Kapitel 16

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„Deswegen wollte ich dich mal fragen... willst du mit mir zusammen sein?" Ein Stein fiel mir vom Herzen und erfreut umarmte ich ihn. „Ja!" In seinen Augen spiegelte sich seine Erleichterung wider. Anscheinend hatte er genauso viel Angst vor meiner Antwort gehabt, wie ich vor seinem nächsten Satz. „Hier, ich habe noch eine Kleinigkeit für dich!" Behutsam legte Manuel eine kleine, in blaues Papier verpackte Schachtel in meine Hände. „Was ist das?", fragte ich überrascht. „Und womit habe ich das verdient?" Verlegen lächelte Manu. „Mach es erst einmal auf." Vorsichtig entfernte ich die Geschenkverpackung und ein Logo war zu erkennen. „Glory", lies ich vor, konnte aber mit dem Namen nichts anfangen und hob den Deckel der Schachtel an. Zum Vorschein kam eine silberne Kette mit einem Herzanhänger, in den ein Violinschlüssel eingraviert war. „Die ist wunderschön", sagte ich und blickte wie verzaubert auf die Kette. „Genau wie du", flüsterte Manuel und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Mir wurde ganz warm vor Freude und ich legte das Schmuckstück sofort an. „Leider habe ich noch eine schlechte Nachricht: Ich kann dich nicht zu deinem Casting in Berlin begleiten." „Schade", meinte ich bedauernd. Es gab bei Nervosität keine bessere Beruhigung als Manuels Berührungen, das hatte ich mittlerweile schon festgestellt. „Trotzdem danke!" Als Verabschiedung drückte ich Manu noch einen Kuss auf die Wange.

Mit meinem Koffer stand ich am Bahnhof und schaute zum fünften Mal auf die Uhr. Ich konnte es kaum erwarten, endlich nach Berlin zu kommen! Denn wer wusste schon, was dort auf mich warten würde? Also, falls ich dieses Casting auch noch schaffte? War das alles hier meine Chance, jemals mit Musik tatsächlich Geld verdienen zu können? Das war seit ich klein war mein Lebenstraum gewesen: Von den Berufen Sängerin und Songwriterin irgendwann leben zu können. Umso wichtiger, dass ich tatsächlich nach Berlin durfte! Zwar würde es ohne Unterstützung von Familie und Freunden schwer werden, aber sie waren wenigstens in Gedanken bei mir. Endlich fuhr der Zug ein. Den Herzanhänger an meiner Kette berührte ich wie einen Talisman, dann stieg ich ein. Ich hatte Glück gehabt mit meinem Platz, es sah so aus, als ob ich die komplette Fahrt lang einen Vierer ganz für mich allein hatte. Ich wollte mich schon etwas ausbreiten, doch dann sah ich drei Personen, jeweils mit einem Koffer, die auf mich zusteuerten. „Zoe? Mum? Dad?", fragte ich entsetzt. Meine Eltern setzten sich mir gegenüber, meine Schwester platzierte sich gleich neben mir. „Was ist? Warum schaust du so überrascht?", fragte Zoe frech und grinste mich an. „Du hast doch nicht geglaubt, dass wir dich alleine wegfahren lassen, oder?", hakte mein Vater nach. Doch, genau das dachte ich, hätte ich am liebsten gesagt, aber ich hielt lieber den Mund. Sonst kämen meine Eltern bestimmt auf die Idee, mich auf der Stelle nach Hause zu schicken und dann war's das mit der Musikshow. Warum konnten meine Eltern mich nicht einfach mal loslassen? Sophie hätte wahrscheinlich ganz alleine in eine andere Stadt gehen dürfen. Andererseits, fiel mir da ein, war die Hartnäckigkeit von meiner Mutter und meinem Vater auch sehr gut. Wer weiß, was passiert wäre, wenn sie mich nicht zu dem Familienurlaub in Italien gezwungen hätten. Dann hätte ich meinen Freund nicht getroffen. Mein Freund Manuel... ich fand, das hörte sich verdammt gut an. Lächelnd lehnte ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe, sah, wie die Landschaft an mir vorbeizog und driftete vollkommen mit meinen Gedanken ab.

DerVeranstaltungsort des Castings in Berlin war schon eher nach Zoes Geschmack. Eswar ein richtiges Anwesen, mit Wegen durch kleine Grünteile mit angepflanztenBäumen und Blumen. Das Gebäude leuchte geradezu, bestimmt war es vor kurzem neugestrichen geworden, alles war viel größer und die Einrichtung auch etwasedler. Der Grund für dieses imposante Aussehen waren hundertprozentig dieganzen Kameras, die alles filmten. Im Fernsehen sollte es garantiert so seriöswie möglich wirken. Zoe entdeckte eine kleine Bar, ließ sich dort auf einemHocker nieder und bestellte etwas zu trinken. Total lässig schien sie dortabzuhängen- sie wollte immer noch von Talentsuchern entdeckt werden. Bei ZoesAnblick musste ich fast etwas lachen. Wenn sie von einer Sache überzeugt war,gab sie wohl nie auf! Meine Schwester kam nur zu uns herüber, als sie mitbekam,dass ich gerade ein kleines Interview gab. Am liebsten hätte sie denKameraleuten ihre selbstgebastelte Visitenkarte in die Hand gedrückt, aber siewaren zu schnell verschwunden. „Ach komm", maulte sie. „Miri, werde du berühmt.Wenn dich alle kennen, werde ich als deine Schwester einfach so zum It-girl."Wir mussten lachen und meine Anspannung hielt sich in erträglichen Grenzen.Etwas später wurde mir dann eine Wegbeschreibung für den kleinenVorbereitungsraum gegeben, den ich schon vom letzten Mal kannte. Doch auf demWeg dorthin stieß ich fast mit einem schwarzhaarigen Mädchen zusammen. „Hey,bist du Miriam Steinfeld?" Ich nickte. „Grade waren ein paar Leute hier, die wollten,dass ich dir ausrichte, dass sich das mit den Räumen ein bisschen geändert hat.Du sollst hier nicht rechts, sondern links abbiegen", erklärte sie mir. „Gut,danke für die Info!" „Kein Problem. Und viel Glück!" Also ging ich den neuen Weg, öffnetedie Tür und trat ein. Seltsamerweise war hier noch kein Licht eingeschaltet,ich tastete erst einmal nach dem Schalter. Der Raum wurde erleuchtet und ichkonnte mich umschauen. Ich musste hier falsch sein! Es gab nur ein paar Regale,vollgefüllt mit irgendwelchem Schrott. Das hier war eindeutig die Besenkammer. Ichdrehte mich also um und drückte die Türklinke herunter. Abgeschlossen. Daskonnte doch nicht wahr sein, oder?! Panisch rüttelte ich an der Tür, stemmtemich gegen sie, aber es tat sich nichts. Ich war eingesperrt! Auf einmal sahich den Zettel der an der Tür klebte. Das konnte doch alles nicht wirklichpassieren! Eilig überflog ich die neue Botschaft: Tja, ich habe dich gewarnt. Aber du wolltest ja nicht hören. Jetztsiehst du, was du davon hast! Übrigens, das Mädchen von vorhin hat nichts mitalldem zu tun. Es ist alles einzig und allein mein Werk. Beeindruckend, nichtwahr? :-) Ich zitterte am ganzen Körper. Er oder sie war mir gefolgt! Wie? WIE?Aber jetzt musste ich erst einmal hier rauskommen! Ich durchsuchte die Regaleund fand einen alten, staubigen Kleiderbügel. Oh bitte, der Trick mussteeinfach funktionieren! Ich verbog den Kleiderbügel ein wenig und werkelte dannan dem Schloss herum. Aber die Tür bewegte sich keinen Millimeter. Ich hattenur noch eine Möglichkeit: Ich musste Hilfe holen! „Hilfe! Hilfe! Ist dajemand? Hallo?? HILFE!" Ich rastete komplett aus, aber anscheinend mit Erfolg.Als ich kurz innehielt, hörte ich Schritte, die immer näherkamen. Zuerst warich erleichtert, aber was, wenn das sie oder er war? Die Person musste jetztunmittelbar vor der Besenkammer stehen. Ich hörte Geräusche, es klang so, alswürde jemand etwas umräumen. Wahrscheinlich etwas, das die Tür blockierte. Dannwurde die Tür endlich aufgemacht. Zoe stand vor mir und sah mich mit großenAugen an. „Warum stehst du in einer Abstellkammer?" „Ich habe keine Zeit fürErklärungen!", sagte ich und rannte eilig den Gang entlang, denn ich wurde indem Moment aufgerufen. Erschöpft stand ich letztendlich vor dem richtigen Raumund mir blieb noch etwas Zeit, um mich kurz auszuruhen und den Song nochmaldurchzugehen. Und nun wurde es ernst, nur eine dünne Tür trennte mich und dieJury und jeden Moment konnte es soweit sein, dass ich Vorsingen musste, vor denMusikern und laufenden Kameras.

Ein Urlaub ohne MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt