3. François.

188 10 0
                                    

Carrick P.o.V
(Zeitgleich zu Kapitel 2)

Wieder eine Nacht ohne Schlaf. Die Sache mit Shorty und danach noch die Besprechung hat mir jede Minute der Nacht geraubt. Angepisst über den Fakt, dass trotzdem nichts dabei rausgekommen ist, halte ich vor der kleinen Schneiderei. "Hallo, Marla." Sage ich, als ich eintrete und meine Jacke ausziehe. Die alte Frau hat natürlich sofort auf dem Schirm, dass ich schlecht drauf bin und dreht sich direkt zur Kaffeemaschine um. "Hallo Carrick. Schön dich zu sehen." Sie deutet auf ein kleines Bastkörbchen, dass schon für mich auf dem großen Thresen bereitsteht und ich verstehe. Schnell und mit geübten Bewegungen entwaffne ich mich und schließe das Körbchen mit meinem Namen weg. Den Schlüssel hat nur Marla.

Die kleine Schneiderei mit der vegetarischen Vampirin ist ein kleiner Ort des Waffenstillstands, in dem jeder seine Kleidung abändern lässt. Marla ist bekannt für ihre Sicherheitskleidung, ihre Holster und ihren unfehlbaren Geschmack. Dementsprechend sieht der Laden teuer und ein wenig schnöselig aus, mit seinem dunklen Holzboden und den roten Teppichen, die von der Doppeltür, um den Kassenthresen herum zwei Treppen hinauf in die Ankleidekabinen führen. Die Fenster sind mit schweren roten Gardinen verhängt, die zu denen der Umkleiden passen. Überall wurde beim Einrichten mit Goldelementen gearbeitet, was dem ganzen Laden einen ziemlichen Roten-Teppich-Look der vierziger Jahre verlieht. Trotz des verwinkelten Grundrisses des kleinen Ladens, wird Symmetrie durch viele Spiegel geschaffen, was die Schneiderei gleichzeitig auch noch größer wirken lässt.

Keine Gruppe unserer Stadt könnte auf Marla und ihre Künste verzichten. Das hier ist der einzige Ort, an dem ich neben François sitzen kann, ohne ihn gleich umbringen. Wir beide befinden uns weiter hinten im Laden und schlürfen Kaffees, während wir ganz ruhig darauf warten, von Marla beraten und eingekleidet zu werden. Der weißhaarige Vampir meines Alters neben mir behandelt mich wie Luft und ich tue es ihm gleich. Wegen ihm zieren drei große Narben meinen Rücken und ihm fehlt ein Stück seines Ohres, wegen mir. "Carrick." Marla steckt ihren Kopf aus einer Kabine und ich folge ihr. Sofort umgibt mich der Geruch von Desinfektionsmitteln und der alten Dame vor mir. Ich entledige mich meines Hemdes und breite die Arme aus, sodass sie meine neuen Hemden überstreifen und wenn nötig neu abstecken kann. Sie ist eine der wenigen, die meine Tatoos und Narben aufs Genaueste kennt. Ich zeige mich nicht gern und die besondere Frau in meinem Leben habe ich, zum Glück, noch nicht gefunden.

Zu meiner Befriedigung passen mir alle Hemden und ich kann früher gehen. Gerade als ich meinen Mantel wieder übergeworfen habe und zur Kasse möchte, taucht François von hinten auf und lehnt sich an eine Wand "Carrick?" Mein Blick und meine Aufmerksamkeit liegt sowieso schon bei ihm, aber ich nicke noch einmal zur Bestätigung. "Heute Nacht hast du einen jungen Vampir getötet." Wehe er gehörte doch zu dir. Ich schlucke und nicke erneut. "Weist du, ob er zu irgendeiner Gruppe gehört?" Meine Anspannung fällt sofort weg. Ein kleiner Teil meines Geistes hatte schon befürchtet, dass mich der Junge in noch tiefere Schwierigkeiten zieht. "Ein Mädchen hat gesagt, dass er zu niemandem gehörte." Ich zücke mein Geld und bezahle bar. Marla sagt kein Wort, scheint aber genauso angespannt, wie das Gespräch zwischen dem Vampir und mir. Auch wenn das hier neutraler Boden ist, reicht eine kleine Provokation zwischen uns beiden aus, um ein Blutbad zu starten.

Gerade als ich denke, das Gespräch ist zu ende, erhebt François erneut die Stimme:"Ich gebe dir meine Handynummer." Ich nicke geistesabwesend, während Marla mir beim Eintüten meines neuen Sakkos hilft. Moment. Was?!

