Kapitel Zwei.

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Kaum, dass sie sich von ihm abgewandt, das Gespräch mit Mary und Lily wieder aufgenommen und damit ihren vollkommen nicht-magischen Zauberbann gelöst hatte, kamen die Tränen. Und das Schluchzen. Ein Mädchen, das neben dem Jungen gesessen hatte, drehte sich erschrocken zu ihm um, aber es war zu spät. Die heißen Tränen mit hektischen Bewegungen in seinen Robenärmeln versickern lassend sprang der Junge vom Tisch auf, nahm seine Beine in die Hand und flüchtete vor dieser großen, bösen Hexe, die ihm seine Selbstzweifel einmal mehr unter die Nase gerieben hatte: Was hatte er am Gryffindorhaustisch verloren, wenn er nicht einmal mutig genug war, „Hier, bitte schön" zu sagen und ein Glas mit Marmelade weiterzureichen?

Fluchend riss Marlene den Kopf herum und starrte dem Jungen hinter. »Shit.«

Peters Mitleid verflüchtigte sich schnell, als die Aufmerksamkeit der Rumtreiber einen neuen Fokus fand.

»Shit. Shit. Shit.« Marlene wischte sich die Finger an einer der Servietten ab, die rot und hausgetreu an einigen Stellen des Tisches verteilt lagen, bevor sie sie zusammen knüllte und zwischen zwei Pasteten feuerte. »Jedes Mal. Jedes gottverdammte Mal.«

»Die haben halt Angst vor dir.«

»Angst vor mir?« Marlene keifte die zierliche Mary an, die neben ihr saß. »Wieso sollte irgendjemand auf dieser großen weiten Welt Angst vor mir haben? Ich bin sogar gegen Tierversuche!«

»Da fallen mir auf der Stelle ganze Branchen ein, die gehörige Angst vor dir haben sollten.«

»Fresse, Black, niemand hat nach deiner ungebildeten Meinung gefragt.«

»Hörst du das, Krone? Ungebildet! Ich weiß nicht, wie mein Ego solche Hiebe unbeschädigt überstehen soll.«

»Vielleicht soll's die ja gar nicht unbeschädigt überstehen«, schob sie hinterher, aber seufzte direkt wieder. »Ich weiß wirklich nicht, was es ist. Ich hab ihn nicht angeschrien, ich hab noch nicht mal böse geguckt.«

»Oh, und wir wissen alle, wie viel es dir abverlangt, nichtmal böse zu gucken.«

»Evans, wenn du so weitermachst, kann ich dafür sorgen, dass du den ganzen Abend mit Potter Pokale polierst.«

Tatzes »Bitte, bitte, bitte« mischte sich in Moonys Lachen: »Und das, liebste Marlene, ist der Grund, aus dem Erstklässler weinend vor dir davon laufen.« Dabei war es in diesem Augenblick eher der Rotschopf drei Plätze weiter, der aussah, als müsste man in blanker Panik vor ihm davon laufen. Es sagte viel über Lily Evans aus, dass sie ihr »Wehe dir« nicht einmal aussprechen musste.

Peter, der das Ping-Pong seiner Freunde mit der Gelassenheit desjenigen beobachtet hatte, der wusste, dass er sich nicht einmal für den Preis seines Lebens in diesen Kampf eingemischt hätte, konnte sein Grinsen nicht unterdrücken. Man musste Marlenes Unmut verstehen. Seit sie nicht mehr selbst Erstklässler war, hatte sie jedes Jahr mindestens einen von ihnen zum Weinen gebracht. In achtzig Prozent der Fälle sogar im ersten Monat.

Und während Marlene sich hartnäckig jedem Verständnis der Umstände verweigerte, die zu solchen Reaktionen führten, und die Rumtreiber natürlich tatsächlich längst wussten, dass man keine Angst vor Marlene haben musste, blieb die Mischung aus Lautstärke, Selbstvertrauen und allgegenwärtiger Präsenz, die sich in Marlenes Aura zusammenfand, ein explosiver Cocktail für die Nerven all derer, die eh schon von der Andersartigkeit Hogwarts überfordern waren.

Emily hingegen kannte den Hintergrund der Situation nicht und war, ihrem Wesen entsprechend, förmlich dazu gezwungen, die Dynamik der Situation misszuverstehen. Die Miene von klarer Missbilligung gezeichnet erhob sie sich und folgte dem weinenden Erstklässler aus der großen Halle. Eine kühle Brise der Verachtung fuhr ihm in den Nacken, als sie wortlos an ihm vorbeitrat. Schlimmer als die Tatsache, dass sie seine Freunde nicht leiden konnte, war nur ihre Vermutung, dass auch er sich unaufhaltsam in jemanden verwandelte, den sie nicht mehr guten Gewissens mögen konnte.

the planet's last dance ▪ r. lupinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt