Viertes Kapitel

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Viertes Kapitel
Spritzer in den Mund
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Das Spiel ist dynamischer, als ich anfangs angenommen habe.

Ich meine, wenn jemand sagt, dass er in einer Mannschaft hobbymäßig Basketball spielt, dann erwartet man doch nicht Bewegungen á là Michael Jordan, oder?

Jedenfalls ist das genau das, was ich nicht erwartet habe. Ich muss mich um einiges mehr konzentrieren, als anfangs angenommen, denn der Basketball rauscht so schnell an mir vorbei, dass ich Mühe habe, mit dem hinterherschauen. Bislang haben wir schon eine halbe Stunde gespielt, wir sind genau in der Hälfte. Bereits zweimal habe ich um mein Augenlicht gezittert, denn die Jungs und Mädchen auf dem Spielfeld stehen sich wirklich um nichts nach und scheuen auch nicht davor zurück, sich ernsthaft gegenseitig zu verletzen. Ein Spieler sitzt nämlich schon mit einer wahrscheinlich gebrochenen Nase neben mir am Rand und hält sich ein notdürftiges Cool-Pack auf die Nase.

»Kommt schon!«, höre ich Merle ganz laut schreien. Jules, dessen verschwitzte Haare ihm in die Stirn hängen, schaut zu ihr und zwinkert. Keine Ahnung, ob sie das sieht, aber ich sehe es genau. Irgendwie ist es merkwürdig, zuzusehen, wie sich die beste Freundin in einen Kerl verliebt und er voll drauf einsteigt, während man selbst keine Ahnung von Liebe hat.

»Hallo?! Schiedsrichter?!«

Von diesem Gebrüll werde ich aus den Gedanken gerissen. Ich sehe auf — und erblicke einen Tumult, der sich um den Ball gebildet hat. Na wunderbar. Kontaktsport in aller Ehre, aber ich habe keine Lust auf eine Schlägerei. Deswegen verlasse ich meinen Beobachtungsposten und nähere mich der Menschenmenge.

»Was ist hier los?«, rufe ich, doch die Jungs, die sich aufeinander geworfen haben, lösen sich nicht von einander. Im Gegenteil, mein Rufen geht in der Menge völlig unter.

»Hallo?«, rufe ich noch einmal, dann schubse ich einen der Typen zur Seite. Ein Gerangel um den Ball, wie immer, was taktisch gesehen unklug sind. Denn auch, wenn man sich um den Ball streitet, gilt noch immer die Schrittfolge, weshalb ich in meine Trillerpfeife blase.

Der schrille Ton lässt ein paar der Kerle einfrieren. Zwei Mädchen entfernen sich, vermutlich zum eigenen Selbstschutz, während zwei andere Typen mich komisch mustern.

»Was zum Teufel—«, beginne ich, dann sehe ich endlich, wer unter dem ganzen Menschenhaufen und all den verschieden zugehörigen Extremitäten liegt. Es sind Oliver und Levin, die sich um den Ball streiten. Keiner will nachgeben. Sobald Oliver denkt, er hätte den Ball, zieht Levin wieder fester an und reißt ihn an sich.

»Schrittfolge«, rufe ich laut. Levin und Oliver versuchen zwar, sich daran zu halten, nicht zu viele Schritte zu machen, doch zu meinem Verdruss bricht Oliver die Regeln. Deswegen muss es zu einem neuen Einwurf kommen.

»Einwurf«, sage ich ruhig und ziehe Oliver beiseite. Meine Stimme ist so leise, dass nur er sie hört. »Was sollte das denn?«

Er sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Äh... Ich habe versucht, den Ball zu bekommen?« Bist du irgendwie dumm oder warum checkst du das nicht?

Ich schüttle den Kopf. »Du weißt jawohl ganz genau, dass eine solche Angelegenheit immer ein Schrittfehler ist!«

Oliver verdreht die Augen, dann läuft er zurück zu seinem Team. Ich laufe ein wenig an der Außenlinie entlang, um besser sehen zu können, wer wann den Ball hat. Meine Augen verfolgen die Spieler, die Szene ist untermalt von animalischen Anfeuerungen seitens der Zuschauer, doch ich versuche mich zu konzentrieren. Diese Begegnung mit Oliver war komisch. Auf einmal hat er ganz anders gewirkt...

Fetzen zwischen Gas und Bremse Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt