit der sie herumspielen konnte.

Der Alkohol verdrängte die Kälte aus meinen Gliedern und lies meine Augen schwer werden. Ich wurde superbetrunken, gut, ich hatte auch nichts gegessen, aber das sollte mir nur recht sein. Der Schlaf kam mir entgegen wie ein alter Freund und ich entglitt der dunkelschwammigen Wirklichkeit.

Vier WeltenWhere stories live. Discover now