Kapitel 1 - Veränderungen

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Leise liess er das Bordell hinter sich und lief die dunklen Gassen entlang nach Hause, auf einem anderen Weg als die letzten zwei Tage und darauf bedacht, dass ihm niemand folgte. Er hatte sich verändert. Von dem Jungen, der orientierungslos und unachtsam quer über die breitesten Strassen gestolpert oder auf jedem beliebigen Hausdach eingeschlafen wäre, war nicht mehr viel übrig. Er war ein Schatten in den Schatten, lautlos, die ganze Aufmerksamkeit stets auf seine Umgebung gerichtet, um jeder Gefahr auszuweichen, lange bevor sie auftrat. Jaz hatte Dutzende Male versucht ihm einzutrichtern, immer wachsam zu sein, immer mit einem Angriff zu rechnen, vergeblich. Falreys Instinkt hatte es einfach nicht begriffen, er hatte sich zu sicher gefühlt, das Gefühl von Frieden zu tief in seinem Wesen verankert – und schliesslich passte ja Jaz auf, oder?'

Ja – und dann hat er dir beinahe die Kehle aufgeschlitzt. Und ihn damit nachhaltiger verändert, als Warnungen es jemals vermocht hätten. Fünf Wochen waren vergangen seit jener Nacht. Die Angst war geblieben. Die ständige Angst, eines Morgens nicht mehr aufzuwachen, weil er in einem Raum schlief mit einem Mörder, der ihn hasste. Er konnte nichts ändern an der Situation, doch genauso wenig an der Angst, sie blieb, war immer da, irgendwo in der Tiefe, wurde zu einem Teil von ihm, liess ihn niemals ganz zur Ruhe kommen. Wenn es das war, was du wolltest, Jaz, dachte Falrey bitter. Gratuliere, du hast dein Ziel voll erreicht!

Andere Veränderungen waren subtiler und griffen vermutlich weiter zurück. Er lief nicht mehr rot an, wenn die Mädchen im Liliths ihm auf dem Korridor halbnackt über den Weg liefen, auch wenn er nach wie vor anstandshalber wegblickte. Der Anblick war schlicht zu alltäglich geworden und sie machten sich zu wenig daraus als dass es ihn noch geniert hätte. Ein Teil von ihm fragte sich, ob das irgendwie falsch war, oder nicht vielleicht genau richtig, weil es bedeutete, dass er sie als die Personen sah, die sie waren, ohne dabei auf ihre Erscheinung zu achten. Im Endeffekt war es eine philosophische Frage: war es wichtiger, was eine Person war oder wie sie wirken wollte?

Denn im Grunde waren Auftreten, Kleidung, Frisur ja nichts anderes als eine Verkörperung von letzterem. Was wiederum der Grund dafür war, warum er eine Menge der Kunden des Liliths nicht mochte, auch wenn er es selten zeigte. Am Anfang hatte er gedacht, er hätte einfach Jaz Abneigung gegen die Schmarotzer übernommen, aber nach und nach war ihm klar geworden, dass es nicht die Tatsache war, dass sie reich waren, die sie abstossend machte. Reichtum konnte genauso gut Glück, Geburt oder sogar ehrlichem Handel geschuldet sein wie Skrupellosigkeit. Sondern dass sie sich reich kleideten. Sie trugen ihr Geld zur Schau, in Bordüren und silbernen Knöpfen, Ringen, Ketten und feiner Seide, prall gefüllten Geldbeuteln in den Taschen und an den Gürteln. Es gab keinen Grund einem Dieb eine solche Einladung zu geben, ausser wenn man seinen Reichtum zeigen wollte. Weil man stolz darauf war. Weil man sich dadurch vom Pöbel abheben wollte, zeigen, dass man etwas Besseres war. Und das war es, was Falrey verabscheute. Geld war nichts, worauf man stolz sein sollte, schon gar nicht, wenn man es womöglich nicht einmal selbst erwirtschaftet hatte. Reichtum und die damit einhergehende Macht verlangten Dankbarkeit und Demut, kein aufgeblasenes Ego. An den König, mög er sich erinnern, wie es in einem alten Text geschrieben stand, den er noch vage im Kopf hatte, von längst vergessenen Schultagen. Dass das Volk es war, das ihm die Macht gegeben. Und es kann sie ihm auch wieder nehmen.

Ob König oder Schmarotzer: Hochmut säte Hass, Hass wie den von Jaz. Falrey fragte sich, warum nicht mehr Leute sich gegen sie wandten. Warum war die Idee, dass reiche Leute respektabler waren als Arme ein Konstrukt, das sich so gut hielt in der Gesellschaft? Sie waren auch nur Menschen, mit demselben Potential gut oder schlecht zu sein wie alle anderen. Das Geld in ihren Händen machte ihre Taten weder besser noch gerechter.

Aber die Veränderung, die Falrey von allen am meisten Angst machte, war dass er sich nicht mehr fürchtete vor seinem Dolch. Er erinnerte sich an die Abscheu und den Widerwillen, als Jaz ihm die Waffe das erste Mal in die Hände gedrückt hatte, den Wunsch das Ding ganz weit weg zu legen und niemals etwas damit zu tun zu haben. Weil es Menschen töten konnte, nein, weil es dazu geschaffen war, Menschen zu töten. Sie waren verschwunden. Er spürte die Klinge durch die Weste hindurch, ebenso wie die Stiefelmesser über seinen Knöcheln, aber das Gefühl, das sie ihm gaben, war keines von Übelkeit und Widerwillen, sondern eines von Sicherheit und Stärke, und während er von Schattenpfütze zu Schattenpfütze durch die nächtliche Stadt schlich, war er immer auf dem Sprung, bereit, sie zu ziehen, sobald eine Gefahr drohte.

Niramun II - Mörder und BastardWhere stories live. Discover now