Auch als die Aufgabenzettel verteilt werden, erinnere ich mich immer noch an kaum etwas. 
So gut wie möglich  mache ich das, was ich glaube noch zu können. Doch bei der Hälfte der Aufgaben habe ich keine Ahnung was zu tun ist, schreibe also auf gut Glück mögliche Rechnungen hin. Vielleicht kriege ich ja wenigstens ein paar Punkte dafür, hoffe ich.
Als erster gebe ich ab. Was soll ich auch weiter rum grübeln, wenn ich doch sowieso niemals auf die Antworten komme.

Verdutzt sieht meine Lehrerin mich an, als ich meine Tasche nehme, um den Raum zu verlassen. Mit leiser Stimme, hält sie mich auf. "Sind Sie sicher, dass sie fertig sind? Wollen Sie nicht noch einmal nachsehen?" Seufzend verneine ich, während ich gehe. Vermutlich dachte sie, ich hätte Aufgaben übersehen, wenn ich nur so wenig geschrieben habe. Natürlich, sie kennt mich ja ganz anders.

Im Stufenraum sitzen erst wenige aus den anderen Kursen. Alle unterhalten sich aufgeregt über die Klausuren und natürlich werde auch ich gefragt, wie es denn war. Kurz erkläre ich, dass ich einen totalen Blackout hatte, wofür ich von Rachel und Dylan einen mitleidigen Blick ernte.

"Naja nimms nicht so ernst, Jimmy. Jeder verkackt mal eine Arbeit, das kann man alles wieder ausgleichen," versucht Noah mich aufzumuntern. Dass das gar nicht mein Problem ist, sondern eher die Reaktion meiner Eltern, gebe ich nicht bekannt. Muss ja nicht jeder wissen.

Auch im weiteren verlauf des Tages scheint alles nur erdenkliche schief zu gehen. In Sport kriege ich den Fußball direkt ins Gesicht, woraufhin Blut, den Niagarafällen ähnlich, aus meiner Nase strömt. Dann brauche ich noch Ewigkeiten in der Umkleide, um mein Handy wiederzufinden, welches lediglich unten in meinem Rucksack lag, weshalb ich zu spät komme und meinen Bus verpasse. Und natürlich fängt es auch noch an zu regnen, als ich mich zu Fuß auf den Heimweg mache. Wie sollte es auch anders sein, darf ich mir dann noch von meiner Mutter anhören, dass ich doch direkt nach der Schule nach Hause kommen sollte. Mich erklären, darf ich natürlich nicht. Schweigend setze ich mich an den bereits gedeckten Tisch. 

So schnell wie möglich leere ich meinen Teller und könnte den durchdrehen, als meine Eltern scheinbar ewig brauchen um fertig zu bleiben. Aber natürlich beherrsche ich mich und warte, bis auch sie beiden aufgegessen haben, bevor ich mein Geschirr weg räume und im Zimmer verschwinde.

Da ich sowieso nichts anderes zu tun habe, setzte ich mich an meine Schulsachen. Doch auch dies beschäftigt mich nicht all zu lange. Also geselle ich mich wohl oder übel um 20 Uhr zu meinen Eltern, in der Hoffnung, dass sie vergessen haben, dass ich eigentlich auch Fernsehverbot habe. Aber natürlich ist dies nicht der Fall. Gerade als ich mich auf die Couch setzen möchte, weist mein Vater mich daraufhin und schickt mich wieder heraus.

Super. Soll ich jetzt etwa einfach den ganzen Abend lang in meinem Zimmer sitzen und nichts tun? Ohne Handy, Laptop, Fernseher oder raus zu gehen, bleibt mir ja nichts mehr übrig. Seufzend sehe ich durch meine Regale und Schubladen, in der Hoffnung irgendwas interessantes zu finden. Und als ich gerade aufgeben will, finde ich meinen alten Nintendo wieder. Besser als nichts, denke ich mir, und schalte ihn an. Mario Kart steckt noch drin, weshalb ich dies dann einfach spiele.

Einige Stunden lang spiele ich meine ganze Sammlung durch, bis meine Mutter hereinkommt und verlangt, dass ich endlich schlafe. Sind wir jetzt etwas zehn Jahre in der Zeit zurück gereist, wo noch kontrolliert wurde, wann und ob ich schlafen gehe? Am besten liest sie mir noch eine Geschichte vor. Damit sie nicht weiter nervt, lege ich den Nintendo weg und sage ihr, dass ich mich sofort fertig machen würde. Zufrieden verlässt sie mein Zimmer. 

Seufzend suche ich meinen Schlafanzug auf dem Boden zusammen, bis ich inne halte. Wie absurd ist das ganze hier?
Ich bin 17 und lasse ich von meinen Eltern herum kommandieren wie ein kleines Kind. Bald bin ich volljährig und kann tun und lassen was ich will und so sollten sie mich auch behandeln. Mein ganzes Leben schon, lasse ich mir vorschreiben was ich zu tun und zu lassen habe. Sie haben entschieden, welchen Abschluss ich mache. Dass ich auf die Universität gehen werde. In welchen Badminton Verein ich sollte und welches Instrument ich lerne. Sie haben mir mein Handy ausgesucht und vorgeschrieben wie meine Schulnoten zu sein haben.
Alles was ich getan habe, haben sie bestimmt. Aber ab sofort nicht mehr. Ich lasse mich nicht länger herumschubsen.

Wie die Nacht zum Tag wurdeWhere stories live. Discover now