Lügen

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 Ich hockte in der kleinen Ecke der Küche, drückte mir die Hände auf die Ohren und versuchte krampfhaft, ihre Worte auszublenden, doch ohne Erfolg.
»Fass mich nicht an!«, schrie meine Mama und ihre Stimme überschlug sich fast.
Ich hörte etwas hartes zu Boden fallen, dann vernahm ich ein leises Fluchen meines Papas.
»Wie kannst du es wagen, uns so zu hintergehen? Du dreckiger Mistkerl!«
Mein Papa schnaubte einmal.
»Denkst du wirklich, ich bin alleine daran schuld? Glaubst du das wirklich? Du hast doch nur noch dein eigenes Leben gelebt und uns hier immer allein gelassen. Und du dachtest wirklich, dass ich mir das mit antun will? Nein, ganz sicher nicht.«
Schritte. Sie liefen von einem Zimmer in das andere. Vermutlich, weil Papa seine Sachen zusammen suchte. Die brauchte er ja jetzt, wo er uns verließ.
Doch warum machte er sich die Mühe? Warum nahmen sich die beiden nicht einfach in den Arm? Warum konnten sie sich nicht vertragen? Hatte das etwas mit mir zu tun? Hatte ich etwas falsch gemacht?
Mir viel beim besten Willen Nichts ein. Ich hatte mein Zimmer aufgeräumt, hatte im letzten Test in der Schule eine gute Note geschrieben, immer aufgegessen... Also konnte es doch nicht an mir liegen.
Oder?
»Du bist mir schon lange egal!«, rief mein Papa.
»Da steckt doch eine andere dahinter! Gib es schon zu! Ist es dieses billige Stück? Deine Sekretärin?«
Mama klang so verzweifelt. Was hatte sie denn nur? Warum war sie so böse auf Papa? Hatte er etwas schlimmes getan?
Ich ließ die Hände von meinen Ohren gleiten und richtete mich benommen auf. Vorsichtig tapste ich zur Tür und linste an ihr vorbei, um einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen.
Papa lief vom Badezimmer in ihr gemeinsames Schlafzimmer, dann wieder in das Bad, bis Mama ihm am Arm packte und so zum stehenbleiben zwang.
»Lass mich los.«, knurrte er sie an.
Mamas Augen verängten sich, dann blickte sie Papa fest an.
»Schön und gut, aber was ist mit Hanna? Herrgott, sie ist acht! Denkst du nicht, dass du ihr damit das Herz brichst? Ist dir deine eigene Tochter so egal?«
Als mein Name fiel hielt ich kurz die Luft an. Das musste doch bei Papa etwas bewirken! Er hatte mich doch lieb. Das sagte er mir immer, wenn er mich zur Schule brachte und ich ihm zum Abschied ein Kuss gab und wenn er mich ins Bett brachte. Er konnte Mama und mich nicht alleine lassen - Wir waren eine Familie!
Ich blickte zu Papa. Er riss sich von Mamas Griff los und blickte sie verachtend an.
»Meine Tochter? Woher soll ich das wissen? Ich weiß genau, dass du mich unzählige Male betrogen hast. Vielleicht ist sie ja gar nicht meine Tochter.«
Meine Knie wurden weich und ich rutschte an der Tür zu Boden.
Papa wollte mich nicht. Papa hasste mich. Er wollte mich nicht.
Heiße Tränen rannen leise meine Wangen runter, sammelten sich an meinem Kinn und tropften dann auf meine Kleidung, wo sie langsam versickerten.
»Scheißkerl«, sagte Mama leise.
»SCHEIßKERL!«
Sie drehte sich blitzschnell um und griff nach der hübschen Kristallvase von Oma, in der immer Sonnenblumen waren. Dann schmiss Mama die Vase.
Papa konnte sich gerade noch rechtzeitig Ducken. Die Vase knallte gegen die Wand und zersprang in unzählige, kleine Teile. Das Wasser spitzte umher und lief träge die Wand hinunter. Auf dem Boden lagen überall die Sonnenblumen verstreut in kleinen Pfützen.
»Du bist doch krank in Kopf!«, schrie Papa und sein Kopf lief knallrot an und die Adern an seinem Hals traten hervor.
Mama sackte zusammen und weinte bitterlich.
»Was heulst du jetzt? Versinke doch im Selbstmitleid. Ist mir egal.«
Papa wand sich zum Gehen. Ich sprang auf.
Er konnte uns nicht verlassen. Wir waren eine Familie! Wir alle hatten uns lieb! Auch wenn er mich vielleicht nicht mehr wollte, so sollte er sich wenigstens mit Mama vertragen.
Ich rannte zu ihm und klammerte mich an seinem Hemd fest.
»Papa! Geh nicht weg! Mama hat dich doch lieb und ich dich auch.«
Ich heuelte in sein Hemd und wollte ihn in den Arm nehmen, doch er stieß mich weg.
Für den Bruchteil einer Sekunde blickte er mir in die Augen.
Dann holte er aus und schlug zu.
Das klatschen, als seine flache Hand auf meine Wange traf, hallte im ganzen Haus wieder. Ich stand stocksteif da und hielt mir eine Hand auf die linke Wange. Die war rot und und ganz heiß.
Er schaute mich an, dann zu Mama die immer noch auf dem Boden kauerte. Dann nahm er seine große, schwarze Tasche und ging.
Er verließ uns. Für immer.
Ich blickte zu Mama.
Papa hatte ihr die Schuld gegeben. Warum sollte er gelogen haben? Er sagte die Wahrheit. Ganz sicher.
Ich ging in die Küche und holte von dort ein paar Papiertücher. Dann wischte ich das Wasser von der kaputten Vase auf. Mama blickte mit verquollenen Augen auf. Sie kam zu mir gerutscht und nahm mich in den Arm.
»Alles wird gut Hanna. Alles wird wieder gut.«
Lügnerin. Verdammte Lügnerin.
»Wir schaffen das. Wir kriegen das hin.«
Verlogen. So verlogen.
Sie war an allem schuld. Papa war wegen ihr weg. Wegen ihren Lügen.
Wenn alles und jeder so falsch waren, warum sollte ich dann noch brav sein?
Ich nahm sie auch in den Arm und sagte:
»Ich hab dich lieb.«
Das war meine erste Lüge. 

LügenWhere stories live. Discover now