Action auf der Rennbahn

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Ich steckte meine Kopfhörer in die Ohren und machte es mir so bequem, wie es nur möglich war, wobei ich jedoch versuchte, jeglichen Körperkontakt mit meinen Sitznachbarn zu vermeiden. Merle schlief direkt ein, als sich der Bus in Bewegung setzte, Giulio starrte mürrisch vor sich auf den Boden und Kim redete ununterbrochen auf Vinc ein und klebte dabei wie eine Klette an ihm. Sie hielt seinen Arm umklammert und hatte ihre Beine so angezogen, dass ihre Knie auf seinen Oberschenkeln lagen. Das konnte unmöglich bequem sein, doch mir sollte es recht sein. Ich hoffte nur, dass Anna im Laufe der Fahrt mal nach mir sehen und mich irgendwie aus dieser Lage befreien würde, doch sie schien zu beschäftigt mit Jonas zu sein, sodass ich die Hoffnung beinahe ganz aufgab. Nach einer Stunde fahrt hatte ich mich so langsam an meine Situation gewöhnt und dass meine Arme die von Giulio und Vinc berührten, war mir nun auch egal. Die Hauptsache war es nur, irgendwie eine halbwegs angenehme Sitzposition zu finden. Kim war mittlerweile auch eingeschlafen und auch ich beschloss, ein paar Minuten meine Augen zu schließen. Um Akku zu sparen, packte ich mein Handy in den Rucksack und lehnte mich im Sitz zurück. Nur ein paar Minuten!
"Lilli? Lilli wir sind da", ich spürte, wie sich mein Kopfkissen bewegte und öffnete empört meine Augen. In diesem Moment bemerkte ich, wer mein Kopfkissen gewesen war. "Oh man, tut mir voll Leid", entschuldigte ich mich bei Vinc und setzte mich erschrocken auf. "Kein Problem, meine Schulter lebt noch", meinte er grinsend und ich wurde rot. Wie peinlich war das denn bitte, an die Schulter seines Exfreundes gelehnt einzuschlafen! Mit rotem Kopf nahm ich meinen Rucksack und stieg hinter Giulio aus dem Bus, der nun noch etwas mürrischer drein blickte.
Wir sattelten unsere Pferde in den riesigen Anhängern und führten sie raus auf die Rennbahn. Dort lernten wir den Besitzer der Bahn, Herrn Rudolfs kennen, der uns eine kleine Einführung gab und uns in zwei Gruppen einteilte. Ich war mit Anna in einer Gruppe und wir folgten Herrn Rudolfs auf eine kleine Wiese. Die andere Gruppe wurde der Tochter des Bahnbesitzers zugeteilt und machte sich auf den Weg zu einer anderen Stelle der Rennbahn.
Als erstes saßen wir alle auf und machten unsere Pferde warm. Dafür ritten wir auf der Wiese in einen großen Zirkel um Herrn Rudolfs herum. Doch auch wir mussten ein bisschen in Schwung kommen und so gab unser Trainer uns Anweisungen für verschiedene Übungen auf dem Pferd, was ziemlich lustig aussah, aber alle vollends aufweckte und lockerte. Dann war es endlich so weit. Wir stellten uns in einer Reihe auf der Rennbahn auf und galoppierten nacheinander die eine lange Seite entlang.
Als ich an der Reihe war, tänzelte Playboy schon vorfreudig von einem Huf auf den anderen und als ich die Galopphilfe gab, raste er sofort in einem Affenzahn los, sodass ich ihn kaum halten konnte. Doch nach ein paar Metern hatte ich ihn wieder unter Kontrolle und lies ihn zumindest halbwegs versammelt laufen. Es machte unglaublich viel Spaß! Als ich zu den anderen zurück trabte, schnaubte mein Pferd entspannt ab und ließ sich gut durchparieren.
Nachdem wir noch ein paar mal einzeln galoppiert waren, brachten wir die Pferde auf eine kleine Koppel und folgten dann unseren Lehrern in das zur Rennbahn gehörige Gasthaus, um dort zu Mittag zu essen. Ich setzte mich mit Anna, Kim, Vinc, Jonas und Merle an einen Tisch. Nur Giulio war irgendwie verschwunden. Als ich mich im Gasthaus umsah, entdeckte ich ihn an einem Tisch mit ein paar Jungs aus unserer Stufe, mit denen er, soweit ich es richtig mitbekommen hatte, noch nie ein Wort gewechselt hatte. Und auch nun sah er eher verschwiegen aus, starrte mürrisch vor sich hin und stocherte in seinem Auflauf herum. Aber was kümmerte mich das eigentlich ? "Erde an Lilli", Anna fuchtelte mit ihrer Gabel vor meinem Gesicht herum. Erschrocken blickte ich sie an. "Äh... Was ist los?", fragte ich verwirrt und meine beste Freundin begann zu lachen. "Ich habe dich nur gefragt, ob du dich auf das Rennen nachher freust?", sie sah mich erwartungsvoll an. "Welches Rennen?", wollte ich wissen und runzelte die Stirn. Anna verdrehte die Augen. "Kriegst du eigentlich überhaupt noch was mit? Herr Rudolfs hat doch gerade verkündet, dass wir gleich gegen die andere Gruppe in einem Rennen antreten werden", ich sah sie erstaunt an. Das war wirklich richtig cool!

Als ich Playboy von der Wiese holen wollte, konnte er sich kaum von dem saftigen Gras trennen. Wir sattelten die Pferde und ritten alle im Schritt die Bahn entlang. Anna und ich ritten nebeneinander her. "Du solltest echt mit Giulio reden", meinte sie plötzlich. "Wie bitte?", ich sah sie an, als hätte sie mir gerade erzählt, dass ihre Stute fliegen kann. "Wir haben uns nichts zu sagen", wir trabten an und überholten ein paar, die noch im Schritt ritten. "Wenn du meinst", antwortete Anna und ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, deshalb sagte ich nichts mehr, doch ihre Worte spukten mir weiterhin im Kopf herum. Hatte sie vielleicht doch recht?
Als unsere Pferde wieder warm waren, stellten wir uns in unseren Gruppen jeweils an einer der längeren Seiten der Bahn nebeneinander auf und warteten auf das Startsignal. Einige Pferde tänzelten nervös hin und her, doch Playboy blieb erstaunlich gelassen. Ich hingegen war nun richtig aufgeregt. Wir sollten eine Runde um die ganze Bahn galoppieren. Welches Team zu erst vollständig die jeweilige Ziellinie überschritten hatte, sollte gewinnen. "Viel Glück!", riefen wir uns gegenseitig zu, dann gab Herr Rudolfs das Startsignal und ich galoppierte sofort an. Playboy schien einen Moment etwas verwirrt, direkt aus dem Stand anzugaloppieren, aber er hörte brav auf meine Signale und galoppierte in einem fleißigen Tempo voran. Ich achtete darauf, ihn nicht zu schnell werden zu lassen, da die Bahn ziemlich groß war und ich Playboy nicht überfordern wollte. Trotzdem lagen wir relativ weit vorne und auf der Hälfte der Strecke begannen bereits die ersten Pferde langsamer zu werden. Ich zog an einigen meiner Mitschüler vorbei und plötzlich war nur noch Merle vor mir. Es war ein so unglaubliches Gefühl, diese riesige Distanz entlang zu preschen. Ich fühlte mich so frei wie schon lange nicht mehr. Als ich die Zielgerade bereits sehen konnte, gab ich mit den Zügeln etwas nach und lies mein Pferd einfach rennen so schnell er nur konnte. Ich spürte, wie sich seine Muskeln anspannten und er zog mit dem Tempo deutlich an. Nun waren wir mit Merle auf einer Höhe. "Ihr schon wieder", rief sie mir lachend zu und trieb ihr Pferd schneller. "Los, schneller mein Junge", flüsterte ich Playboy zu und trieb ihn ebenfalls sanft etwas schneller. Wir waren jetzt so schnell, dass ich kaum noch etwas sehen konnte, außer dem Staub, der um uns herum wirbelte und der Ziellinie, der wir uns immer weiter annäherten. Ich bemerkte nicht einmal, dass wir Merle überholten und als erste ins Ziel schossen. Hinter der Ziellinie verlangsamte ich das Tempo und parierte langsam zum Trab und schließlich zum Schritt durch. Playboy war nun komplett verschwitzt, doch er schnaubte zufrieden ab und ich klopfte ihm sanft den Hals.
Als alle im Ziel angekommen waren, versammelten wir uns um unsere Lehrer und Herrn Rudolfs herum, um zu erfahren, welche Team gewonnen hatte. "Gewonnen hat...", er blickte in die Runde, um Spannung zu erzeugen. "Mein Team! Herzlichen Glückwunsch!" Wir klatschten alle in die Hände und es war uns auch allen eigentlich egal, wer gewonnen hatte, da es einfach so viel Spaß gemacht hat. Doch bevor wir die Pferde trocken reiten konnten, hatte Herrn Rudolfs doch noch ein Anliegen. "Mir ist aufgefallen, dass die jeweils ersten Reiter der Teams genau gleichzeitig im Ziel ankamen. Deshalb hätte ich den Vorschlag, dass wir ein kleines Stechen veranstalten. Die Sieger der beiden Gruppen galoppieren eine lange Seite der Bahn entlang. Wie sieht es aus? Lilli, Giulio, seid ihr noch fit?"

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