4 - Meinungsverschiedenheiten

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Kapitel 4

Es gibt dieses peinliche Schweigen. Das, bei dem man nicht weiß, was man sagen oder tun soll. Es gibt jedoch aus diese andere Art von Stille zwischen zwei Menschen. Diese, die keine Worte braucht.

Da saß ich nun. Die Wangen von Tränen verklebt, das Gesicht fest an seine Schulter gedrückt. Zehn Minuten zuvor hätte ich ihn noch als kompletten Vollidioten betitelt. Gut, er war ein absoluter Vollidiot, aber er war eben scheinbar der einzige Vollidiot, der mich verstand und nicht hasste. Okay, außerdem buk er mir nicht jedes Mal Kekse an, wenn wir das Thema anschnitten. Doch Mama, natürlich sind deine Backkünste unglaublich gut!

Alles lief also darauf hinaus, dass wir bis auf weiteres diesem angenehmen Schweigen nachgingen. Pustekuchen. Die Unterbrechung dessen ließ nicht lange auf sich warten.

Eine mir allzu bekannte Stimme rief meinen Namen und wenige Sekunden später stand eine blonde Modepuppe im Stall und sah perfekt overdressed aus. Heute trug Lily ein farblich abgestimmtes Markenset in Pink und wedelte mit der ebenfalls passenden Schabracke in der Luft herum. Sie hustete von den aufgewühlten Staubwolken, dachte aber nicht daran, sich auch nur einen Zentimeter vom Stroh zu entfernen.

"Lily", antwortete ich mehr oder weniger euphorisch und rappelte mich aus dem Stroh auf. "Du bist gesund."

Luke zog mir gemächlich einen Halm aus der zerzausten Frisur und hob spöttisch eine Augenbraue, sagte jedoch nichts zu dem frisch frisierten Mädchen im Gang.

Augenblicklich zog meine Freundin mich in eine feste Umarmung. "Natürlich bin ich das. Ich lasse dich doch nicht alleine deinen Spaß im Viereck haben", scherzte sie und spielte unmissverständlich auf meinen Hang zum Ausreiten und Herumtrödeln an.

"Wo du recht hast", überspielte ich meinen Gedanken daran, dass Training nicht alles war. Training war alles. Ohne Training hatte ich keine Kontrolle. Ohne Kontrolle konnte man nicht Reiten und das wollte ich natürlich nicht. Ich hatte zu trainieren.
Mit einem entschuldigenden Blick in Box 21, aus der der von Lily noch unbemerkte Luke mich stirnrunzelnd musterte, ging ich weiter zu der Box eines schönen Apfelschimmels.
Marengo war ein fünfjähriger Holsteiner. Eigentlich hatte mein Bruder ihn angeritten, doch seit dem Unfall hatte er nicht ein einziges Mal seinen Fuß in einen Steigbügel gesetzt – und ich allein, hatte nun zu verantworten, dass keines unserer Jungpferde seine einst so erstklassige Ausbildung genießen durfte. Also mussten sie mit mir vorlieb nehmen.

...

Marengo drückte empört gegen meine Schulter, als ich den Sattelgurt festzuziehen versuchte. Als ich das Pferd endlich getrenst hatte, schwang ich mich mit einer mehr oder weniger elegant auf den weich polsternden Dressursattel. Der Schimmel grummelte etwas und setzte sich in Bewegung, während ich meinen Helm verschloss.

Nachdem wir uns ein wenig aufgelockert hatten, zog ich den Gurt ein weiteres Mal nach und begann mit einigen einfachen Tempiwechseln. Marengo war demotiviert und miserabel gelaunt. Na super.

In der Stalltür erschienen Lily und ihr Friesenwallach Quentin. Seine sonst schön wallende Lockenmähne war französisch eingeflochten und das dunkle Fell glänzte im herbstlichen Licht. Er sah perfekt aus.

Als sie das Viereck betraten, spannte Marengo sich ein wenig an, ließ nach einer halben Parade aber wieder etwas locker.

Während ich ihn zum erneuten Aufgreifen der Konzentration Stück rückwärts richtete, schien Lily, statt ihr Pferd noch großartig aufzuwärmen, direkt in die Vollen zu gehen.

Cross Canter (pausiert)Where stories live. Discover now