Kater und Vogel

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5 Ginger's Welt

‚Und Sie? Du weicher Mensch, das ist ja lachhaft.'

Der Clown hing kopfüber an der Stange, an der man sich normalerweise festhielt. Ich saß im Bus auf dem Weg zu einer kleinen Party irgendwo am Arsch der Welt, die uns Sunny rausgesucht hatte. „Die Musik ist gut, die Leute nerven, aber es gibt was zu trinken, also kommt gefälligst mit", hatte sie gesagt und mir keine Zeit zum Antworten gelassen. Sunny legt immer auf, wenn man mit ihr telefoniert, einfach so, aus dem Nichts heraus. Jedesmal, wenn sie das tat, schmerzte mein Ego. Früher war ich derjenige gewesen, der die Leute abgewürgt hatte, als würden sie ihm nichts bedeuten. Das wusste ich und der Clown auch. ‚Hör auf mich so zu nennen', schnarrte er. ‚Ich bin du.' Du bist nichts. ‚Also bist du wohl auch nichts.' Punkt für ihn. Ich kniff meine Augen zusammen und starrte durch die dreckige Fensterscheibe ins dunkle Nichts. ‚Vogel, Vogel', sang er, er grinste. Seitdem Robin da war, konnte er nicht mehr damit aufhören, mich mit ihr aufzuziehen. Ich kriegte meine Macken, als ob es nicht genügte, dass ich schon oft genug darüber nachdachte, was ich wollte, oder besser, was ich nicht wollte. ‚Lüg' dich nicht selbst an, Idiot. Du hast schon lange keine Entscheidungskraft mehr darüber, ob du sie willst oder nicht. Und tu nicht so, als würde ich erst jetzt damit beginnen, sie zu erwähnen. Oder besser, als würdest du erst jetzt damit anfangen. Das tust du, seitdem sie dir diese Blicke zugeworfen hat. Seitdem du sie vom Gleis gezogen hast, seitdem sie dir die Wahrheit jeden verdammten Tag gesagt hat, seitdem du sie am Strand - ' Es reicht, verdammt!

Meine Hand ballte sich und ich biss meine Zähne zusammen. Hör auf, zu tun, als wüsstest du wer ich bin und was ich denke oder fühle. ‚Ich weiß es also nicht? Ich habe also keinen Einfluss auf dich, du Verblendeter?' Hattest du nie. ‚Bring mich nicht zum Lachen.' Ich bringe dich irgendwann um. ‚Ich sterbe erst, wenn du stirbst. Hey, tu dir keinen Zwang an.' Ich riss mich von ihm los und stellte meine Musik lauter. Manchmal übertönte sie ihn. Mein Schädel pochte, ich wollte eigentlich nicht dorthin, doch woanders hin wollte ich auch nicht, ich wollte nur schlafen, entgleiten; ‚Du willst sie sehen.' Scheiße, ja, okay, na und? Der Clown schmollte, er mochte es nicht, wenn ich nachgab. Vorallem will ich trinken, sagte ich zu ihm, und da wurde mir bewusst, dass Alkohol jetzt tatsächlich nicht die dümmste Idee war. Wenn ich in der Bar arbeitete, verschwand er ja auch immer. Wodka magst du nicht, was? Ich wurde gehässig und der Clown verdrehte seine nicht greifbaren Augen. Kater, Kater, sang ich, und er stimmte mit ‚Vogel, Vogel' mit ein. Meine Güte, war ich verrückt. Ich erhob mich und stieg aus. Die Luft war klar und kalt, der Bus fuhr weiter und ich war irgendwo im Nirgendwo. Mein Handy vibrierte.

„Wo bist du?", zischte Sunny.

„Wenn ich das wüsste."

„Bist du an der Bushaltestelle?" Sie klang entnervt und ein bisschen betrunken. Im Hintergrund hörte ich Gelächter und dumpfe Musik.

„Jop." „Warte drei Minuten, ich schick jemanden, der dich abholt."

„Warum machst du das nicht?" Doch sie hatte schon aufgelegt.  Ich zündete mir eine Zigarette an, die Dinger schmeckten noch nicht mal, aber selten hat mich etwas so gereizt. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, warum genau ich so Anti gewesen war, damals.

Eine dunkle Gestalt kam auf mich zu und entpuppte sich als ein zierlicher Junge mit erstaunlich sinnlichen Lippen. „Bist du Ginger?", fragte er. Seine Stimme war sanft und weich wie caramel. Seltsamer Typ. Ich nickte nur. Er nannte mir seinen Namen, den ich im selben Moment wieder vergaß. Wir schwiegen kurz, dann wischte ich den Clown endgültig weg und begann ein Gespräch, denn Himmel, ich konnte die verdammten Puppen immer noch tanzen lassen, wenn ich wollte. Und ich konnte. Er lachte laut und lachte viel, wie ein Mädchen, und ich kam mir glatt vor, als würde ich kurz davor stehen, ihn in die Kiste zu kriegen. Er führte mich über eine dunkle Wiese, dann einen kleinen Pfad in einen Wald entlang, wo Girlanden die Bäume verhangen. Irgendwann tauchte ein kleines Gebäude auf, Sofas standen verteilt neben einem Lagerfeuer, auf welchem es sich ein paar Leute bequem gemacht hatten. Sinnliche Lippe führte mich zu einer kleinen Gruppe, stellte mich vor und gab mir ein Bier. Die Gruppe, vielleicht fünf, sechs Personen, nickte mir nur zu. Sunny stand in der Mitte und gestikulierte wild, erzählte irgendwas, lachte laut und sah mal wieder blendend aus. Ihr Blick traf mich und sie hob ihr Kinn, reckte es vor wie ein störrischer Bock und ich tat es ihr nach. Das war unsere Art, uns zu begrüßen. „Robin sitzt am Feuer", sagte sie lediglich und machte eine fahrige Handbewegung. In der anderen hielt sie eine Weinflasche. Ich nickte, schob mich an ihr vorbei und raunte: „Ich halt später nicht dein Engelshaar, wenn du kotzt, Blondie." Sie gab einen fauchenden Laut von sich und schon musste ich lachen. Giftie zu nerven war wie Balsam nach Frustrationen wie dem Clown. Ich schob mich durch die Sofalandschaft, bis ich Robin entdeckte. Sie stand mit dem Rücken zu mir, in einem Gespräch mit einem kleinen, braunhaarigen Mädchen, welches starke Ähnlichkeit mit einer Hausmaus hatte. Wirklich, so ein derartiges Mausegesicht habe ich noch nie gesehen. Der Vogel trug eine von diesen Outdoorjacken, mit denen Mädchen immer verdammt cool und sportlich aussehen, aber die eindeutiges Desinteresse jeglicher Art ausstrahlen. Meines Erachtens nach jedenfalls. Es gefiel mir, sie so zu sehen, als wäre ihr alles egal. Das machte es mir leichter. Manchmal sah sie mich mit so einem intensiven Blick an, in dem hundert ungesagte Dinge lagen, dass ich richtig Angst bekam. Ihre emotionale Art überrollte mich manchmal geradezu.

Ich legte meine Hände an ihre Taille. „Vogel, Vogel", flüsterte ich und sie erschreckte sich so, dass sie ihr Getränk verschüttete. Ich musste kichern wie ein kleiner Junge. Sie fluchte und lachte und schlug gegen meinen Arm, ich muss sagen, das war fast noch besser, als Sunny zur Weißglut zu bringen. „Kackewursthurenhuren", stieß sie aus. In letzter Zeit fluchte sie erstaunlich oft, und vorallem äusserst verwunderliche Sachen. „Du klingst, als hättest du das Tourettesyndrom, Vögelchen. Ich würd aufpassen, dass du nicht in der Klapse landest." Hups, war das jetzt unsensibel? „Vollpfosten", sagte sie und guckte mich böse an.

„Himmel, was ist denn mit deinem Gesicht passiert?", fiepte das Mausmädchen. Na, das ist ja ‚ne ganz Sympathische. „Ich habe jemanden aus dem Feuer gerettet", erwiderte ich betont gelassen, und das war sogar nur halb gelogen. „Wirklich? Verarsch mich bloß nicht, du verarschst mich doch! Er verarscht mich." Anklagend guckte sie erst Robin und dann mich an. Dann lachte sie, stellte sich vor und ich beschloss, sie nicht ausstehen zu können. Doch sie plapperte und plapperte, und egal, was ich sagte, sie fand es irrsinnig witzig, zum schießen! Robin lachte auch, nicht ganz so enthusiastisch zwar, aber trotzdem viel zu viel. Dafür, dass hier nun wirklich nichts lustig war. „Ich brauch noch ein Bier", raunte ich ihr also nach zehn Minuten Mäuschengiggelns zu und wollte mich verdrücken. „Entschuldige mich", hörte ich sie sagen und spürte, wie sie nach meiner Hand griff. Ihr Lächeln war groß und ehrlich. „Na", sagte sie, „Na", sagte ich, verdammt, in diesem Moment war sie die Schönste von allen. Wir holten uns ein Bier und trafen auf Sunny. „Leute, leute, ich habe Freunde gefunden", kicherte sie und tippte gegen Robins Nase. „Süße Freunde, ganz hinreißend. Nicht so nervig wie ihr", dann lachte sie. „Spaß, alles nur Spaß." „Ist da jemand betrunken?", fragte Robin und zog Sunnys Hand aus ihrem Gesicht. „Nein. Ja. Leander", tönte diese daraufhin und zog einen Jungen am Arm zu uns. „Das sind meine Freunde, die Spinner. Spinner, das ist Leander." Großartiges Mädchen.

Leander starrte uns an und klopfte mir dann herzlich auf die Schulter. „Hey, schön euch kennen zu lernen. Ich heiße übrigens Oscar, aber Leander soll mir auch recht sein." Sunny sah ihn kurz entsetzt an, dann machte sie eine wegwerfende Handbewegung. „Verdammt, tut mir das Leid. Also, naja." „Du kennst deine Freunde ja gut, Blondie", bemerkte ich und grinste Oscar alias Leander zu. Wir setzten uns, Blondie rauschte beleidigt davon, kam aber keine zwei Minuten später wieder, um Oscar um ein paar Kippen anzubetteln, welche er ihr bereitwillig gab. Während Robin sich über Sunny halb tot lachte, beobachtete ich den Jungen aus den Augenwinkeln.

Er war hübsch, irgendwie. Schmale Augen, ein breiter Nasenrücken und großartige Kieferknochen. Und starrte Sunny an, als wäre sie eine Göttin. „Ich denke nicht, dass du sie flachlegen kannst", sagte ich schließlich trocken.

Er guckte schelmisch. „Ach, ich denke schon. Oder willst du?" Solche Gespräche hatte ich früher ständig geführt. Immer und immer wieder, als wären Mädchen Gartenmöbel oder Mietwagen. Ich zuckte mit den Schultern. „Nein, Mann." „Du und die andere, ist das deine Freundin?" Ich zuckte wieder mit den Schultern. „Ich denke einfach, dass du an Blondie nicht rankommst. Und ich würd's dir auch nicht raten. Esseidenn, du magst sie." „Bist du ihr Bruder, oder was?" Oscar sah mich gereizt an, musste aber grinsen. Bestimmt war er irgendwie nett. Nur heute nicht, ich verstand das. „Mach was du willst. Auf die muss keiner aufpassen." Doch Sunny sprang auf, legte sich volle Kanone hin und widerlegte mein Argument mit offensichtlichen Tatsachen. „Oder doch?", fragte Oscar mit einem Blitzen in den Augen, bevor er zu ihr lief und ihr aufhalf. Robin drehte sich zu mir um und grinste. „Warum bist du noch nicht so betrunken?", fragte ich und ihr Grinsen wurde breiter. „Willst du etwa auf Kuhjagt mit mir gehen?" „Touché!" Wir lachten, keiner verstand es, es war grandios. Sie stand auf und zog mich mit, wir tranken, ein, zwei, na gut, vielleicht vier Shots, und dann gingen wir tanzen. „Du siehst aus wie ein Affe", brüllte sie mir zu, „Und du wie eine Giraffe!", brüllte ich zurück. Sah sie wirklich. Sie stelzte herum und zuckte unrhytmisch, ich sprang durch die Gegend und konnte ihren Vergleich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen. Ich war ein großartiger Tänzer. Ich packte ihre Arme und wirbelte sie herum, bis wir, verschnörkelt und zugegebenermaßen etwas betrunken, gegen die Wände des kleinen Raumes prallten. Wir – oder ich – rutschten aus, ich fiel weich, sie nicht. Logisch, ich lag ja auch auf ihr drauf. In Filmen ist sowas immer andersherum. Tja, dumm gelaufen. „Verrückter", brabbelte sie.

„Affengiraffen machen sowas nun mal", gab ich zurück. Ich half ihr hoch, kniff die Augen zu wie ein Volldepp, und küsste sie, mir fiel es schwer, jedes Mal aufs Neue, ich brauchte Mut wie zehn Löwen. Selbst mit geschlossenen Augen sah ich den Clown hämisch grinsen. ‚Und was machst du, wenn du sie liebst?' Affengiraffen, antwortete ich ihm. ‚Im Argumentieren wirst du auch immer schlechter.' Affengiraffen, Kackefurz. ‚Du bist betrunken. Richtig knalledicht.' Affengiraffen.


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