Mein Kopf schnellt hoch. Mit hochgezogenen Augenbrauen starre ich den Vampir an. Er kommt lässig, aber vorsichtig auf mich zu und bittet Marla um Zettel und Stift. "Warum?" Kommt es von mir. "Falls so etwas nochmal vorkommt. Irgendwas läuft falsch. Und ein fremdes Vampirnest in Dever können wir uns beide nicht leisten." Oh. Oh. "Wie viele Vorfälle gab es schon?" sage ich leise und starre in den Rücken meines eigentlichen Erzfeindes. "Fünf, die zu hundert Prozent bestätigt sind. Ein paar weitere, aus unzuverlässigen Quellen." "Ah." sage ich nur darauf.

Das sind viele. Mist. Ich kann echt keine instinktgesteuerten Vampir-Marionetten gebrauchen. Nicht, solange ich so viele Jungwölfe im Rudel habe.

Ich nicke, als Zeichen, dass ich verstanden habe und nehme den Zettel vom Tresen. Marla schaut mich prüfend an, scheint aber mit meiner Reaktion zufrieden zu sein. Sie drückt mir die Quittung in die Hand. Ich warte bis François wieder nach hinten verschwunden ist, bevor ich meine Waffen an mich nehme. Verwirrt speichere ich die Nummer des Vampirs in mein Handy und werfe den Zettel noch in der Schneiderei weg.

Jetzt muss ich erstmal darüber nachdenken, was gerade passiert ist.

Anstatt direkt in meinen GMC-Pickup zu steigen, beschließe ich, mir Mittagessen im kleinen Deli um die Ecke zu kaufen und eine Runde durch meinen Teil der Stadt zu gehen. Mit einem leckeren Wrap in der Hand spaziere ich an diesem doch ganz schönen Tag durch die Innenstadt und versuche mich an ähnliche Vampir-Vorfälle zu erinnern. Und tatsächlich hatten zwei bis drei Auseinandersetzungen des letzten halben Jahres keine Reaktion des Vampirnester im Ukreis von Dever ausgelöst. Ich schreibe Isaac eine SMS, dass er die Akten durchschauen soll und wir beide das heute Abend nochmal durchkauen.

Was soll ich davon bloss halten? Jungvampire sind sehr stark, aber vollkommen Stimmungsabhängig. Manche Menschen, besonders Teenager, bemerken ihren beginnenden Vampirismus erst gar nicht, weil sie die Hormonschübe und körperlichen Veränderungen auf ihr Wachstum und ihre Lebensphase schieben... Zumindest bis sie ihr erstes Opfer zwischen den Zähnen haben.

Gerade als ich durch die etwas abgelegenen Gassen von Dever streiche und meinen Wrap vollends weggemampft habe, steigt mir ein unvergleichbarer Geruch in die Nase. Völlig perplex bleibe ich stehen und zeihe die Augenbrauen zusammen. Es riecht süß und... sanft? Sofort hat es eine beruhigende Wirkung auf mich und alle meine Sorgen rücken in den Hintergrund. Wie von selbst tragen mich meine Füße in Richtung des altmodischen Motels, das nicht weit vom Highway entfernt liegt. Was ist das?! Eine Droge? Ich will mehr davon, Verdammt!

Kurz muss ich meine Augen schließen. Und da wird mir bewusst, wie sehr mein Körper auf den... Duft reagiert: Mein Herz wummert heftig und mein Puls schickt kochendes Blut viel zu schnell durch meinen Körper. Meine Hände werden schwitzig und ich spüre, wie mein erhitztes Blut in bestimmte Körperregionen fliesst, wo es definitiv nicht hinsoll. Ich schnappe nach Luft und reiße meine Augen auf. Ich muss hier weg! Jetzt!

Ich drehe mich um hundertachtzig Grad und haste schweren Herzens wieder zurück in die Innenstadt.

Geh zurück, du Idiot! Schreit mein Unterbewusstsein mich an, aber ich kann mich am Riemen reißen. Völlig geschafft lasse ich mich in die Ledersitze meines Pickups fallen. Ein paar Minuten verweile ich einfach so, bevor ich irgendwie meine Beherrschung wieder finde und mich auf den Weg nach Hause mache. Isaac kann mir vielleicht schon Infos über die Vampire geben und vielleicht kennt er sich ja mit dieser ... Geruchsanomalie... aus.

White WolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt