P R O L O G

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Der kleine Wallach weitete aufgeregt die Nüstern, als das leise Schaben des Riegels die eben noch so undurchdringliche Stille zerschnitt. Panisch tänzelte er in die hintere Ecke der dunklen Box, denn der Laut, wenn die Tür nachgab, eröffnete ihm täglich den beängstigenden Alltag und verband seine Welt mit der des Menschen. Vorsicht schob sich eine Silhouette in das Sichtfeld des schwarzbraunen Pferdes. Einen kurzen Moment hob der Dunkle die Vorderhand an, doch eine ihm bekannte Stimme ließ ihn zurückfahren. Der Junge raunte dem Tier einige Worte zu und dieses entspannte sich sichtlich, trotz des rauen Leders, das ihm über den Kopf gezogen wurde. Bereitwillig folgte er seinem besten und einzigem Freund aus dem Stall.

Die Ohren zuckten hin und her, während der Junge, den er schon viel zu lange vermisst hatte, ihm über den dreckverkrusteten Hals fuhr. Ein Keuchen entfuhr dem Jungen.

Erst als die Rampe des Hängers nach unten gelassen wurde und ein, dem Wallach leider nur zu bekannter, breiter Mann aus dem Schatten trat, wurde er aufs neue von Angst gepackt. Ein erschrockener Laut entfuhr ihm und er riss den Kopf in die Höhe.

Ein schneller Wortwechsel unter den beiden und der Mann ergriff den Strick, der Junge lief zögernd hinter den Hänger zum Wagen und stieg ein. Eben noch, war er der festen Überzeugung gewesen, man habe die Kette schlicht vergessen, doch ein heftiger Schmerz, belehrte ihn eines besseren. Ein unangenehmer Druck auf der Nase, hinderte ihn am Davonlaufen.

Gewaltsam schob ihn der Kerl die steile Rampe hinauf und band ihn fest. Schon verließ er den Anhänger und die Rampe stieß laut gegen die Hängerwand.

Enttäuschung machte sich in dem müden Pferd breit, als seine Unterlippe über die leere Heuraufe streifte. Zumindest das kalte Wasser im Eimer kühlte seine schmerzende Nase und sein erleichtertes Schnauben ließ das Wasser aufsprudeln und entlockte ihm ein übermütiges Wiehern.

Der Ruck, der ihn beim Anfahren durchfuhr, ließ ihn zusammenfahren. Das grelle Licht der Hofbeleuchtung verschwand unter dem Rand der Klappe und so stand er in dieser kompletten Dunkelheit, mit dem monotonen Motorgeräusch des Autos.

Erst, als die Sonne schon hoch am Himmel stand, kam der Hänger zum Stehen.

Licht flutete den Hänger, als die Klappe zu Boden gesenkt wurde. Eine grobe Hand zog ihn aus dem Anhänger und lotste ihn auf die Verladerampe. Der junge Wallach sprang ängstlich zur Seite. Ein harter Schlag traf seine Schulter und er stolperte rückwärts. Der Mann versuchte den Strick zu greifen, doch das schmale Pferd brach schon an der Seite herab und konnte den Sturz gerade ausbalancieren. Nur undeutlich hörte er den Schrei des Jungen.

Panisch galoppierte er davon. Weg. Weg von diesem Kerl, weg vom Hänger. Erschrocken stellte er fest, dass er genau in eine Sackgasse gelaufen war. Er fuhr herum und schaute in blau funkelnde Augen.

Mit einer ruhigen Bewegung berührte sie seine Stirn und griff nach dem Strick...

Cross Canter (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt