Hug

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,,Okay, ich stehe vor dem Briefkasten, bist du bereit?" Die Zeit seit dem Kuss war vergangen und es herrste totale Funkstille. Wir gingen uns beide wohl oder übel aus dem Weg. Ausserdem waren wir alles so mit dem Lernen für die Abschlussprüfungen nächste Woche beschäftigt und quelten uns durch die lästigen Unibewerbungen. Hannah und ich hatten unsere gesammten letzten Wochen damit verbracht, uns mit Schularbeiten vollzustopfen und dabei eine Kekspackung nach der anderen zu verputzen. Auch wenn ich gewollt hätte, würde ich keine Zeit gehabt haben um auch nur im geringsten an den Kuss zu denken. Kleiner Scherz, ich dachte neben den ganzen Arbeiten fast pausenlos daran. Man könnte denken, dass ich irgendwann einfach aufhören würde, mir gedanken darüber zu machen. Allerdings war dies nicht der Fall und ich dachte an alle möglichen Gründe, weswegen er mir aus dem Weg ging. Klar, ich tat das selbe, dennoch hätte ich mir gewünscht, dass er wenigstens versuchen würde mich anzusprechen. Fehlanzeige. Nichts kam. Er hielt es nichteinmal für nötig, mir in den Schulfluren in die Augen zu sehen. Jedes Mal, unterhielt er sich mit seinen Kumpels und tat so, als gäbe es mich überhaupt nicht mehr. Und erst gerade gestern bekam ich Gerüchte zu Ohren, bei denen es hiess, er und irgendwelche Lucia hätten gestern ein Date gehabt. Hannahs vergeblichen Versuche, mich dazu zu bringen zu ihm zu gehen hatten mittlerweile auch aufgehört. Und nun stand ich hier vor meinem Briefkasten, mit meiner besten Freundin an der Leitung. ,,Grosser Umschlag bedeutet Zusage und kleiner würde eine Absage sein.", auch ihre Stimme klang mehr als nur Nervös. In meiner gesammten Magengegend bekam ich ein Kribbeln, welches seit heute morgen nicht mehr aufhören wollte. ,,Auf drei?", meine Frage galt eher mir selbst als ihr. ,,Eins.", fing sie auch scho an, wobei ich meine Hand bereits auf den Briefkaten legte. ,,Zwei." Von uns beiden kam gleichzeitig ,,Drei." Und danach herrschte Funkstille. Als mir ein grosser Umschlag auffiel, zog ich ihn sofort aus dem Briefkasten. Bei der Aufschrift 'Brown' machte mein Herz einen kleinen Aussetzer. ,,Und?", fragte ich gespannt in die Leitung. ,,Gross und bei dir?", zum zweiten Mal an diesem Tag fiel mir ein Stein vom Herz. ,,Gross!" Wie auf Komando fingen wir beide an zu kreischen. Ob mich meine Nachbarn sehen konnten war mir wortwörtlich egal. Schreined rannte ich, mit dem Telefon am Ohr, in unserem Vorgarten rum. Normalerweise wäre ich wieder rein grannt und hätte meiner Familie den Umschlag kreischend gezeigt, da sie aber erst in einigen Minuten kommen würden, musste das jetzt reichen. Nachdem wir uns beruhigt hatten und ausmachten, dass sie in einer Stunde rüber kommen würde, legten wir auf. Gleich daraf machte ich mich wieder auf den Weg zum Briefkasten, um diesen wieder zu schliessen. Als mir jedoch ein kleiner orangfarbener Briefumschlag auffiel, nahm ich in vorsichtig raus und drehte ihn um. Zuerst verstand ich nicht, was das für ein Brief sein sollte, als mir jedoch die Aufschrift auffiel, fiel mir der Kinnladen mindestens zehl Stöcke runter. Das konnte doch nicht sein verdammter Ernst sein?

Hochzeitseinladung zu Daniellas und Angelos Hochzeit.

Ich wusste, dass mein Vater ein Idiot war. Dieser Brief jedoch überschritt alle Grenzen. Es ging mir nicht einmal darum, dass er diese Daniella heiratete. Nein, mein Problem hierbei war, dass er schlicht und einfach den Mumm nicht hatte, mir davon zu erzählen. Erst gerade letzte Woche hatte er angerufen und mir irgendwelche unnötigen Frage über die Schule gestellt. Dass es jedoch eine Daniella gab und er diese auch noch heiraten wolle, stand nie zur Debatte.
Ich hatte schon ziemlich früh aufgehört etwas von meinem Vater zu erwarten. Dennoch hatte ich gedacht, dass er wenigstens seiner Tochter persönlich, wenn auch telefonisch, mitteilen würde, dass er bald eine Ehefrau haben würde. Auch wenn unsere Bindung grottenschlecht war, konnte ich doch wohl noch so etwas von ihm erwarten?
So wütend wie ich war, kickte ich in den alten Briefkasten, welcher sofort in sich zusammenfiel. Noch dazu tat jetzt mein Fuss höllisch weh. ,,Wow, wer hat denn dich so wütend gemacht?", die Stimme meines Bruders unterbrach meine Flüche und erschreckte mich zugleich. Als ich mich in die Richtung umdrehte, aus welcher seine Stimme kam, sah ich ihn dort neben drei weiteren Jungs stehen. So wütend wie ich aber gerade war, waren mir diese ebenfalls egal. Kurzerhand reichte ich meinem Bruder den kleinen Umschlag und konnte mir dabei eine bissige Bemerkung nicht sparen: ,,Unser herzallerliebster Vater heiratet. Mit Daniella. Wusstest du dass es eine Daniella gibt? Ich nähmlich, hatte keine Ahnung." Statt der erwarteten geschockten Reaktion kam allerdings ein mittfühlender und entschuldigender Blick. Er hatte es gewusst? ,,Weiss Mom davon?" Kaum merklich fing er zu nicken an, was das Fass letzendlich zum kippen brachte. Im selben Augenblick parckte Moms Auto in der Einfahrt und sie stieg rasch aus. ,,Du meine Güte, hast du eine Absage von der Uni bekommen? Schatz, das ist noch kein Unter-" ,,Du hast es gewusst? Ihr beide?" Ihr verwirrter Blick änderte sich prompt als sie den kleinen Umschlag in Tylers Hand sah. ,,Grace das können wir dir erklär-", erneut unterbrach ich sie. ,,Ich wills garnicht wissen. Ihr zwei könnt ja gerne hingehen, vergesst dabei aber bitte nicht, ihm wunderschöne Grüsse auszurichten und natürlich einen schönen Dank noch dazu, weil er seine eigene Tochter nicht eingeladen hat." Noch während ich diesen Satz beinahe schon schrie, machte ich auf dem Absatz kehrt und lief am Haus vorbei, in die Richtung in der Hannah wohnte. Meine Mutter schrie mir noch etwas hinterher, was ich jedoch gekonnt ignorierte. Nach einer zehnminütigen Strecke entschied ich mich, Hannah anzurufen. Da nur ihre Mailbox kam, liess ich es einfach sein und machte mich kurzerhand auf den Weg zur Schule. Fragt mich nicht, warum ich ausgerechnet an einem Sonntag in die Schule ging. Ich tat es einfach ohne wirklich ein Ziel zu haben. Da unsere Schule ein ganzes Stückchen von unserem Haus entfernt war, brauchte ich dementsprechend auch ziemlich lange. Dort angekommen erwartete mich ebenfalls wie erwartet ein lehrer Schulplatz. Lediglich mein Handy und den grossen weissen Briefumschlag trug ich bei mir und machte mich  auf den Weg zu unserem Sportfeld. Bei den Tribühnen angekommen, setzte ich mich in die oberste Reihe und entschied mich dazu, den Umschlag zu öffnen. Auf welche Uni ich gehen würde, wusste ich bereits vor zwei Jahren. Damals waren Mom, Tyler und ich durch einen Zufall vorbeigefahren und hatten uns dazu entschieden, einen kleinen Stopp einzulegen. Gleich nachdem ich das College gesehn hatte wusste ich, dass ich dort mal studieren will. Hannah dagegen wusste bereits ihr ganzes Leben lang, dass sie auf die Columbia, in New York, gehen würde. Und nun hatten wir beide eine Zusage bekommen. Nur schon wenn ich daran dachte, dass meine beste Freundin bald 176 Meilen von mir entfernt sein würde, wurde mir schlecht.
,,Glückwunsch." Bei dem Klang seiner Stimme, welche ich unter tausenden erkenne würde, streckte ich hoch. Dabei entfuhr mir ein kleiner Schrei. ,,Gott, hast du mich erschreckt!" Auf Shanes Gesicht erschien ein entschuldigender Blick. Kurz darauf fragte er mit einem stummen Blick, ob er sich neben mich setzen könnte. Man konnte ihm däutlich ansehen, dass er mit der ganzen Situation überfordert war. ,,Müsstest du nicht Zuhause sein und deine Zusage feiern? So etwas geschieht schliesslich nicht jeden Tag." Langsam hob ich meine Blick und blickte in zwei schöne Augen, welche mich vorsichtig musterten. Nur schon bei seiner Nähe fing mein ganzer Körpern an, zu kribbeln. Dieser Typ macht mich fertig. ,,Das Gleiche könnte ich dich fragen. Du hast dich doch auch angemeldet oder?" Klar hatte er das. Ich wusste nur nicht ob es zu stalkerhaft rüberkommen würde, wenn ich ihn direkt darauf ansprechen würde, ob er eine Zusage von Harvard bekommen hatte. Abgesehen von den Gerüchten über Lucia gab es nähmlich auch welche, laut denen sich Shane dort angemeldet hätte. Ich hätte ehrlich gesagt immer gedacht, dass er irgendetwas mit Sport mache würde, wenn ich aber so darüber nachdachte, wurde mir bewusst wie wenig ich eigentlich über ihn wusste. ,,Hab eine Zusage bekommen." Erstaunt und irgendwie auch glücklich fiel ich ihm wie automatisch um den Hals. Harvard war ein grosses Ding und nicht gerade einfach. Der Glücksmoment hielt trotz allem nicht lange an. Kaum hatte ich meine Arme um ihn geschlungen, wurde mir schlagartig bewusst, was ich da eigentlich tat. Ich wollte mich sofort wieder zurück ziehen und meine arme von ihm nehem, da schlang er schon seine muskulösen arme um mich und zog mich näher ansich. Perplex nahm ich meine Arme dann doch nicht weg und bekam gerade noch knapp mit, wie er scharf die Luft einzog. Nach einer halben Ewigkeit, in welcher wir nur so da sassen, löste er sich von mir und stand auf. Er lief ohne sich umzudrehen die Treppe runnter. Unten angekommen blieb er allerdings stehen und drehte sich zu mir um. Nervös fing er an, sich am Nacken zu kratzen. Allein schon diese kleine Geste brachte meine Hormone zum Durchdrehen. ,,Die Gerüchte." Meinte er die Gerüche über ihn und diese Lucia? ,,Die Gerüchte über Lucia und mich, sie stimmen nicht. Um ehrlich zu sein, weiss ich noch nicht einmal wer diese Lucia sein sollte." Ohne es zu wollen, atmete ich kaum hörbar aber dennoch erleichert aus. Mir war garnicht aufgefallen, dass ich die Luft angehalten hatte. Er schien meine kleine Reaktion jedoch bemerkt zu haben, da er im nächsten Augenblick grinsen musste. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte er sich wieder um und marschierte weiter, blieb allerdings auf halber Strecke wieder stehen. Nun schien er noch nervöser zu sein, denn er kam zögernd wieder einige Schritte auf mich zu. ,,Hast du schon ein Date für den Abschlussball?" Überumpelt schüttelte ich meinen Kopf. ,,Gut, dann hol ich dich um acht ab?" Immer noch perplex nickte ich einfach, ohne wirklich zu realisieren, was er da von sich gab. Gerade als er zum dritten Mal nun wieder gehen wollte, rief ich seinen Namen. Ohne eine Sekunde zu zögern, sah er mir direkt in die Augen. ,,Ist das dann ein Date?" Auf seinen Lippen bildete sich augenblicklich ein Lächeln, welches ich warscheinlich nie wieder vergessen würde. ,,Darauf kannst du Wetten", mit diesen Worten ging er entgültig davon. Zumindest für heute. Ich starrte ihm die ganze Strecke hinterher und wusste spätestens ab jetzt, dass ich tief in der Scheisse steckte.

My To-Do listWhere stories live. Discover now