29.

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Im Leben geht es nicht immer darum, das zu bekommen, was man sich wünscht. Im Leben muss man vor allem Niederlagen einstecken und sich an dem hochkämpfen, was einen stark macht.
Jedenfalls interpretiere ich so das Abbild einer versunkenen Jacht mit den Menschen und den weißen Flaggen als Gemälde an der Wand, rusktikal verziehrt mit einem dicken Holzrahmen vor mir.

Erbärmlich, Blair. Wirklich erbärmlich.
Ich sitze auf dem Barhocker irgendeiner herunterkommenden Kneipe, in die Alex mich geschleppt hat und kippe mir bereits die dritte Margarita in die Kehle.
Und es brennt höllisch, aber inzwischen ist meine Zunge so taub, dass ich davon kaum etwas merke und einfach nur noch trinke und trinke.

Alex hat sich zu einer Gruppe zwielichter Typen gesetzt und versucht von jedem einzelnen die Nummer zu klären, weil wir drum gewettet haben.
...Na schön. Eigentlich hat nur Alex mit sich selbst gewettet und ich hatte keine Chance, sie davon abzubringen, aber um ehrlich zu sein, habe ich es auch nicht versucht. Sie genießt die Aufmerksamkeit der Männer und das empfinde ich als noch stärker, seitdem sie sich mit Phil trifft.
Apropo: Haben die beiden nicht was am Laufen? Warum schmeisst sie sich dann noch an andere Kerle ran?

Ich schnaufe abfällig.
Wieso denke ich noch darüber nach?
Meine Generation ist voll von modernen Beziehungen, ohne Kompromisse oder Grenzen. Jeder zieht sein eigenes Ding durch, denkt egoistisch in jeder Hinsicht und spuckt dabei auf die Gefühle des anderen. Wo sind die Zeiten hin, wo es noch romantisch war, mit einer einzigen Person ein Verhältnis zu haben und sich dabei um Einengungsängste keine Sorgen machen musste, weil man wusste, dass diese eine Person die richtige Person ist? Die Person fürs Leben, die man mehr liebt als alles andere und eine, die reicht.
Eine Person, die einfach reicht.
Seit wann ist dieser Gedanke nicht mehr gegenwärtig oder modern?
Seit wann ist das Wort Liebe so hinfällig und oberflächlich geworden?

Seit wann denke ich, wie ein scheiß Poet?
Alkohol macht mich emotional.

Der Barkeeper sieht mich schief an, während er mit einem roten Lappen über die Theke wischt.
Bei jedem neuen Drink hat er bloß die Augenbrauen in die Höhe gezogen und mir wortlos eingeschenkt.
Mir solls recht sein. Ich kann jetzt keine Moralpredigt über meinen Alkoholkonsum ertragen. Und solange er dran verdient, soll er die Klappe halten.
Ich hab mein Gesicht in die Hände gestützt und starre ins Glas. Schon seit einanhalb Stunden kämpfe ich mit den Tränen. Jason hat sich nicht gemeldet. Und ich bezweifle, dass er noch einmal zurückgekommen ist.
Mir wird schlecht.
Wenn ich jetzt eine Träne vergieße, dann folgt die nächste. Und dann bricht der Damm und ich würde eher sterben als noch eine einzelne Träne an ihn zu vergießen.
Ich hasse ihn. Ich hasse ihn. ICH HASSE IHN!

Irgendwie sind nur sehr wenige Gäste hier, für einen Freitagabend. Der Barkeeper, die Jungs des Tische s und Alex und ich sind die einzigen hier, soweit ich das Richtig sehe.
Das Cocktailglaß kommt mir plötzlich unheimlich tief vor. Ich habe das Gefühl fast hineinzufallen. Ich würde fallen und fallen und fallen und irgendwann in die Margarita tauchen. Alkohol würde in meine Poren und Lungen strömen. Vielleicht würde ich dann gleichgültiger und lustiger drauf sein.
Vielleicht würde das Stechen im Herzen dann endlich aufhören.

Ich werde wütend. Mit zusammengekniffenen Augen greife ich nach dem halbvollem Glas und führe es zum Mund. Obwohl sich mein Körper dagegen wehrt, schaffe ich es den Rest des Glaßes in einem Zug zu leeren, bevor ich das Glaß geräuschvoll auf die Theke absetze.
Ich lecke mir über die Lippen und werfe einen Blick zu Alex. Diese hat mich offenbar völlig ausgeblendet und ist voll und ganz mit ihren Verehrern beschäftigt, die immer wieder versuchen sich an ihrem Ausschnitt zu bedienen.

"Ich mache sowas normalerweise nicht, aber... möchtest du reden?"

Ich mustere den Barkeeper jetzt ein Stückchen genauer. Wieso spricht der mich denn jetzt an?
Er sieht ehrlich gesagt noch ziemlich jung aus. Und dazu auch nicht mal ganz übel. Ungefähr in meinem Alter. Oder älter. Eher älter. Seine braunen Haare haben einen leicht blonden Schimmer und er begutachtet mich durch seine kastanienbraunen Augen forschend hindurch. An seinem Gesicht bildet sich ein leicht angedeuteter Bartwuchs und durch sein eng anliegendes Hemd lässt er seine männlichen Muskeln spielen. Okay, er wackelt jetzt nicht komisch damit herum, aber irgendwie fallen sie mir doch ungewollt ins Auge.

Once upon a fuckboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt