Wasserflaschenwalzer

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Ich schloss die Tür zu unserem kleinen Backsteinhaus auf und pfefferte meinen Rucksack müde in die Ecke.
Meine Schuhe flogen direkt hinter her.
"Bin da" brummte ich in Richtung Wohnzimmer und wollte gerade nach oben gehen, als mein Vater antwortete.
"Komm mal kurz her" rief er.
Ich schlurfte gähnend ins Wohnzimmer und ließ mich auf unser altes rotes Sofa fallen.
"Bei was für Freunden warst du?" grinste er.
"Sie heißt Ariel und ist neu auf der Schule" sagte ich mit geübtem Pokerface.
"Achso" nickte er und rührte seine Nudeln im Topf schwindelig.
"Ich bestell heute Abend asiatisch okay?".
Er wusste, dass es okay war, da ich asiatisch liebte.
"Klar" grinste ich und machte mich auf den Weg in mein Zimmer.
Mein Zimmer war halb so groß wie das von Ariel und trotzdem fand ich es groß.
Neben meinem Bett stand ein Spiegel an die Wand gelehnt, ich hatte grauen Teppichboden und meine Wände waren weiß.
Über dem Kopfende meines Bettes hingen Bilder von mir und meinem Dad und ein paar von mir und meiner Granny.
Dexter unsere französische Bulldogge war auch auf manchen zu sehen.
Als ich die Bilder sah, bemerkte ich, dass er mich eben gar nicht begrüßt hatte.
Ich öffnete die Tür.
"Deeeeeeex!" schrie ich die Wendeltreppe herunter.
Sofort kam mir ein schnaufender Klops entgegen, der sich Hund nannte.
Er lief erfreut ein paar mal gegen mein Bein, bis ich ihn prustend auf den Arm nahm und die Tür hinter uns schloss.
Ich legte mich auf's Bett und Dexter entschloss, dass mein Bauch gemütlicher ist als sein Körbchen.
Ich kraulte ihm den Kopf und dachte über den Tag nach.
Mochte ich Ariel?
Sie war hübsch und nett, aber irgendwas war seltsam an ihr.
Die Art wie sie guckte, nervös und doch als wäre ihr alles egal.
Die Art wie sie das Verhalten ihrer Mutter normal fand, beinahe als würde sie sonst noch schlimmer sein.
Die Art wie sie nicht zurück fragte, als würde sie Angst vor noch mehr Fragen haben.
Ariel war anders, sie war geheimnisvoll.
Ich machte es mir zur Aufgabe, in ihre Geheimnisse ein zu tauchen.

Am nächsten Tag ging ich wie immer zur Schule und meine Schuhe hatten nach der Büchermisshandlung wieder ein Treffen mit einem halben Becher Cappuccino.
In den Pausen saß ich mit Ariel an einem Tisch und so hatten die Anderen ihre Essensmonition schneller verschossen.

Die nächsten Tage, Wochen vergingen so, dass wir uns nur in der Schule sahen.
Wir verstanden uns mit der Zeit besser und wir hatten uns Gewohnheiten bei einander abgeschaut.
Ich wusste, dass sie Zucker in ihrem Kaffee wollte und sie brachte mir vom Buffett immer ohne zu Fragen eine Brezel mit.

Irgendwann, als sie gerade ihren Kaffee schlürfte und die Uhr zwölf schlug, fragte ich sie ob sie mal wieder was machen wollen würde.
"Klar, was denn?" lächelte sie.
Sie hatte ihre Locken mit einem Haarband zu einem riesigen Dutt gebändigt und sie trug ein dunkelrotes Kleid mit schwarzen Strumpfhosen.
"Wir können ja mal zu mir oder so" schlug ich vor.
Den Vorschlag fand ich etwas langweilig, aber ich hatte mir nichts besseres überlegt.
"Okay. Heute?" Sie schielte mich über ihre Kaffeetasse an.
"Wenn du Zeit hast" nickte ich.

Sie hatte Zeit und so standen wir zwei Kunststunden später vor meinem Haus.
Gerade als ich mich fragte, ob sie es klein fand, fing sie an zu reden.
"Es ist schön. Viel schöner als meins"
Ich dachte sie würde mich veralbern, doch als ich sie ansah, wusste ich dass sie es ernst meinte.
"Hey Daaaaaad" rief ich und schmiss meine Sachen von Ariel's gefolgt in die Ecke.
Sie kicherte.
Mein Vater erschien im Flur, er hatte ein kariertes Hemd an und seinen Aktenkoffer in der Hand.
Er sah mit seinen grauen Haaren deutlich älter als 45 aus.
"Oh hey, ich bin Mike" grinste er und klopfte Ariel grob auf die Schulter.
"Ariel" lächelte sie und beobachtete die Hand.
"Ah du bist Ariel. Tut mir leid kleine Meerjungfrau, aber ich muss jetzt leider zur Arbeit. Wir schnacken nächstes mal okay?" zwinkerte er.
Sie lachte und ich wurde halb rot vor Scham.
Ariel die kleine Meerjungfrau würde bestimmt nie wieder zum Schnacken vorbei kommen.
"Hey Mika, ich hab heute Spätschicht. Könnt ihr nachher einkaufen gehen?"
"Klar" nickte Ariel.
"Gut. Tschüss ihr Beiden!" trällerte er und knallte die Haustür hinter sich zu.
"Ich mag deinen Dad" rief Ariel während sie die Treppe hochlief.
Seufzend lief ich ihr hinterher.
Als ich in meinem Zimmer ankam, lag sie schon unter meiner Decke und nur ihr Kopf guckte raus.
Ihre blauen Augen stochen sich mit dem Schwarz der Decke.
Ich ließ mich neben sie fallen und kroch auch unter die Decke.
Wir sahen uns einen Film an, "Keith", Ariel weinte.
"Alles okay?" fragte ich sie besorgt.
Es kam heraus , dass Keith krank war und Ariel schluchzte, als wäre sie betroffen.
"Ja" schnaufte sie und wischte die Tränen ab.
Sie sah mich an und ich schloss sie in meine Arme.
Langsam hörte sie auf zu weinen und der Rest des Filmes verlief tränenfrei.
Als der Abspann lief setzte sie sich plötzlich auf. "Wir wollten doch einkaufen gehen stimmt's?" grinste sie.
Eine halbe Stunde später standen wir vor einem Supermarkt und die Tür öffnete sich.
Ariel hatte den Einkaufszettel meines Vaters und lief durch die Gänge wie eine Fünfjährige. Sie schmiss Spaghettipackungen, Chips und Bananen in den Wagen, mit den Wasserflaschen führte sie eine Art Walzer passend zur säuselnden Hintergrundmusik auf.
Ich lachte und klatschte Applaus.
Eine Frau neben Ariel schnalzte missbilligend mit der Zunge. Wir machten sie gleichzeitig nach und liefen lachend zur Kasse.
Ich bezahlte gerade die zwanzig Euro für den Einkauf als Ariel von einer kleinen Frau angesprochen wurde.
"Ariel, hallo, wie geht es dir?" strahlte sie bis über beide Ohren.
"Hallo, Mrs. Wood! Und selber?" Sie wich der Frage aus.
"Gut,gut! Und läuft es Zuhause besser?"
"Nein..." sie schielte in meine Richtung.
"Ein anderes mal okay? Schönen Tag!".
Ariel nahm die Tüte und stolzierte raus.
Als wir auf dem Parkplatz ankamen, fragte ich sie, was Mrs. Wood meinte.

"Ach nichts, nicht jetzt okay? Komm setz dich in den Wagen!"
"Was?"
"Setz dich in den Wagen!"
Ich setzte mich in den Wagen.
"Achtuuuuuung!" rief sie und fing an mich zu schieben. Erst langsam, dann rannte sie mit mir und dem Wagen über den Parkplatz.
Wir lachten, der Wind wehte mir in den Haaren und ich fühlte mich seltsam frei.
Ariel stellte sich hinten drauf und fuhr mit.
Wir kreischten und lachten und fuhren fast in ein Auto, bis ein Polizist uns schief anguckte und wir den Wagen wieder wegbrachten.

(Auf dem Bild ist keiner von den beiden zu sehen, es passt nur)

What about angels?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt