V1. Vermissen

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Sie rannte. Sie rannte so schnell sie konnte. Immer und immer weiter. Durch den langen Flur. Eine Rechtskurve. Dann nach links. Sie schaute nach hinten. Ihr Verfolger war dicht hinter ihr. Sie bewegte ihre Beine so schnell sie nur konnte, versuchte nicht zu stolpern. Doch sie schrie nicht. Sie lachte. Sie schaute nochmal nach hinten, betrachtete das Grinsen auf den Lippen ihres Verfolgers. Er war mindestens drei Mal so groß wie sie. Er ließ ihr absichtlich etwas Vorsprung, ging ihr nur mit großen Schritten hinterher. Ihre kurzen Beine trugen sie so schnell sie konnten. Sie wusste, dass ihr Verfolger sie jeden Moment einholen konnte wann er wollte. Er machte sich nur gerade keine besonders große Mühe. „Du kriegst mich nicht!", lachte sie. „Na das wollen wir mal sehen", knurrte ihr Verfolger mit einer bedrohlichen Stimme, jedoch schwang etwas Humor mit. Lachend düste sie um eine Kurve und schaute nochmal nach hinten. „Glaubst du-" Sie blieb abrupt stehen. Da war eine graue Wand – nur ein paar Zentimeter von ihrer Nasenspitze entfernt. Sie drehte sich langsam um. Hinter ihr stand ihr Verfolger und schaute sie mit einem Grinsen von oben herab an. „Sackgasse", meinte er und das Grinsen wurde breiter, sodass seine silbernen Zähne zum Vorschein kamen. Er verschränkte die Arme und hob die eine nichtvorhandene Augenbraue. „Ach bitte Daddy... Nur noch zehn Minuten!" „Nein – nach zehn Minuten heißt es doch wieder nur nochmal „noch zehn Minuten" – hab ich recht?" Jetzt verschränkte sie die Arme und schaute ihrem Vater mit dem Hundeblick in die Augen. „Biiitteeee..." Er schüttelte den Kopf. „Och manno!" Er lachte und bückte sich zu ihr runter. Bald saß sie in seinen Armen. Er spürte wie die Kleine ihren Kopf auf seine Schulter legte und leise gähnte. „Doch müde?" „Nö!", meinte sie schnell und war sofort wieder hellwach. Er schüttelte nur lächelnd den Kopf und trug sie in ihre Wohnung, wo er sie in ein kleines Zimmer brachte und sie auf ein kleines Bett setzte. „Ich will aber noch nicht ins Bett!" Er ignorierte ihren Protest und strich ihr durch die haselnussbraunen Haare. „Geh dich umziehen, Charly..." Sie legte den Kopf schief. Sein Humor, der vor ein paar Minuten noch vorhanden war, war plötzlich wie weggeblasen. Das war im Moment öfters so. Immer wenn er seine Tochter genauer betrachtete, schien seine gute Laune zu verschwinden. Charly wusste auch warum, doch sie wollte es nicht aussprechen, aus Angst ihn noch trauriger zu machen.

Er starrte die Decke an. Das weiche Bett unter ihm fühlte sich so hart an. Er war alleine. Und er hasste es. Seitdem seine kleine Tochter auf der Welt war, hatte sich so viel verändert. Er trug eine große Verantwortung und es machte ihm langsam zu schaffen. Er liebte sie über alles, daran war nicht zu zweifeln, immerhin war sie zusammen mit Harley die einzige Familie, die er hatte. Doch normalerweise teilte er diese Verantwortung mit jemandem. Er drehte sich zum leeren Platz neben ihm. Seit fast einem ganzen Jahr war er nun leer. Er schaute die zwei Bilder an der Wand dahinter an. Sie in ihrem wunderschönen weißen Kleid mit den roten und blauen Details, ihre Lippen zu einem Grinsen geformt. Daneben ein Bild von ihr und ihrer kleinen, neugeborenen Tochter im Arm. Sie sah geschafft aus und doch lächelte sie und strahlte alle Freude der Welt aus. Wie gerne würde er dieses Lächeln endlich wiedersehen. Plötzlich hörte er wie die Tür geöffnet wurde. „Daddy?", meinte eine piepsige Stimme, „Ich kann nicht einschlafen..." Er setzte sich auf und blickte seiner Tochter in die tiefblauen Augen, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Sie kam langsam auf das große Bett zu, ihre Plüschkatze unterm Arm. „Du auch nicht, oder?" Er lächelte und schüttelte den Kopf. Sie hüpfte auf das Bett, kam auf ihn zu gekrochen und schlang ihre Arme um seinen Bauch. Er lächelte und strich ihr durch die Haare. „Wegen Mommy, oder?" Er antwortete nicht. Seine nackte Brust hob und senkte sich. Er starrte geradeaus. Plötzlich spürte er eine kleine Hand an seiner Wange. Er schaute nach unten, wo seine Tochter ihn mit Tränen in den Augen anschaute. „Ich vermisse sie, Daddy..." „Ich weiß, Süße... ich auch..." Er zog Charly enger an sich und legte sich, mit ihr auf seiner Brust, wieder zurück. „Glaubst du, sie wird jemals wieder zurückkommen?", murmelte sie an seinem Ohr. „Ja, das wird sie. Ich werde sie zurückholen, Süße...", er spürte wie seine Tochter mit einem Finger über das HQ<3 Tattoo hinter seinem Ohr strich, „Ich muss aber erst wissen wo sie ist..."

So, bitte schön. Gute Nacht. Träumt was Schönes. Ich hoffe ihr mögt die Idee mit der Story und den Aufbau mit der Vorgeschichte.

Joke's on you - Abgebrochen Where stories live. Discover now