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Not all wounds are visible

Mein Finger drückte auf die Klingel, dann trat ich einen Schritt zurück.

"Deine Eltern haben mir oft mit Sofia geholfen", lächelte Melanie neben mir und ich blickte zu ihr, die sie unsere Tochter auf dem Arm trug. Das sah meinen Eltern ähnlich, und ich war ihnen dankbar dafür, dass sie das getan hatten, was ich in den Monaten versäumt hatte. Ab und an hatte ich mit ihnen telefoniert, aber gesagt hatten sie nur wenig. Ich schätzte, sie hatten mir kein schlechtes Gewissen machen wollen, weshalb sie die Aufmerksamkeit meist eher auf mich als auf sich gelenkt hatten. Natürlich: nachgefragt hatte ich schon, sowohl wie es ihnen ging, als auch meiner Familie, Melanie, Sofia. Am Telefon ließen sich Antworten allerdings leicht abwürgen - erstrecht, wenn die Verbindung schlecht und die Zeit begrenzt war. Auch jetzt hatte ich keine Zeit, etwas zu erwidern. Jemand öffnete die Tür, und zum Vorschein kam meine Mutter.

Wie in Zeitlupe konnte ich beobachten, wie sich ihre Augen überrascht weiteten. Sie zog die Brauen nach oben und schlug fassungslos die Hände vor den Mund.

"Tom?", hörte ich sie hauchen und sofort schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen.

"Mama?", lachte ich bejahend und breitete die Arme aus. Die einladende Geste ließ sich meine Mutter nicht zweimal sagen, sondern fiel mir um den Hals, wie es Melanie wenige Tage zuvor auch getan hatte. Wir hatten Samstag. Donnerstag war ich gelandet. Es war nicht viel passiert, ich hatte bloß einen Tag gebraucht, um ersteinmal richtig anzukommen, bevor ich bei meinen Eltern hatte aufkreuzen wollen. Melanie hatte vorgeschlagen, sie anzurufen, aber wir hatten es letztendlich so als besser empfunden. Warum wusste ich selbst nicht so recht.

"Thomas! Oh mein Gott, du bist wieder hier!?" Meine Mutter nahm mein Gesicht in ihre Hände und drehte es prüfend hin und her. "Geht es dir denn auch gut? Himmel, bist du braun geworden! Ein Wunder, dass du keinen Sonnenstich bekommen hast - hast du doch nicht, oder? Nicht vorzustellen, was..."

"Sabine, jetzt lass deinen Sohn doch erstmal rein kommen!"

Mein Vater erschien auf dem Flur, sein Grinsen reichte ihm von einem Ohr zum Anderen. Nur widerwillig trat meine Mutter einen Schritt zur Seite. Sogleich wurde ich von meinem Vater in eine herzliche Umarmung gezogen. "Hallo Papa", grinste ich und tätschelte ihm den Rücken. Meine Mutter begrüßte derweil ihre Schwiegertochter und ihre kleine Enkelin, und als sich mein Vater von mir löste, tat er es ihr gleich.

"Ohje, jetzt habe ich ja überhaupt nichts vorbereitet. Hätte ich gewusst, dass du heute kommst...ich hätte einen Kuchen backen sollen! Joachim, ich muss zum Bäcker!" Panisch sah meine Mutter zu meinem Vater, aber der schüttelte nur den Kopf.

"Nein Sabine, schau doch! Der Junge hat zugenommen, dem geht's gut!"

Ich blickte meine Mutter entschuldigend an. "Da muss ich ihm wohl recht geben." Tatsächlich war es so, dass die meisten Soldaten während der Dauer eines Einsatzes eher zunahmen, als ab. Ich schob es einfach auf das gute Essen der Truppenküche, wobei ich nicht fand, dass man es mir groß ansah. Ich nahm es allerdings auch nicht persönlich. Es war ja nur die Wahrheit.

"Papperlapapp. Der Junge muss was essen! Ich bin gleich wieder da!", flötete sie, eilte nach drinnen, kam kurz darauf mit ihrer Tasche wieder heraus und war schon um die Ecke zum Bäcker verschwunden, bevor ich protestieren konnte. Ich blickte zu Melanie.

"Ich glaube, sie ist in ihrer neuen Rolle als Großmutter angekommen!", zwinkerte ich.

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"Erzähl doch mal!"

Meine Mutter kam auf die Terrasse und stellte den bereits angeschnittenen Kuchen auf den Gartentisch. Ergänzend - und ironisch - fügte sie noch hinzu: "Erdbeerkuchen, natürlich selbstgebacken", bevor sie sich neben meinem Vater niederließ.

BrokenWhere stories live. Discover now