Kapitel 1

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Ich setzte meinen Kopfhörer auf und drehte die Lautstärke voll auf. Weniger, weil ich den Song so sehr mochte, sondern mehr, um meine nervige kleine Schwester Zoe zu übertönen. Nach einigen Minuten stellte ich enttäuscht fest, dass es überhaupt nichts brachte. Seufzend lehnte ich meinen Kopf an die Fensterscheibe und blickte hinaus. Es regnete und der erwartete blaue Himmel, den ich mir im Urlaub erhofft hatte, war wolkenverhangen und ließ kaum Lichtstrahlen durch die Wolkendecke hindurch. Das würden die schlimmsten Ferien werden, die ich jemals erlebt hatte. Warum musste ich mich denn auch überreden lassen, mitzukommen? Genauso gut hätte ich zuhause bleiben können und hätte vermutlich noch mehr Spaß gehabt. Vielleicht hätte ich auch ein paar neue Songs schreiben und aufnehmen können, um sie dann auf meinen YouTube Kanal hochzuladen. Das war ein Hobby von mir, welches ich nie vernachlässigte, im Gegensatz zu meinen anderen Freizeitaktivitäten. Außerdem hätte ich zuhause auch noch zu Janas Party gehen können. Jana prahlte schon seit Wochen damit, dass ihre Party die beste überhaupt werden würde. Da wir uns beide nicht sehr gut leiden konnten, war ich ziemlich überrascht, als sie mich einlud. Und das aber auch nur, weil sie unbedingt wollte, dass mein Freund Ben zu ihrer Party kam. Jana hatte schon unzählige Male versucht, mir Ben auszuspannen, jedoch waren wir immer zusammengeblieben. Als ich Ben erzählt hatte, dass ich doch nicht zur Janas Feier ging, beschloss er sofort, ebenfalls die Einladung abzulehnen, worüber ich sehr froh war. Man konnte ja nie wissen...

 Plötzlich wurde ich unsanft aus meinen Gedanken gerissen, als meine Mutter ruckartig bremste und das Auto somit zum Stehen brachte. „Wir sind da!",rief sie fröhlich und lächelte uns ans. Ich gab ein gequältes Lächeln zurück, doch als meine Mutter aus dem Wagen stieg, verdrehte ich genervt die Augen.Meine Laune besserte sich auch nicht, als wir uns unsere Ferienwohnung ansahen. Sie war ganz schön eng, was unser Vater als gemütlich empfand. Na, wenn er meinte. Das Schlimmste kam aber noch: Zoe und ich mussten uns ein Zimmer teilen, ausgerechnet das Kleinste von allen! Missgelaunt warf ich meinen Rucksack auf das Bett am Fenster, um es gleich für mich zu beanspruchen, wogegen Zoe mit einem entrüstetem „Hey!" protestierte. Ich ignorierte meine Schwester und kramte mein Handy aus der Reisetasche. Ich musste jetzt unbedingt mit meiner besten Freundin Sophie reden! Doch hier gab es nicht mal Empfang, also lief ich aus der Ferienwohnung und hielt mein Handy wie bescheuert in die Luft. War mir in dem Moment aber auch egal, schließlich kannte mich hier keiner. Endlich hatte ich eine Verbindung und wählte erleichtert Sophies Nummer. „Hi Miriam!", begrüßte mich Sophie gut gelaunt. „Hast du schon deinen neuen Bikini im Pool oder im Meer getestet? Ich beneide dich echt, ich meine, Sommer, Sonne,Strand und Meer... Was gibt es schöneres?" Anscheinend hatte meine Freundin die gleichen Vorstellungen wie ich gehabt. „Von wegen!", sagte ich zu ihr. Mein Blick schweifte einmal über die ganze Ferienanlage. Es gab noch einige weitere Wohnungen, eine Bar, welche schon geschlossen hatte und einen Minigolfplatz, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Vermutlich hielt er schon seit Jahren jedem Wind und Wetter fest, was auch die deutlichen Gebrauchsspuren erklärte. „Es gibt hier keinen Pool", erzählte ich Sophie. „Oder sonst irgendetwas Tolles. Ganz zu schweigen von dem Wetter. Es hat vorhin die ganze Zeit geregnet und der Boden ist so aufgeweicht, dass das garantiert nicht der erste Regen dieser Woche war." In dem Moment blickte ich zu Boden. Ich bedauerte es, meine schönen neuen, roten Sneakers angezogen zu haben. Sie hatten jetzt schon einige Matschspritzer und wie die Sohle aussah, wollte ich bloß nicht wissen. Eigentlich war ich komplett falsch gekleidet. Ich trug ein hellblaues Top und darüber nur eine leichte Jacke, auch meine dunkle, fastknielange Jeans passte nicht sehr gut zu unseren klimatischen Verhältnissen.„Okay...", meinte Sophie schließlich. „Gibt es hier wenigstens süße Jungs?", fragte sie mich dann. „Ich habe noch niemanden gesehen und selbst wenn, ich bin doch mit Ben zusammen! Und sehr zufrieden", fügte ich noch hinzu. „Ich weiß, ich weiß. Das ist auch schön und gut. Aber ich bin noch Single!" Ich musste grinsen. Das war Sophie, live und in Farbe. Zugegebenermaßen war sie hübscher als ich, mit ihren braunen Locken und den strahlenden Augen. Ein Wunder, dass sie mit keinem Jungen zusammen war. Vielleicht wartete sie einfach noch auf den Richtigen, was ja auch kein Fehler war. „Also: So bald du einen attraktiven Jungen siehst, mache einfach unauffällig ein Foto mit deiner Handykamera",erklärte mir Sophie. Ein Bild von einer Person zu machen, ohne dass sie es mitbekam, hatten Sophie und ich aus Spaß immer im Einkaufszentrum geübt. Es war total simpel: Man tat einfach so, als würde man ein Selfie machen, wechselte dabei aber nicht zur Innenkamera. „Sobald du ein Bild hast, schickst du es mir", sagte meine Freundin, ganz stolz über ihren Einfall. Meinte sie das wirklich ernst? Wahrscheinlich nicht, aber ich spielte bereits mit dem Gedanken, ihr als Scherz wirklich ein paar Bilder zu schicken. „Übrigens: Ich habe ein neues Kleid gesehen, mit schwarzen Pailletten und-" Abrupt brach sie ab. Ich brauchte einige Sekunden,um zu kapieren, dass die Verbindung unterbrochen wurde. Na toll. Ich legte auf und schaltete anschließend mein Handy aus. Was sollte ich jetzt machen? Weiter meine Eltern und Zoe ertragen zu müssen, hielt ich bestimmt nicht aus.

Nach zwei weiteren Minuten beschloss ich, obwohl meine kleine Schwester mich dann sicherlich nerven würde, wieder zurück zu unserer Ferienwohnung zu gehen. Mein Handy steckte ich in die Hosentasche meiner Jeans und lief dann los. Ich versuchte möglichst auf den schmalen Wegen zu bleiben, um meine Sneakers nicht noch mehr zu ruinieren. Kaum hatte ich angefangen zu laufen, da blieb ich auch schon gleich wieder stehen. Vor mir stand ein Hund, ein Golden Retriever, und wedelte mit dem Schwanz. Zielsicher ging ich in die Hocke und die Hündin kam auf mich zu. Nachdem sie meine Hand beschnüffelt hatte,streichelte ich sie, was ein vertrautes Gefühl in mir aufkommen ließ. Als Zoe noch kleiner war, hatte ich einmal einen Hund gehabt. Er hieß Rocky und war damals mein bester Freund gewesen. Leider mussten wir ihn einschläfern lassen,da er eine unheilbare Krankheit bekam. Seitdem hatten wir nie wieder einen Hund gehabt, was ich in diesem Augenblick wirklich schade fand. Auf einmal hörte ich Schritte und blickte nach oben. Vor mir stand ein Junge, geschätzte zwei oder drei Jahre älter als ich. Seine grünen Augen fielen mir sofort auf, vor allem, da er zudemnoch halblange, dunkelbraune Haare hatte. Diese Kombination war echt selten. So konnte ich nichts dagegen tun, den Jungen fasziniert anzustarren. „Luna!", rief der Junge, und die Hündin trabte begeistert zu ihm. Der Junge lächelte mich an.„Du kannst gut mit Hunden umgehen. Luna mag nicht jeden", sagte er. Ich lächelte und musterte die Golden Retrieverin erneut. „Danke. Ich war wirklich früher eine Hundebesitzerin." Er schaute kurz auf seine schwarze Armbanduhr.„Es war nett dich kennenzulernen. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder. Ciao!" „Tschüss!", verabschiedete ich ihn ebenfalls. Obwohl er nicht sehr gesprächig war, zögerte ich keinen Moment, mein Handy in die Hand zu nehmen.Ich wunderte mich darüber, dass mich nur die Tatsache, dass mein Handy ausgeschaltet war, davon abhielt, ein Foto von ihm zu machen. Über mich selbst den Kopf schüttelnd, setzte ich meinen Weg fort und gelangte letztendlich ohne weitere Zwischenfälle zur unserer Ferienwohnung.


Übrigens, Luna ist natürlich kein Golden Retriever,  sie ist ein Chiwuaha. Ich fand nur, dass das so besser zur Geschichte passt ^^

Ein Urlaub ohne MaskeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt