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Ich würde nicht behaupten, dass meine Hände zitterten, als ich kurz vor sechs an der Haustür auf Liam wartete, aber ruhig waren sie schon gar nicht.
Kritisch blickte ich an mir hinunter. Im Gegensatz zu der Nacht von Samstag auf Sonntag war ich perfekt auf die Staubwolken unter der berüchtigten Brücke vorbereitet, mit meinem grauen T-Shirt und den weit flatternden Hosen.

Immer wieder warf ich meinen TabCom in den Händen hin und her. Heute durfte nichts schief gehen. Ich war schließlich auf einer Mission. Würde es so weitergehen, dann könnte ich mich mit dem Sherlock Holmes messen, dessen Geschichten Gramps mir früher oft vorgelesen hatte.

Liam hörte man schon wieder dreißig Sekunden bevor man ihn sah, denn wie immer pfiff er - laut und schief - die Melodie zu irgendeinem Serienintro aus seinem geliebten 21. Jahrhundert.

"Es klingt schauderhaft!", rief ich schon, als Liam noch über die Straße ging. Sofort verstummte er und feixte lautstark zurück: "Weiß ich! Du kannst aber auch nicht singen, denk nur an unseren ersten und letzten Karaokeabend. Hey."
Er war während seiner laschen Verteidigung den Kiesweg heraufgejoggt und nahm mich nun in den Arm. Sofort umfing mich der vertraute Geruch der Freundschaft, den ich tief einatmete. "Hey. Danke, dass du mir hilfst", murmelte ich in seine Schulter.

Heute hielten wir uns nicht an irgendwelchem inhaltslosen Smalltalk auf. Beziehungsweise ich tat es nicht.
Wie ich meinen besten Freund kannte, lagen ihm sehr wohl einige Fragen auf der Zunge, aber ich nahm ohne Vorgeplänkel einen recht schnellen Schritt auf.

"Du wolltest mir noch erzählen, wie das ganze Drama bei der Party abgelaufen ist", bohrte Liam, nachdem wir eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren.

"Oh, mit Drama hast du es gut getroffen", stöhnte ich.
Als ich die Nacht ein weiteres Mal für Liam mit großen Schwindeleien und Ausflüchten rekonstruierte, schlich sich zum ersten Mal das schlechte Gewissen in meinen Hinterkopf.
Log man seinen besten Freund an? Nein. Aber im selben Moment tauchte auch wieder die Erinnerung an die Geheimniskrämerei seinerseits auf.
Es war nur vorübergehend. Irgendwann würde ich ihm die Wahrheit sagen.

Trotzdem beobachtete ich seine Gesichtszüge genau. Glücklicherweise zeigte sich dort kein Misstrauen, sondern abwechselnd Angst, Erleichterung und Überraschung. Doch er kommentierte die Geschichte auch nicht weiter, was mich ziemlich verwunderte. All die Ausflüchte auf mögliche Ermahnungen wie "Mach sowas nie wieder" verpufften und ich stieß ihn stattdessen freundschaftlich an der Schulter an.
Er quittierte meine Aktion nur mit einem müden Lächeln und langsam wurde mir sein Liam-untypisches Verhalten unheimlich. Trotzdem blieb ich still.

Schon bald betraten wir die Magnetbahnstation an der Moreno Valley. Das altbekannte Gefühl von Leichtigkeit stieg meine Beine hinauf, als wir in zwei Röhrenaufzügen nach oben sausten und ich die orange-roten Farben des Sonnenuntergangs beobachtete
Du machst das Richtige, Lou.

An der Infostelle in beinahe hundert Metern Höhe wuselten nicht gerade wenige Menschen herum. Zu allererst bahnten wir uns einen Weg zum Fahrplan. Ehrlich gesagt hatte ich vorher nie bedacht, dass ich mich mit den Haltestellen im Southeastern District ungefähr so gut auskannte wie mit der Funktionsweise eines CD-Players. Also gleich Null.

Während ich mit den Fingern die bunten Linien entlangfuhr, in der Hoffnung, dass mir ein Name bekannt vorkam, trat Liam hinter mir unaufhörlich von einem Fuß auf den anderen. "Louisa?", fragte er irgendwann leise.

Ha! Hyders Park! Das musste es sein! Also Linie A34!
Triumphierend schnipste ich durch das überdimensionale Hologramm und drehte mich dann zu meinem besten Freund um. "Was ist los?", fragte ich zurück und fixierte währenddessen die große Anzeigetafel direkt hinter ihm.

Soulmates ⏸Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt