Ich liebe dich, Mama!

312 35 19
                                    

Emil. Emil Boston. So heißt mein Vater. Tief einatmend lehne ich mich im Stuhl zurück, fahre mir durch meine roten Haare. Also doch nicht ... Shanks ist doch nicht mein Vater. Dennoch bleibt die Frage, was er damals in meiner Schule verloren hatte. Oder ob er überhaupt dort war. Ich schließe meine Augen, massiere mir meine Nasenwurzel. Das ganze ist viel komplizierter, als überhaupt angenommen. Vor allem weil ich in so einem strategischen Denken oder was auch immer die Detektive benötigen um einen Fall aufzuklären, einfach nicht habe.
Erschöpft lege ich meinen Kopf in den Nacken und starre die Wand über mir an. Ich weiß nicht weiter. Will ich überhaupt wissen, was damals genau passiert ist? Wenn ich mir alles noch mal durch den Kopf gehen lasse, sieht es einfach so aus, als ob wir zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Mehr nicht. Es war kein gewollter Mord, es war .... ja ein Unfall? Und dennoch bleibt dieses Gefühl, irgendetwas wichtiges übersehen zu haben. Irgendetwas ... nur was. Ich stehe vor einer Sackgasse und weiß einfach nicht weiter. Und wenn ich einfach Shanks frage? Sollte er absolut nichts wissen, kommt es allerdings auch dumm. Vielleicht sollte ich Andeutungen machen. „Ach verdammt...", fluche ich gerade heraus. Mein Kopf tut weh vom vielen Denken.
„Saru?" Die plötzliche Anrede lässt mich erschreckt hochfahren und ungesund vom Stuhl kippen. Mit einem Krachen liege ich am Boden mit einem schmerzenden Kopf und Handgelenken. „Ohje, das wollte ich nicht!" Sanft werde ich an einem Arm genommen und mir wird aufgeholfen. Erst jetzt realisiere ich die Person richtig neben mir. Es ist die Nachbarin... wie heißt sie noch gleich? „Wie haben Sie mich erkannt ...", sage ich eher leise als normal und mustere sie etwas skeptisch. Damals hatten mich alle nur noch gemieden, sogar hasserfüllt angeschaut. Doch sie sieht mich freundlich, ja fast erleichtert an. „Deine Haare gibt es nicht so oft! Und außerdem hast du schließlich nach einer längst vergangenen Akte gefragt." Ich nicke langsam, während sie mich mustert. „Du musst es schwer gehabt haben in der letzten Zeit. Deine Mutter hat jeden Tag nach dir gefragt, seitdem sie ... seitdem ihr Abschied nehmen musstet. Selbst jetzt noch ... hast du sie schon besucht?" Benommen schüttele ich den Kopf. „Sie ... fragt nach mir?" Die Frau vor mir nickt. „Ja! Sie macht sich Sorgen und hat furchtbare Gewissensbisse! Ich fahre morgen zu ihr, willst du nicht mit?" Ich blinzele, realisiere erst später, was das überhaupt bedeutet, während sie sich als 'Becca' vorstellt, mich aus den Raum schiebt und dann zu sich nach Hause bringt.
Sie fragt mich etwas aus, erkundigt sich nach den letzten Jahren und hört offenbar sehr gerne, dass ich in meiner aktuellen Schule endlich Freunde gefunden hatte. Auch erzählt sie etwas von sich und meiner Mum. Sie seien in den letzten Jahren sehr enge Freunde geworden. Mum hat sich erholt, dennoch blieb sie in der Anstalt. Sie ist krank und schwach geworden, lebt nur noch durch eine Art Schleier. An manchen Tagen ist sie gar nicht ansprechbar. Ich höre mitgenommen zu. Es tut weh so etwas zu hören, vor allem, weil ich all die Jahre nicht an meine Mutter gedacht hatte. Ich dachte, sie hat mich im Stich gelassen. Jetzt zu hören, dass eben das Gegenteil der Fall ist, nur ihr die Hände gebunden sind, lässt völlig neue Gefühle in mir entstehen.

Die Nacht durfte ich bei Becca schlafen und am nächsten Morgen geht es sehr früh los, um gegen Mittag pünktlich bei meiner Mutter zu sein. Die Schule ist dann in der Nähe... also kann ich mich nachts wieder ungesehen auf das Gelände schleichen und alles wird gut. Wenn ich soweit komme. Denn weiter als bis zu dem Besuch denke ich momentan nicht. Ich bin viel zu aufgeregt, weiß nicht, was ich fühlen, denken oder gar sagen soll. Ich sehe seit all den Jahren endlich wieder meine Mutter. Meine Mum. Meine Mama.
Mit klopfenden Herzen laufe ich neben Becca den langen Flur der Anstalt entlang. Es hat geheißen, dass Frau Dragonia sich in den Wintergarten gesetzt hat. Und eben diesen betreten wir jetzt. Unter einer Glaskuppel befinden sich viele Sitzmöglichkeiten und Pflanzen, ein kleiner Brunnen in der Mitte des Raumes ist auch vorhanden. Es ist wunderschön, sogar ein paar Vögel zwitschert und dabei schneit es draußen. Es ist angenehm warm und das Licht fast so schön, wie die Sonne selbst. Während ich überwältigend einfach im Eingang stehen geblieben bin, hat sich Becca schon bewegt und läuft zum Brunnen. Darum stehen viele Sofas und genau auf einem sitzt eine schon ältere Frau mit grau-weißen Haaren. Sie ist wirklich abgemagert, wirkt kränklich. Ihr Blick ist nach draußen gerichtet, erst als Becca sie anspricht, sieht sie zu ihrer Freundin. Sie trägt weiß. Eine einfache weiße Hose mit einem einfachen weißen Shirt. Und dennoch, trotz dieses typisch kranken Erscheinungsbild eines typischen Patienten hier strahlt sie noch etwas anderes aus. Ist es einfach durch ihre Aura? Hat sie noch nicht aufgegeben? Oder bilde ich mir das alles ein ...
Ich weiß nur, dass ich mich nicht traue. Jetzt wo ich m eine Mutter sehe – und ich bin mir zu hundert Prozent sicher, dass das meine Mum ist – werde ich unsicher. Doch Becca lässt mir keine Zeit. Sie dreht sich um, deutet sehr deutlich auf mich und als sich meine Mum dreht und mich erkennt, hört man einen deutlichen erschrockenen und unterdrückten Schrei. Ihre Hände wandern zu ihrem Mund, versuchen die Geräusche zu unterdrücken, während sie sich in Bewegung setzt und versucht, mir Näher zu kommen.
Ich derweil bin überwältigt von ihren vor Glück und Freude triefenden Augen. Und dann bewege ich mich wie von alleine und schließe meine Mama schlussendlich in eine tränenreiche Umarmung. Sie klammert sich regelrecht an mich, vergräbt ihr Gesicht in meine roten Haare und schluchst los. „Meine kleine Saru! Meine Saru! Es tut mir so leid!" Zwischen den Wörtern holt sie immer tief Luft, bibbert, zittert und weint. Ich schüttele langsam den Kopf, versuche anfangs die Tränen zurückzuhalten, doch irgendwann geht es einfach nicht mehr. All die Jahre. All diese einsamen Jahre. Und jetzt ... bin ich endlich wieder zu Hause bei meiner Mama. „Ich liebe dich, Mama!"


Mein Chaos, mein Leben & eine neue Schule [One Piece]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt